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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Neunter Gesang.
Blumen waren ihr Lager; Violen und Hyacinthen,
1075Asphodill, und der sanfteste Schooß der blühenden Erde.

Und hier nahmen sie sich die Fülle wollüstiger Liebe,
Als das Siegel von ihrem Verbrechen, die einzige Tröstung
Für die begangene Sünde; bis endlich, völlig ermattet
Vom wollüstigen Spiel, ein feuchter Schlummer sie einwiegt.
1080Als die Kraft der betrüglichen Frucht, die um ihr Gehirne

Mit erheiternden Dünsten gewallt, und die innersten Kräfte
Jn die Jrre geführt, nunmehr verraucht war; und schwerer
Gröberer Schlaf, von dicken unsanften Dämpfen erzeuget,
Und anklagenden Träumen gestört, nunmehr sie verlassen:
1085Stunden sie auf, so wie man erwacht nach fiebrischem Schlummer,

Sahen sich an, und fanden gar bald ihr Auge geöffnet,
Und das Licht des Verstandes verfinstert. Der Schleyer der Unschuld,
Welcher sie vor der Erkenntniß des Bösen bisher noch geschirmet,
War nun dahin; das gerechte Vertraun, die ursprüngliche Tugend,
1090Und die Ehr', ihr herrlichster Schmuck, war itzo verlohren,

Und ließ bloß die schuldige Schaam bey den Nackten zurücke,
Die sie bedeckte, doch deren Gewand nur mehr noch entdeckte.
Also stand der starke Danit, der herkulische Samson,
Aus dem wollüstigen Schooße der Dalilah auf, und erwachte,
1095Seiner Stärke beraubt. Von aller Tugend entblößet,

Saßen sie lange schweigend und stumm, mit verwirrtem Gesichte,
Wie an ihrer Zunge gelähmt. Doch endlich stieß Adam,
Obgleich eben so sehr v[on] Schaam gebeuget, wie Eva,
Aus dem traurigen Munde die unterbrochenen Worte.
O! zur
II. Th. P
Neunter Geſang.
Blumen waren ihr Lager; Violen und Hyacinthen,
1075Asphodill, und der ſanfteſte Schooß der bluͤhenden Erde.

Und hier nahmen ſie ſich die Fuͤlle wolluͤſtiger Liebe,
Als das Siegel von ihrem Verbrechen, die einzige Troͤſtung
Fuͤr die begangene Suͤnde; bis endlich, voͤllig ermattet
Vom wolluͤſtigen Spiel, ein feuchter Schlummer ſie einwiegt.
1080Als die Kraft der betruͤglichen Frucht, die um ihr Gehirne

Mit erheiternden Duͤnſten gewallt, und die innerſten Kraͤfte
Jn die Jrre gefuͤhrt, nunmehr verraucht war; und ſchwerer
Groͤberer Schlaf, von dicken unſanften Daͤmpfen erzeuget,
Und anklagenden Traͤumen geſtoͤrt, nunmehr ſie verlaſſen:
1085Stunden ſie auf, ſo wie man erwacht nach fiebriſchem Schlummer,

Sahen ſich an, und fanden gar bald ihr Auge geoͤffnet,
Und das Licht des Verſtandes verfinſtert. Der Schleyer der Unſchuld,
Welcher ſie vor der Erkenntniß des Boͤſen bisher noch geſchirmet,
War nun dahin; das gerechte Vertraun, die urſpruͤngliche Tugend,
1090Und die Ehr’, ihr herrlichſter Schmuck, war itzo verlohren,

Und ließ bloß die ſchuldige Schaam bey den Nackten zuruͤcke,
Die ſie bedeckte, doch deren Gewand nur mehr noch entdeckte.
Alſo ſtand der ſtarke Danit, der herkuliſche Samſon,
Aus dem wolluͤſtigen Schooße der Dalilah auf, und erwachte,
1095Seiner Staͤrke beraubt. Von aller Tugend entbloͤßet,

Saßen ſie lange ſchweigend und ſtumm, mit verwirrtem Geſichte,
Wie an ihrer Zunge gelaͤhmt. Doch endlich ſtieß Adam,
Obgleich eben ſo ſehr v[on] Schaam gebeuget, wie Eva,
Aus dem traurigen Munde die unterbrochenen Worte.
O! zur
II. Th. P
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[113/0135] Neunter Geſang. Blumen waren ihr Lager; Violen und Hyacinthen, Asphodill, und der ſanfteſte Schooß der bluͤhenden Erde. Und hier nahmen ſie ſich die Fuͤlle wolluͤſtiger Liebe, Als das Siegel von ihrem Verbrechen, die einzige Troͤſtung Fuͤr die begangene Suͤnde; bis endlich, voͤllig ermattet Vom wolluͤſtigen Spiel, ein feuchter Schlummer ſie einwiegt. Als die Kraft der betruͤglichen Frucht, die um ihr Gehirne Mit erheiternden Duͤnſten gewallt, und die innerſten Kraͤfte Jn die Jrre gefuͤhrt, nunmehr verraucht war; und ſchwerer Groͤberer Schlaf, von dicken unſanften Daͤmpfen erzeuget, Und anklagenden Traͤumen geſtoͤrt, nunmehr ſie verlaſſen: Stunden ſie auf, ſo wie man erwacht nach fiebriſchem Schlummer, Sahen ſich an, und fanden gar bald ihr Auge geoͤffnet, Und das Licht des Verſtandes verfinſtert. Der Schleyer der Unſchuld, Welcher ſie vor der Erkenntniß des Boͤſen bisher noch geſchirmet, War nun dahin; das gerechte Vertraun, die urſpruͤngliche Tugend, Und die Ehr’, ihr herrlichſter Schmuck, war itzo verlohren, Und ließ bloß die ſchuldige Schaam bey den Nackten zuruͤcke, Die ſie bedeckte, doch deren Gewand nur mehr noch entdeckte. Alſo ſtand der ſtarke Danit, der herkuliſche Samſon, Aus dem wolluͤſtigen Schooße der Dalilah auf, und erwachte, Seiner Staͤrke beraubt. Von aller Tugend entbloͤßet, Saßen ſie lange ſchweigend und ſtumm, mit verwirrtem Geſichte, Wie an ihrer Zunge gelaͤhmt. Doch endlich ſtieß Adam, Obgleich eben ſo ſehr von Schaam gebeuget, wie Eva, Aus dem traurigen Munde die unterbrochenen Worte. O! zur II. Th. P

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/135>, abgerufen am 25.11.2024.