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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Neunter Gesang.

Noch mehr Ehrfurcht verdient. Du schönstes herrliches Abbild
555Deines herrlichen Schöpfers! die Blicke von allem, was lebet,

Schauen auf dich; und alles Erschaffne, das durch das Geschenke
Deines Schöpfers, dir zugehört, bewundern allein nur
Deine göttliche Schönheit, und bethen voller Entzückung
Unaufhörlich sie an. Dort würde man mehr noch sie schauen,
560Wo sie von allem bewundert würde; doch hier in dem öden

Einsamen Hayn, hier unter den Thieren, (zu rohe Beschauer,
Die nicht die Hälfte von dem, was in dir schön ist, verstehen,)
Wer betrachtet dich hier? Wer, außer dem einzigen Manne?
Doch was ist Einer für dich! du solltest unter den Göttern
565Selbst als Göttinn erscheinen, und von unzähligen Engeln,

Wie dir gebührte, täglich verehrt, begleitet, bedient seyn.

Also schmeichelt der listge Versucher, und stimmet sein Vorspiel.
Seine Reden fanden ins Herz der Eva den Eingang,
Obgleich seine Stimme sie sehr befremdete. Staunend,
570Und nicht wenig bestürzt, gab sie ihm endlich zur Antwort.
Was kann dieses bedeuten? die Sprache des Menschen erschallet
Von der Zunge des Thiers, und spricht vernünftge Gedanken?
Wenigstens dacht ich, das erstere wäre den Thieren versaget,
Da der Schöpfer sie stumm erschuf am Tage der Schöpfung,
575Stumm zu jedem redenden Ton; das letztere schien mir

Ungewiß; denn in den Blicken sowohl, als Handlungen, sah ich
Of[t]mals Vernunft. Auch wußt ich, o Schlange, du |seyest das schlauste
Aller
M 2

Neunter Geſang.

Noch mehr Ehrfurcht verdient. Du ſchoͤnſtes herrliches Abbild
555Deines herrlichen Schoͤpfers! die Blicke von allem, was lebet,

Schauen auf dich; und alles Erſchaffne, das durch das Geſchenke
Deines Schoͤpfers, dir zugehoͤrt, bewundern allein nur
Deine goͤttliche Schoͤnheit, und bethen voller Entzuͤckung
Unaufhoͤrlich ſie an. Dort wuͤrde man mehr noch ſie ſchauen,
560Wo ſie von allem bewundert wuͤrde; doch hier in dem oͤden

Einſamen Hayn, hier unter den Thieren, (zu rohe Beſchauer,
Die nicht die Haͤlfte von dem, was in dir ſchoͤn iſt, verſtehen,)
Wer betrachtet dich hier? Wer, außer dem einzigen Manne?
Doch was iſt Einer fuͤr dich! du ſollteſt unter den Goͤttern
565Selbſt als Goͤttinn erſcheinen, und von unzaͤhligen Engeln,

Wie dir gebuͤhrte, taͤglich verehrt, begleitet, bedient ſeyn.

Alſo ſchmeichelt der liſtge Verſucher, und ſtimmet ſein Vorſpiel.
Seine Reden fanden ins Herz der Eva den Eingang,
Obgleich ſeine Stimme ſie ſehr befremdete. Staunend,
570Und nicht wenig beſtuͤrzt, gab ſie ihm endlich zur Antwort.
Was kann dieſes bedeuten? die Sprache des Menſchen erſchallet
Von der Zunge des Thiers, und ſpricht vernuͤnftge Gedanken?
Wenigſtens dacht ich, das erſtere waͤre den Thieren verſaget,
Da der Schoͤpfer ſie ſtumm erſchuf am Tage der Schoͤpfung,
575Stumm zu jedem redenden Ton; das letztere ſchien mir

Ungewiß; denn in den Blicken ſowohl, als Handlungen, ſah ich
Of[t]mals Vernunft. Auch wußt ich, o Schlange, du |ſeyeſt das ſchlauſte
Aller
M 2
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[91/0111] Neunter Geſang. Noch mehr Ehrfurcht verdient. Du ſchoͤnſtes herrliches Abbild Deines herrlichen Schoͤpfers! die Blicke von allem, was lebet, Schauen auf dich; und alles Erſchaffne, das durch das Geſchenke Deines Schoͤpfers, dir zugehoͤrt, bewundern allein nur Deine goͤttliche Schoͤnheit, und bethen voller Entzuͤckung Unaufhoͤrlich ſie an. Dort wuͤrde man mehr noch ſie ſchauen, Wo ſie von allem bewundert wuͤrde; doch hier in dem oͤden Einſamen Hayn, hier unter den Thieren, (zu rohe Beſchauer, Die nicht die Haͤlfte von dem, was in dir ſchoͤn iſt, verſtehen,) Wer betrachtet dich hier? Wer, außer dem einzigen Manne? Doch was iſt Einer fuͤr dich! du ſollteſt unter den Goͤttern Selbſt als Goͤttinn erſcheinen, und von unzaͤhligen Engeln, Wie dir gebuͤhrte, taͤglich verehrt, begleitet, bedient ſeyn. Alſo ſchmeichelt der liſtge Verſucher, und ſtimmet ſein Vorſpiel. Seine Reden fanden ins Herz der Eva den Eingang, Obgleich ſeine Stimme ſie ſehr befremdete. Staunend, Und nicht wenig beſtuͤrzt, gab ſie ihm endlich zur Antwort. Was kann dieſes bedeuten? die Sprache des Menſchen erſchallet Von der Zunge des Thiers, und ſpricht vernuͤnftge Gedanken? Wenigſtens dacht ich, das erſtere waͤre den Thieren verſaget, Da der Schoͤpfer ſie ſtumm erſchuf am Tage der Schoͤpfung, Stumm zu jedem redenden Ton; das letztere ſchien mir Ungewiß; denn in den Blicken ſowohl, als Handlungen, ſah ich Oftmals Vernunft. Auch wußt ich, o Schlange, du |ſeyeſt das ſchlauſte Aller M 2

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/111>, abgerufen am 27.11.2024.