Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.

Dich zu verehren, dich, die du mit Recht die Fürstinn der Welt bist,
630Und die erhabene Frau, die alle Geschöpfe beherrschet.

Also sagte die Schlange von List begeistert. Und Eva,
Noch bestürzter als erst, gab unvorsichtig die Antwort:
Schlange, dein übertriebenes Lob, macht billig mir Zweifel
Ueber die Kraft der gepriesenen Frucht, die so dich verändert.
635Aber sage, wo wächst denn der Baum? wie weit ist der Weg wohl?

Denn von mancherley Art, und von verschiednen Geschlechtern
Sind die Bäume Gottes allhier in Eden; wir kennen
Sie bisher noch nicht alle; der Ueberfluß, den wir besitzen,
Jst so groß, daß unsere Wahl die Menge von Früchten
640Uuberührt läßt, sie bleiben am Baum in Vergessenheit hangen,

Bis daß Menschen erwachsen, für ihre Wartung zu sorgen;
Und mehr Hände die volle Natur der Bürden entlasten.
Jhr erwiederte freudiger nun die listige Natter.
Vor uns liegt, Gebiethrinn, der Weg; in kurzer Entfernung,
645Hinter einer lieblichen Reih von schattichten Myrthen

Jst auf einer Ebne der Platz, so bald man ein kleines,
Dickes Gebüsch von Balsamstauden zurücke gelegt hat,
Nah an einem silbernen Quell. Jst meine Begleitung
Dir nicht entgegen, so will ich gar bald zu dem Orte dich führen.
650
Führe mich denn! sprach Eva zu ihr. -- Sie ringelte plötzlich,
Sie zu führen, in Kreisen sich fort; was schlank erst gewesen,
Schien

Das verlohrne Paradies.

Dich zu verehren, dich, die du mit Recht die Fuͤrſtinn der Welt biſt,
630Und die erhabene Frau, die alle Geſchoͤpfe beherrſchet.

Alſo ſagte die Schlange von Liſt begeiſtert. Und Eva,
Noch beſtuͤrzter als erſt, gab unvorſichtig die Antwort:
Schlange, dein uͤbertriebenes Lob, macht billig mir Zweifel
Ueber die Kraft der geprieſenen Frucht, die ſo dich veraͤndert.
635Aber ſage, wo waͤchſt denn der Baum? wie weit iſt der Weg wohl?

Denn von mancherley Art, und von verſchiednen Geſchlechtern
Sind die Baͤume Gottes allhier in Eden; wir kennen
Sie bisher noch nicht alle; der Ueberfluß, den wir beſitzen,
Jſt ſo groß, daß unſere Wahl die Menge von Fruͤchten
640Uuberuͤhrt laͤßt, ſie bleiben am Baum in Vergeſſenheit hangen,

Bis daß Menſchen erwachſen, fuͤr ihre Wartung zu ſorgen;
Und mehr Haͤnde die volle Natur der Buͤrden entlaſten.
Jhr erwiederte freudiger nun die liſtige Natter.
Vor uns liegt, Gebiethrinn, der Weg; in kurzer Entfernung,
645Hinter einer lieblichen Reih von ſchattichten Myrthen

