Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.

Aller Thiere des Feldes; doch daß du die menschliche Sprache
Reden könntest, das wußt ich nicht. Erneu denn noch einmal
580Dieses Wunder, und sprich, wie wurdest du, da du sonst stumm warst,

Redend? Warum hast du vor allen übrigen Thieren
So viel Freundschaft für mich? Sprich! solch ein Wunder verdienet
Meine völlige Neugier, die aufmerksamste Betrachtung.

Jhr erwiederte schmeichelnd hierauf der listge Verführer.
585Königinn dieser herrlichen Welt, hellglänzende Eva,

Leicht ists mir, dir alles, was du verlangest, zu sagen,
Und dir gehorch ich mit Recht. -- Wie alle kriechenden Thiere,
Die vom zertretenen Gras sich ernähren, hatt' ich auch im Anfang
Nur gemeine niedre Gedanken, gemein, wie mein Futter.
590Meinen Gatten allein, und meine niedrige Nahrung

Unterschied ich, nichts höheres kam in meine Gedanken.
Aber als ich einmal in diesen Auen herumstrich,
Fiel mir ein herrlicher Baum, durch einen glücklichen Zufall,
Schon von fern ins Gesicht, mit röthlichgüldenen Früchten,
595Von den hellesten Farben, bedeckt. Jch machte mich näher,

Jhn zu beschaun; der saftge Geruch, der, lieblich verduftend,
Von den Zweigen entgegen mir blies, begeisterte mehr noch
Meine Sinnen, als wie der Geruch vom süßesten Fenchel,
Oder der Duft aromatischer Milch von Schafen und Ziegen,
600Die des Abends ins Gras getropft, wenn scherzende Lämmer,

Auf ihr Spiel nur bedacht, sie aufzusaugen vergessen.
Jch beschloß in der mächtgen Begierde, nicht länger zu zögern,
Diese

Das verlohrne Paradies.

Aller Thiere des Feldes; doch daß du die menſchliche Sprache
Reden koͤnnteſt, das wußt ich nicht. Erneu denn noch einmal
580Dieſes Wunder, und ſprich, wie wurdeſt du, da du ſonſt ſtumm warſt,

Redend? Warum haſt du vor allen uͤbrigen Thieren
So viel Freundſchaft fuͤr mich? Sprich! ſolch ein Wunder verdienet
Meine voͤllige Neugier, die aufmerkſamſte Betrachtung.

Jhr erwiederte ſchmeichelnd hierauf der liſtge Verfuͤhrer.
585Koͤniginn dieſer herrlichen Welt, hellglaͤnzende Eva,

Leicht iſts mir, dir alles, was du verlangeſt, zu ſagen,
Und dir gehorch ich mit Recht. — Wie alle kriechenden Thiere,
Die vom zertretenen Gras ſich ernaͤhren, hatt’ ich auch im Anfang
Nur gemeine niedre Gedanken, gemein, wie mein Futter.
590Meinen Gatten allein, und meine niedrige Nahrung

Unterſchied ich, nichts hoͤheres kam in meine Gedanken.
Aber als ich einmal in dieſen Auen herumſtrich,
Fiel mir ein herrlicher Baum, durch einen gluͤcklichen Zufall,
Schon von fern ins Geſicht, mit roͤthlichguͤldenen Fruͤchten,
595Von den helleſten Farben, bedeckt. Jch machte mich naͤher,

Jhn zu beſchaun; der ſaftge Geruch, der, lieblich verduftend,
Von den Zweigen entgegen mir blies, begeiſterte mehr noch
Meine Sinnen, als wie der Geruch vom ſuͤßeſten Fenchel,
Oder der Duft aromatiſcher Milch von Schafen und Ziegen,
600Die des Abends ins Gras getropft, wenn ſcherzende Laͤmmer,

