Nicht so verhaßt mehr, nachdem man die Frucht vorher schon versuchet, Und sie die Schlange zuerst schon entweiht, zuerst sie entheiligt Und gemeiner gemacht, noch ehe wir von ihr gegessen? 960Und sie hat auch den Tod nicht in ihr gewirket; sie lebt noch, Wie du mir sagst; sie lebt, und hat das Vorrecht gewonnen, Daß sie ein höheres Leben, so wie die Menschen, erlangt hat. Uns ein starker Beweis, daß, wenn wir eben so essen, Wir, nach unserem Maaß, auch höhere Stufen ersteigen. 965Was für andre können das seyn, als daß wir zu Göttern, Oder zu Engeln werden. Unmöglich kann ich auch glauben, Daß der weise gütigste Gott, wiewohl ers gedrohet, Uns im Ernst zu zerstören vermöchte, uns, seine Geschöpfe, Uns, die ersten, die Er so hoher Ehre gewürdigt, 970Und weit über alles von seinen Werken gesetzet. Da er sie alle für uns nur gemacht: so müßten sie gleichfalls Mit uns vergehn, indem ihr Seyn vom unsrigen abhängt; Und so müßte der Schöpfer die Schöpfung wieder zernichten, Machen, verderben, und Müh und Fleiß vergebens verlieren. 975Dieses läßt sich nicht denken von Gott. Zwar könnt er die Schöpfung, Durch sein mächtiges Wort, gar bald von neuem vollenden: Aber er würd' uns doch ungern zerstören, um unserem Feinde Den Triumph nicht zu lassen, mit Rechte zu sagen: Wie flüchtig Jst der Zustand von denen, die Gott am höchsten begnadigt! 980Wer kann lang ihm gefallen? Mich hat er am ersten zerstöret, Und nun auch das Menschengeschlecht. Wer ist nun das nächste?
Solchen
Das verlohrne Paradies.
Nicht ſo verhaßt mehr, nachdem man die Frucht vorher ſchon verſuchet, Und ſie die Schlange zuerſt ſchon entweiht, zuerſt ſie entheiligt Und gemeiner gemacht, noch ehe wir von ihr gegeſſen? 960Und ſie hat auch den Tod nicht in ihr gewirket; ſie lebt noch, Wie du mir ſagſt; ſie lebt, und hat das Vorrecht gewonnen, Daß ſie ein hoͤheres Leben, ſo wie die Menſchen, erlangt hat. Uns ein ſtarker Beweis, daß, wenn wir eben ſo eſſen, Wir, nach unſerem Maaß, auch hoͤhere Stufen erſteigen. 965Was fuͤr andre koͤnnen das ſeyn, als daß wir zu Goͤttern, Oder zu Engeln werden. Unmoͤglich kann ich auch glauben, Daß der weiſe guͤtigſte Gott, wiewohl ers gedrohet, Uns im Ernſt zu zerſtoͤren vermoͤchte, uns, ſeine Geſchoͤpfe, Uns, die erſten, die Er ſo hoher Ehre gewuͤrdigt, 970Und weit uͤber alles von ſeinen Werken geſetzet. Da er ſie alle fuͤr uns nur gemacht: ſo muͤßten ſie gleichfalls Mit uns vergehn, indem ihr Seyn vom unſrigen abhaͤngt; Und ſo muͤßte der Schoͤpfer die Schoͤpfung wieder zernichten, Machen, verderben, und Muͤh und Fleiß vergebens verlieren. 975Dieſes laͤßt ſich nicht denken von Gott. Zwar koͤnnt er die Schoͤpfung, Durch ſein maͤchtiges Wort, gar bald von neuem vollenden: Aber er wuͤrd’ uns doch ungern zerſtoͤren, um unſerem Feinde Den Triumph nicht zu laſſen, mit Rechte zu ſagen: Wie fluͤchtig Jſt der Zuſtand von denen, die Gott am hoͤchſten begnadigt! 980Wer kann lang ihm gefallen? Mich hat er am erſten zerſtoͤret, Und nun auch das Menſchengeſchlecht. Wer iſt nun das naͤchſte?
Solchen
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Das verlohrne Paradies.
Nicht ſo verhaßt mehr, nachdem man die Frucht vorher ſchon verſuchet,
Und ſie die Schlange zuerſt ſchon entweiht, zuerſt ſie entheiligt
Und gemeiner gemacht, noch ehe wir von ihr gegeſſen?
Und ſie hat auch den Tod nicht in ihr gewirket; ſie lebt noch,
Wie du mir ſagſt; ſie lebt, und hat das Vorrecht gewonnen,
Daß ſie ein hoͤheres Leben, ſo wie die Menſchen, erlangt hat.
Uns ein ſtarker Beweis, daß, wenn wir eben ſo eſſen,
Wir, nach unſerem Maaß, auch hoͤhere Stufen erſteigen.
Was fuͤr andre koͤnnen das ſeyn, als daß wir zu Goͤttern,
Oder zu Engeln werden. Unmoͤglich kann ich auch glauben,
Daß der weiſe guͤtigſte Gott, wiewohl ers gedrohet,
Uns im Ernſt zu zerſtoͤren vermoͤchte, uns, ſeine Geſchoͤpfe,
Uns, die erſten, die Er ſo hoher Ehre gewuͤrdigt,
Und weit uͤber alles von ſeinen Werken geſetzet.
Da er ſie alle fuͤr uns nur gemacht: ſo muͤßten ſie gleichfalls
Mit uns vergehn, indem ihr Seyn vom unſrigen abhaͤngt;
Und ſo muͤßte der Schoͤpfer die Schoͤpfung wieder zernichten,
Machen, verderben, und Muͤh und Fleiß vergebens verlieren.
Dieſes laͤßt ſich nicht denken von Gott. Zwar koͤnnt er die Schoͤpfung,
Durch ſein maͤchtiges Wort, gar bald von neuem vollenden:
Aber er wuͤrd’ uns doch ungern zerſtoͤren, um unſerem Feinde
Den Triumph nicht zu laſſen, mit Rechte zu ſagen: Wie fluͤchtig
Jſt der Zuſtand von denen, die Gott am hoͤchſten begnadigt!
Wer kann lang ihm gefallen? Mich hat er am erſten zerſtoͤret,
Und nun auch das Menſchengeſchlecht. Wer iſt nun das naͤchſte?
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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/128>, abgerufen am 22.07.2024.
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