Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Gesang.
765Jhrer Vestung von Stroh, mit Balsam neu überstrichen,
Und berathschlagen sich von ihren Geschäften des Staates:
Eben so schwärmten die geistigen Schaaren in dickem Gedränge,
Bis zum gegebenen Zeichen. -- Und sieh ein Wunder [Spaltenumbruch] g)! denn diese,
Die noch eben an Riesengestalt die Söhne der Erde
770Uebertrafen, sind itzo so klein, als die niedrigsten Zwerge,
Und ziehn sich in dem engesten Raum zusammen, unzählig,
Gleich dem Pygmäen Geschlecht jenseit der Jndischen Berge,
Oder auch gleich den zaubrischen Aelfen, wenn etwa der Landmann,
Der sich verspätet, zur Mitternachtszeit, am silbernen Brunnen,
775Oder am Walde, die Nachttänze sieht, oder träumt, sie zu sehen;
Da indessen zuschauend der Mond ihm über dem Haupt steht,
Und mit dem blassen Laufe der schlafenden Erde sich nähert;
Sie vertiefen sich ganz in ihre fröhlichen Tänze,
Und ergötzen sein Ohr mit süsser Musik, daß sein Herz ihm
780Eben so klopft für Angst als für Freuden. So zogen auch itzo
Diese ätherischen Geister die ungeheursten Gestalten,

Jn
g) Dieses wunderbare Zusammen-
ziehn der Geister im Pandämonium ist
verschiedentlich getadelt worden, be-
sonders vom Herrn von Voltaire,
und andern französischen Schriftstel-
lern, die aber von dem Wunderbaren
überhaupt, unstreitig zu eingeschränk-
te Begriffe haben. Milton hat mit
vieler Kunst den Leser in diesem Ge-
sange schon dazu vorbereitet, wie
Addison, und William Duncombe
[Spaltenumbruch] angemerkt, und nach der Beschrei-
bung des Poeten ist nichts lächerli-
ches darinn; sie ist so edel und präch-
tig, als irgend eine vom Homer, oder
Virgil, in dieser Art. Es würde
viel unwahrscheinlicher gewesen seyn,
wenn er die unzähligen Myriaden
gefallner Engel alle in ihrer wahren
Riesengestalt in einem einzigen Saal
eingeschlossen, vorgestellt hätte. Z.
F

Erſter Geſang.
765Jhrer Veſtung von Stroh, mit Balſam neu uͤberſtrichen,
Und berathſchlagen ſich von ihren Geſchaͤften des Staates:
Eben ſo ſchwaͤrmten die geiſtigen Schaaren in dickem Gedraͤnge,
Bis zum gegebenen Zeichen. — Und ſieh ein Wunder [Spaltenumbruch] g)! denn dieſe,
Die noch eben an Rieſengeſtalt die Soͤhne der Erde
770Uebertrafen, ſind itzo ſo klein, als die niedrigſten Zwerge,
Und ziehn ſich in dem engeſten Raum zuſammen, unzaͤhlig,
Gleich dem Pygmaͤen Geſchlecht jenſeit der Jndiſchen Berge,
Oder auch gleich den zaubriſchen Aelfen, wenn etwa der Landmann,
Der ſich verſpaͤtet, zur Mitternachtszeit, am ſilbernen Brunnen,
775Oder am Walde, die Nachttaͤnze ſieht, oder traͤumt, ſie zu ſehen;
Da indeſſen zuſchauend der Mond ihm uͤber dem Haupt ſteht,
Und mit dem blaſſen Laufe der ſchlafenden Erde ſich naͤhert;
Sie vertiefen ſich ganz in ihre froͤhlichen Taͤnze,
Und ergoͤtzen ſein Ohr mit ſuͤſſer Muſik, daß ſein Herz ihm
780Eben ſo klopft fuͤr Angſt als fuͤr Freuden. So zogen auch itzo
Dieſe aͤtheriſchen Geiſter die ungeheurſten Geſtalten,

Jn
g) Dieſes wunderbare Zuſammen-
ziehn der Geiſter im Pandaͤmonium iſt
verſchiedentlich getadelt worden, be-
ſonders vom Herrn von Voltaire,
und andern franzoͤſiſchen Schriftſtel-
lern, die aber von dem Wunderbaren
uͤberhaupt, unſtreitig zu eingeſchraͤnk-
te Begriffe haben. Milton hat mit
vieler Kunſt den Leſer in dieſem Ge-
ſange ſchon dazu vorbereitet, wie
Addiſon, und William Duncombe
[Spaltenumbruch] angemerkt, und nach der Beſchrei-
bung des Poeten iſt nichts laͤcherli-
ches darinn; ſie iſt ſo edel und praͤch-
tig, als irgend eine vom Homer, oder
Virgil, in dieſer Art. Es wuͤrde
viel unwahrſcheinlicher geweſen ſeyn,
wenn er die unzaͤhligen Myriaden
gefallner Engel alle in ihrer wahren
Rieſengeſtalt in einem einzigen Saal
eingeſchloſſen, vorgeſtellt haͤtte. Z.