Auf ihr Spiel nur bedacht, ſie aufzuſaugen vergeſſen.
Jch beſchloß in der maͤchtgen Begierde, nicht laͤnger zu zoͤgern,
Dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="20">
            <l>
              <pb facs="#f0112" n="92"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Aller Thiere des Feldes; doch daß du die men&#x017F;chliche Sprache</l><lb/>
            <l>Reden ko&#x0364;nnte&#x017F;t, das wußt ich nicht. Erneu denn noch einmal<lb/><note place="left">580</note>Die&#x017F;es Wunder, und &#x017F;prich, wie wurde&#x017F;t du, da du &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;tumm war&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Redend? Warum ha&#x017F;t du vor allen u&#x0364;brigen Thieren</l><lb/>
            <l>So viel Freund&#x017F;chaft fu&#x0364;r mich? Sprich! &#x017F;olch ein Wunder verdienet</l><lb/>
            <l>Meine vo&#x0364;llige Neugier, die aufmerk&#x017F;am&#x017F;te Betrachtung.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="21">
            <l>Jhr erwiederte &#x017F;chmeichelnd hierauf der li&#x017F;tge Verfu&#x0364;hrer.<lb/><note place="left">585</note>Ko&#x0364;niginn die&#x017F;er herrlichen Welt, hellgla&#x0364;nzende <hi rendition="#fr">Eva,</hi></l><lb/>
            <l>Leicht i&#x017F;ts mir, dir alles, was du verlange&#x017F;t, zu &#x017F;agen,</l><lb/>
            <l>Und dir gehorch ich mit Recht. &#x2014; Wie alle kriechenden Thiere,</l><lb/>
            <l>Die vom zertretenen Gras &#x017F;ich erna&#x0364;hren, hatt&#x2019; ich auch im Anfang</l><lb/>
            <l>Nur gemeine niedre Gedanken, gemein, wie mein Futter.<lb/><note place="left">590</note>Meinen Gatten allein, und meine niedrige Nahrung</l><lb/>
            <l>Unter&#x017F;chied ich, nichts ho&#x0364;heres kam in meine Gedanken.</l><lb/>
            <l>Aber als ich einmal in die&#x017F;en Auen herum&#x017F;trich,</l><lb/>
            <l>Fiel mir ein herrlicher Baum, durch einen glu&#x0364;cklichen Zufall,</l><lb/>
            <l>Schon von fern ins Ge&#x017F;icht, mit ro&#x0364;thlichgu&#x0364;ldenen Fru&#x0364;chten,<lb/><note place="left">595</note>Von den helle&#x017F;ten Farben, bedeckt. Jch machte mich na&#x0364;her,</l><lb/>
            <l>Jhn zu be&#x017F;chaun; der &#x017F;aftge Geruch, der, lieblich verduftend,</l><lb/>
            <l>Von den Zweigen entgegen mir blies, begei&#x017F;terte mehr noch</l><lb/>
            <l>Meine Sinnen, als wie der Geruch vom &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten Fenchel,</l><lb/>
            <l>Oder der Duft aromati&#x017F;cher Milch von Schafen und Ziegen,<lb/><note place="left">600</note>Die des Abends ins Gras getropft, wenn &#x017F;cherzende La&#x0364;mmer,</l><lb/>
            <l>Auf ihr Spiel nur bedacht, &#x017F;ie aufzu&#x017F;augen verge&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Jch be&#x017F;chloß in der ma&#x0364;chtgen Begierde, nicht la&#x0364;nger zu zo&#x0364;gern,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0112] Das verlohrne Paradies. Aller Thiere des Feldes; doch daß du die menſchliche Sprache Reden koͤnnteſt, das wußt ich nicht. Erneu denn noch einmal Dieſes Wunder, und ſprich, wie wurdeſt du, da du ſonſt ſtumm warſt, Redend? Warum haſt du vor allen uͤbrigen Thieren So viel Freundſchaft fuͤr mich? Sprich! ſolch ein Wunder verdienet Meine voͤllige Neugier, die aufmerkſamſte Betrachtung. Jhr erwiederte ſchmeichelnd hierauf der liſtge Verfuͤhrer. Koͤniginn dieſer herrlichen Welt, hellglaͤnzende Eva, Leicht iſts mir, dir alles, was du verlangeſt, zu ſagen, Und dir gehorch ich mit Recht. — Wie alle kriechenden Thiere, Die vom zertretenen Gras ſich ernaͤhren, hatt’ ich auch im Anfang Nur gemeine niedre Gedanken, gemein, wie mein Futter. Meinen Gatten allein, und meine niedrige Nahrung Unterſchied ich, nichts hoͤheres kam in meine Gedanken. Aber als ich einmal in dieſen Auen herumſtrich, Fiel mir ein herrlicher Baum, durch einen gluͤcklichen Zufall, Schon von fern ins Geſicht, mit roͤthlichguͤldenen Fruͤchten, Von den helleſten Farben, bedeckt. Jch machte mich naͤher, Jhn zu beſchaun; der ſaftge Geruch, der, lieblich verduftend, Von den Zweigen entgegen mir blies, begeiſterte mehr noch Meine Sinnen, als wie der Geruch vom ſuͤßeſten Fenchel, Oder der Duft aromatiſcher Milch von Schafen und Ziegen, Die des Abends ins Gras getropft, wenn ſcherzende Laͤmmer, Auf ihr Spiel nur bedacht, ſie aufzuſaugen vergeſſen. Jch beſchloß in der maͤchtgen Begierde, nicht laͤnger zu zoͤgern, Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/112
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/112>, abgerufen am 27.11.2024.