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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Neunter Gesang.

Jtzo so wenig geziemt, einander am besten verbergen.
Jrgend ein Baum kann vielleicht, wenn wir die breitesten Blätter
Aneinander gefügt, die nackten Lenden umgürten,
Und den mittleren Leib mit seiner Hülle bedecken,
1130Daß der neue widrige Gast, die Schaam, sich nicht festsetzt,

Unsre Verbrechen verräth, und uns Unlauterkeit vorwirft.

Dieses rieth Adam, und beyde begaben sogleich sich zusammen
Jn den dichtesten Wald, und wählten zu ihrer Verhüllung
Sich den Feigenbaum aus; nicht diesen, welcher berühmt ist
1135Wegen der Frucht, nein, jenen vielmehr von anderm Geschlechte,

Welcher in Malabar [Spaltenumbruch] s) dem Jndianer bekannt ist,
Und in Dekans Gebieth; die weitverbreiteten Arme
Senken sich oft zum Boden herab, und schlagen drinn Wurzel,
Daß ein fruchtbarer Kreis von nebensprossenden Töchtern
1140Um den Mutterbaum wächst; ein Schatten, welcher, auf Pfeilern

Hochgewölbt, hängt, und unter ihm Reihn von schallenden Gängen.
Hier sucht oft der Jndische Hirt im Schatten Erfrischung
Vor des Mittags brennendem Stral, und treibet die Heerden
Unter das Dach der dichtesten Zweige. Von eben den Blättern
1145Nahmen sie sich, und fügeten sie, so gut sie es konnten,

Aneinander, die Schaam der nackenden Lenden zu decken.
Eitle Bedeckung vor Schuld, und vor der gefürchteten Schande,
Nur zu ungleich nunmehr dem ersten nackenden Schmucke!
So
s) Malabar ist eine große Halbinsel in
Ostindien, wovon Dekan ein berühmtes
Königreich ist. Jn der Beschreibung des
[Spaltenumbruch] Feigenbaums ist Milton dem Plinius ge-
folgt. S. L. 16. cap. 26. Hume.
P 2

Neunter Geſang.

Jtzo ſo wenig geziemt, einander am beſten verbergen.
Jrgend ein Baum kann vielleicht, wenn wir die breiteſten Blaͤtter
Aneinander gefuͤgt, die nackten Lenden umguͤrten,
Und den mittleren Leib mit ſeiner Huͤlle bedecken,
1130Daß der neue widrige Gaſt, die Schaam, ſich nicht feſtſetzt,

Unſre Verbrechen verraͤth, und uns Unlauterkeit vorwirft.

Dieſes rieth Adam, und beyde begaben ſogleich ſich zuſammen
Jn den dichteſten Wald, und waͤhlten zu ihrer Verhuͤllung
Sich den Feigenbaum aus; nicht dieſen, welcher beruͤhmt iſt
1135Wegen der Frucht, nein, jenen vielmehr von anderm Geſchlechte,

Welcher in Malabar [Spaltenumbruch] s) dem Jndianer bekannt iſt,
Und in Dekans Gebieth; die weitverbreiteten Arme
Senken ſich oft zum Boden herab, und ſchlagen drinn Wurzel,
Daß ein fruchtbarer Kreis von nebenſproſſenden Toͤchtern
1140Um den Mutterbaum waͤchſt; ein Schatten, welcher, auf Pfeilern

Hochgewoͤlbt, haͤngt, und unter ihm Reihn von ſchallenden Gaͤngen.
Hier ſucht oft der Jndiſche Hirt im Schatten Erfriſchung
Vor des Mittags brennendem Stral, und treibet die Heerden
Unter das Dach der dichteſten Zweige. Von eben den Blaͤttern
1145Nahmen ſie ſich, und fuͤgeten ſie, ſo gut ſie es konnten,

Aneinander, die Schaam der nackenden Lenden zu decken.
Eitle Bedeckung vor Schuld, und vor der gefuͤrchteten Schande,
Nur zu ungleich nunmehr dem erſten nackenden Schmucke!
So
s) Malabar iſt eine große Halbinſel in
Oſtindien, wovon Dekan ein beruͤhmtes
Koͤnigreich iſt. Jn der Beſchreibung des
[Spaltenumbruch] Feigenbaums iſt Milton dem Plinius ge-
folgt. S. L. 16. cap. 26. Hume.
P 2
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[115/0137] Neunter Geſang. Jtzo ſo wenig geziemt, einander am beſten verbergen. Jrgend ein Baum kann vielleicht, wenn wir die breiteſten Blaͤtter Aneinander gefuͤgt, die nackten Lenden umguͤrten, Und den mittleren Leib mit ſeiner Huͤlle bedecken, Daß der neue widrige Gaſt, die Schaam, ſich nicht feſtſetzt, Unſre Verbrechen verraͤth, und uns Unlauterkeit vorwirft. Dieſes rieth Adam, und beyde begaben ſogleich ſich zuſammen Jn den dichteſten Wald, und waͤhlten zu ihrer Verhuͤllung Sich den Feigenbaum aus; nicht dieſen, welcher beruͤhmt iſt Wegen der Frucht, nein, jenen vielmehr von anderm Geſchlechte, Welcher in Malabar s) dem Jndianer bekannt iſt, Und in Dekans Gebieth; die weitverbreiteten Arme Senken ſich oft zum Boden herab, und ſchlagen drinn Wurzel, Daß ein fruchtbarer Kreis von nebenſproſſenden Toͤchtern Um den Mutterbaum waͤchſt; ein Schatten, welcher, auf Pfeilern Hochgewoͤlbt, haͤngt, und unter ihm Reihn von ſchallenden Gaͤngen. Hier ſucht oft der Jndiſche Hirt im Schatten Erfriſchung Vor des Mittags brennendem Stral, und treibet die Heerden Unter das Dach der dichteſten Zweige. Von eben den Blaͤttern Nahmen ſie ſich, und fuͤgeten ſie, ſo gut ſie es konnten, Aneinander, die Schaam der nackenden Lenden zu decken. Eitle Bedeckung vor Schuld, und vor der gefuͤrchteten Schande, Nur zu ungleich nunmehr dem erſten nackenden Schmucke! So s) Malabar iſt eine große Halbinſel in Oſtindien, wovon Dekan ein beruͤhmtes Koͤnigreich iſt. Jn der Beſchreibung des Feigenbaums iſt Milton dem Plinius ge- folgt. S. L. 16. cap. 26. Hume. P 2

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/137>, abgerufen am 24.11.2024.