F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="22">
            <pb facs="#f0055" n="41"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Er&#x017F;ter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l><note place="left">765</note>Jhrer Ve&#x017F;tung von Stroh, mit Bal&#x017F;am neu u&#x0364;ber&#x017F;trichen,</l><lb/>
            <l>Und berath&#x017F;chlagen &#x017F;ich von ihren Ge&#x017F;cha&#x0364;ften des Staates:</l><lb/>
            <l>Eben &#x017F;o &#x017F;chwa&#x0364;rmten die gei&#x017F;tigen Schaaren in dickem Gedra&#x0364;nge,</l><lb/>
            <l>Bis zum gegebenen Zeichen. &#x2014; Und &#x017F;ieh ein Wunder <cb/>
<note place="foot" n="g)">Die&#x017F;es wunderbare Zu&#x017F;ammen-<lb/>
ziehn der Gei&#x017F;ter im Panda&#x0364;monium i&#x017F;t<lb/>
ver&#x017F;chiedentlich getadelt worden, be-<lb/>
&#x017F;onders vom Herrn von <hi rendition="#fr">Voltaire,</hi><lb/>
und andern franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Schrift&#x017F;tel-<lb/>
lern, die aber von dem Wunderbaren<lb/>
u&#x0364;berhaupt, un&#x017F;treitig zu einge&#x017F;chra&#x0364;nk-<lb/>
te Begriffe haben. Milton hat mit<lb/>
vieler Kun&#x017F;t den Le&#x017F;er in die&#x017F;em Ge-<lb/>
&#x017F;ange &#x017F;chon dazu vorbereitet, wie<lb/><hi rendition="#fr">Addi&#x017F;on,</hi> und <hi rendition="#fr">William Duncombe</hi><lb/><cb/>
angemerkt, und nach der Be&#x017F;chrei-<lb/>
bung des Poeten i&#x017F;t nichts la&#x0364;cherli-<lb/>
ches darinn; &#x017F;ie i&#x017F;t &#x017F;o edel und pra&#x0364;ch-<lb/>
tig, als irgend eine vom <hi rendition="#fr">Homer,</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">Virgil,</hi> in die&#x017F;er Art. Es wu&#x0364;rde<lb/>
viel unwahr&#x017F;cheinlicher gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
wenn er die unza&#x0364;hligen Myriaden<lb/>
gefallner Engel alle in ihrer wahren<lb/>
Rie&#x017F;enge&#x017F;talt in einem einzigen Saal<lb/>
einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, vorge&#x017F;tellt ha&#x0364;tte. <hi rendition="#fr">Z.</hi></note>! denn die&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Die noch eben an Rie&#x017F;enge&#x017F;talt die So&#x0364;hne der Erde</l><lb/>
            <l><note place="left">770</note>Uebertrafen, &#x017F;ind itzo &#x017F;o klein, als die niedrig&#x017F;ten Zwerge,</l><lb/>
            <l>Und ziehn &#x017F;ich in dem enge&#x017F;ten Raum zu&#x017F;ammen, unza&#x0364;hlig,</l><lb/>
            <l>Gleich dem Pygma&#x0364;en Ge&#x017F;chlecht jen&#x017F;eit der <hi rendition="#fr">Jndi&#x017F;chen</hi> Berge,</l><lb/>
            <l>Oder auch gleich den zaubri&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Aelfen,</hi> wenn etwa der Landmann,</l><lb/>
            <l>Der &#x017F;ich ver&#x017F;pa&#x0364;tet, zur Mitternachtszeit, am &#x017F;ilbernen Brunnen,</l><lb/>