Jſt auf einer Ebne der Platz, ſo bald man ein kleines,
Dickes Gebuͤſch von Balſamſtauden zuruͤcke gelegt hat,
Nah an einem ſilbernen Quell. Jſt meine Begleitung
Dir nicht entgegen, ſo will ich gar bald zu dem Orte dich fuͤhren.
650
Fuͤhre mich denn! ſprach Eva zu ihr. — Sie ringelte ploͤtzlich,
Sie zu fuͤhren, in Kreiſen ſich fort; was ſchlank erſt geweſen,
Schien
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="21">
            <l>
              <pb facs="#f0114" n="94"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Dich zu verehren, dich, die du mit Recht die Fu&#x0364;r&#x017F;tinn der Welt bi&#x017F;t,<lb/><note place="left">630</note>Und die erhabene Frau, die alle Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe beherr&#x017F;chet.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;agte die Schlange von Li&#x017F;t begei&#x017F;tert. Und <hi rendition="#fr">Eva,</hi></l><lb/>
            <l>Noch be&#x017F;tu&#x0364;rzter als er&#x017F;t, gab unvor&#x017F;ichtig die Antwort:</l><lb/>
            <l>Schlange, dein u&#x0364;bertriebenes Lob, macht billig mir Zweifel</l><lb/>
            <l>Ueber die Kraft der geprie&#x017F;enen Frucht, die &#x017F;o dich vera&#x0364;ndert.<lb/><note place="left">635</note>Aber &#x017F;age, wo wa&#x0364;ch&#x017F;t denn der Baum? wie weit i&#x017F;t der Weg wohl?</l><lb/>
            <l>Denn von mancherley Art, und von ver&#x017F;chiednen Ge&#x017F;chlechtern</l><lb/>
            <l>Sind die Ba&#x0364;ume Gottes allhier in <hi rendition="#fr">Eden;</hi> wir kennen</l><lb/>
            <l>Sie bisher noch nicht alle; der Ueberfluß, den wir be&#x017F;itzen,</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t &#x017F;o groß, daß un&#x017F;ere Wahl die Menge von Fru&#x0364;chten<lb/><note place="left">640</note>Uuberu&#x0364;hrt la&#x0364;ßt, &#x017F;ie bleiben am Baum in Verge&#x017F;&#x017F;enheit hangen,</l><lb/>
            <l>Bis daß Men&#x017F;chen erwach&#x017F;en, fu&#x0364;r ihre Wartung zu &#x017F;orgen;</l><lb/>
            <l>Und mehr Ha&#x0364;nde die volle Natur der Bu&#x0364;rden entla&#x017F;ten.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="23">
            <l>Jhr erwiederte freudiger nun die li&#x017F;tige Natter.</l><lb/>
            <l>Vor uns liegt, Gebiethrinn, der Weg; in kurzer Entfernung,<lb/><note place="left">645</note>Hinter einer lieblichen Reih von &#x017F;chattichten Myrthen</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t auf einer Ebne der Platz, &#x017F;o bald man ein kleines,</l><lb/>
            <l>Dickes Gebu&#x0364;&#x017F;ch von Bal&#x017F;am&#x017F;tauden zuru&#x0364;cke gelegt hat,</l><lb/>
            <l>Nah an einem &#x017F;ilbernen Quell. J&#x017F;t meine Begleitung</l><lb/>
            <l>Dir nicht entgegen, &#x017F;o will ich gar bald zu dem Orte dich fu&#x0364;hren.</l>
          </lg><lb/>
          <note place="left">650</note>
          <lg n="24">
            <l>Fu&#x0364;hre mich denn! &#x017F;prach <hi rendition="#fr">Eva</hi> zu ihr. &#x2014; Sie ringelte plo&#x0364;tzlich,</l><lb/>
            <l>Sie zu fu&#x0364;hren, in Krei&#x017F;en &#x017F;ich fort; was &#x017F;chlank er&#x017F;t gewe&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schien</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0114] Das verlohrne Paradies. Dich zu verehren, dich, die du mit Recht die Fuͤrſtinn der Welt biſt, Und die erhabene Frau, die alle Geſchoͤpfe beherrſchet. Alſo ſagte die Schlange von Liſt begeiſtert. Und Eva, Noch beſtuͤrzter als erſt, gab unvorſichtig die Antwort: Schlange, dein uͤbertriebenes Lob, macht billig mir Zweifel Ueber die Kraft der geprieſenen Frucht, die ſo dich veraͤndert. Aber ſage, wo waͤchſt denn der Baum? wie weit iſt der Weg wohl? Denn von mancherley Art, und von verſchiednen Geſchlechtern Sind die Baͤume Gottes allhier in Eden; wir kennen Sie bisher noch nicht alle; der Ueberfluß, den wir beſitzen, Jſt ſo groß, daß unſere Wahl die Menge von Fruͤchten Uuberuͤhrt laͤßt, ſie bleiben am Baum in Vergeſſenheit hangen, Bis daß Menſchen erwachſen, fuͤr ihre Wartung zu ſorgen; Und mehr Haͤnde die volle Natur der Buͤrden entlaſten. Jhr erwiederte freudiger nun die liſtige Natter. Vor uns liegt, Gebiethrinn, der Weg; in kurzer Entfernung, Hinter einer lieblichen Reih von ſchattichten Myrthen Jſt auf einer Ebne der Platz, ſo bald man ein kleines, Dickes Gebuͤſch von Balſamſtauden zuruͤcke gelegt hat, Nah an einem ſilbernen Quell. Jſt meine Begleitung Dir nicht entgegen, ſo will ich gar bald zu dem Orte dich fuͤhren. Fuͤhre mich denn! ſprach Eva zu ihr. — Sie ringelte ploͤtzlich, Sie zu fuͤhren, in Kreiſen ſich fort; was ſchlank erſt geweſen, Schien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/114
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/114>, abgerufen am 17.05.2024.