Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.Das verlohrne Paradies. Eva, wie billig findet es Glauben, daß alles das Gute, Das wir genießen, vom Himmel uns kömmt; daß aber von uns auch Etwas sollte zum Himmel hinauf den Weg sich erstreiten, Welches vermögend wäre, des allerfeeligsten Schöpfers 150Herz zu rühren, und seinen erhabenen Willen zu lenken, Jst zu schwer nur zu glauben. Und doch thun dieses Gebethe, Oder ein kurzer flehender Seufzer des menschlichen Athems, Der hinauf zu dem Throne des Ewigen steiget! Seitdem ich Mich bemüht, die beleidigte Gottheit durch meine Gebethe 155Zu versöhnen, und niederfiel, und vor ihm in Demuth Meine ganze Seele gebeugt: so, dünkte mich, sah ich Jhn voll Gnade, versöhnt, und mild'; er neigte, gerühret, Zu mir sein Ohr; die Zuversicht wuchs in meinem Gemüthe: Daß er mein Flehn in Gnaden erhört; der Friede kam wieder 160Jn mein Herz; in mein Gedächtniß seine Verheißung, Daß dein Saamen einst unserem Feinde den Kopf soll zertreten. Dieses, das ich vorher in meinem Jammer vergessen, Ueberzeuget mein Herz, des Todes Bitterkeit sey uns Gänzlich nunmehr vorübergegangen, -- wir werden leben! 165Sey mir also gegrüßt, o Eva, mit Recht so genennet, Mutter des Menschengeschlechts h)! Du, aller lebenden Dinge Mutter! indem der Mensch durch dich nur lebet, und alles Für den Menschen allein das Leben auf Erden erhalten. Eva h) 1 B. Mos. III. 20. Und Adam hieß sein Weib Heva, darum daß sie
eine Mutter ist aller Lebendigen. Das verlohrne Paradies. Eva, wie billig findet es Glauben, daß alles das Gute, Das wir genießen, vom Himmel uns koͤmmt; daß aber von uns auch Etwas ſollte zum Himmel hinauf den Weg ſich erſtreiten, Welches vermoͤgend waͤre, des allerfeeligſten Schoͤpfers 150Herz zu ruͤhren, und ſeinen erhabenen Willen zu lenken, Jſt zu ſchwer nur zu glauben. Und doch thun dieſes Gebethe, Oder ein kurzer flehender Seufzer des menſchlichen Athems, Der hinauf zu dem Throne des Ewigen ſteiget! Seitdem ich Mich bemuͤht, die beleidigte Gottheit durch meine Gebethe 155Zu verſoͤhnen, und niederfiel, und vor ihm in Demuth Meine ganze Seele gebeugt: ſo, duͤnkte mich, ſah ich Jhn voll Gnade, verſoͤhnt, und mild’; er neigte, geruͤhret, Zu mir ſein Ohr; die Zuverſicht wuchs in meinem Gemuͤthe: Daß er mein Flehn in Gnaden erhoͤrt; der Friede kam wieder 160Jn mein Herz; in mein Gedaͤchtniß ſeine Verheißung, Daß dein Saamen einſt unſerem Feinde den Kopf ſoll zertreten. Dieſes, das ich vorher in meinem Jammer vergeſſen, Ueberzeuget mein Herz, des Todes Bitterkeit ſey uns Gaͤnzlich nunmehr voruͤbergegangen, — wir werden leben! 165Sey mir alſo gegruͤßt, o Eva, mit Recht ſo genennet, Mutter des Menſchengeſchlechts h)! Du, aller lebenden Dinge Mutter! indem der Menſch durch dich nur lebet, und alles Fuͤr den Menſchen allein das Leben auf Erden erhalten. Eva h) 1 B. Moſ. III. 20. Und Adam hieß ſein Weib Heva, darum daß ſie
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Das verlohrne Paradies.
Eva, wie billig findet es Glauben, daß alles das Gute,
Das wir genießen, vom Himmel uns koͤmmt; daß aber von uns auch
Etwas ſollte zum Himmel hinauf den Weg ſich erſtreiten,
Welches vermoͤgend waͤre, des allerfeeligſten Schoͤpfers
Herz zu ruͤhren, und ſeinen erhabenen Willen zu lenken,
Jſt zu ſchwer nur zu glauben. Und doch thun dieſes Gebethe,
Oder ein kurzer flehender Seufzer des menſchlichen Athems,
Der hinauf zu dem Throne des Ewigen ſteiget! Seitdem ich
Mich bemuͤht, die beleidigte Gottheit durch meine Gebethe
Zu verſoͤhnen, und niederfiel, und vor ihm in Demuth
Meine ganze Seele gebeugt: ſo, duͤnkte mich, ſah ich
Jhn voll Gnade, verſoͤhnt, und mild’; er neigte, geruͤhret,
Zu mir ſein Ohr; die Zuverſicht wuchs in meinem Gemuͤthe:
Daß er mein Flehn in Gnaden erhoͤrt; der Friede kam wieder
Jn mein Herz; in mein Gedaͤchtniß ſeine Verheißung,
Daß dein Saamen einſt unſerem Feinde den Kopf ſoll zertreten.
Dieſes, das ich vorher in meinem Jammer vergeſſen,
Ueberzeuget mein Herz, des Todes Bitterkeit ſey uns
Gaͤnzlich nunmehr voruͤbergegangen, — wir werden leben!
Sey mir alſo gegruͤßt, o Eva, mit Recht ſo genennet,
Mutter des Menſchengeſchlechts h)! Du, aller lebenden Dinge
Mutter! indem der Menſch durch dich nur lebet, und alles
Fuͤr den Menſchen allein das Leben auf Erden erhalten.
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h) 1 B. Moſ. III. 20. Und Adam hieß ſein Weib Heva, darum daß ſie
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