            <l><note place="left">775</note>Oder am Walde, die Nachtta&#x0364;nze &#x017F;ieht, oder tra&#x0364;umt, &#x017F;ie zu &#x017F;ehen;</l><lb/>
            <l>Da inde&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;chauend der Mond ihm u&#x0364;ber dem Haupt &#x017F;teht,</l><lb/>
            <l>Und mit dem bla&#x017F;&#x017F;en Laufe der &#x017F;chlafenden Erde &#x017F;ich na&#x0364;hert;</l><lb/>
            <l>Sie vertiefen &#x017F;ich ganz in ihre fro&#x0364;hlichen Ta&#x0364;nze,</l><lb/>
            <l>Und ergo&#x0364;tzen &#x017F;ein Ohr mit &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Mu&#x017F;ik, daß &#x017F;ein Herz ihm</l><lb/>
            <l><note place="left">780</note>Eben &#x017F;o klopft fu&#x0364;r Ang&#x017F;t als fu&#x0364;r Freuden. So zogen auch itzo</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e a&#x0364;theri&#x017F;chen Gei&#x017F;ter die ungeheur&#x017F;ten Ge&#x017F;talten,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">F</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0055] Erſter Geſang. Jhrer Veſtung von Stroh, mit Balſam neu uͤberſtrichen, Und berathſchlagen ſich von ihren Geſchaͤften des Staates: Eben ſo ſchwaͤrmten die geiſtigen Schaaren in dickem Gedraͤnge, Bis zum gegebenen Zeichen. — Und ſieh ein Wunder g)! denn dieſe, Die noch eben an Rieſengeſtalt die Soͤhne der Erde Uebertrafen, ſind itzo ſo klein, als die niedrigſten Zwerge, Und ziehn ſich in dem engeſten Raum zuſammen, unzaͤhlig, Gleich dem Pygmaͤen Geſchlecht jenſeit der Jndiſchen Berge, Oder auch gleich den zaubriſchen Aelfen, wenn etwa der Landmann, Der ſich verſpaͤtet, zur Mitternachtszeit, am ſilbernen Brunnen, Oder am Walde, die Nachttaͤnze ſieht, oder traͤumt, ſie zu ſehen; Da indeſſen zuſchauend der Mond ihm uͤber dem Haupt ſteht, Und mit dem blaſſen Laufe der ſchlafenden Erde ſich naͤhert; Sie vertiefen ſich ganz in ihre froͤhlichen Taͤnze, Und ergoͤtzen ſein Ohr mit ſuͤſſer Muſik, daß ſein Herz ihm Eben ſo klopft fuͤr Angſt als fuͤr Freuden. So zogen auch itzo Dieſe aͤtheriſchen Geiſter die ungeheurſten Geſtalten, Jn g) Dieſes wunderbare Zuſammen- ziehn der Geiſter im Pandaͤmonium iſt verſchiedentlich getadelt worden, be- ſonders vom Herrn von Voltaire, und andern franzoͤſiſchen Schriftſtel- lern, die aber von dem Wunderbaren uͤberhaupt, unſtreitig zu eingeſchraͤnk- te Begriffe haben. Milton hat mit vieler Kunſt den Leſer in dieſem Ge- ſange ſchon dazu vorbereitet, wie Addiſon, und William Duncombe angemerkt, und nach der Beſchrei- bung des Poeten iſt nichts laͤcherli- ches darinn; ſie iſt ſo edel und praͤch- tig, als irgend eine vom Homer, oder Virgil, in dieſer Art. Es wuͤrde viel unwahrſcheinlicher geweſen ſeyn, wenn er die unzaͤhligen Myriaden gefallner Engel alle in ihrer wahren Rieſengeſtalt in einem einzigen Saal eingeſchloſſen, vorgeſtellt haͤtte. Z. F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/55
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/55>, abgerufen am 02.05.2024.