Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.
O armseeliges Menschengeschlecht! wie bist du gefallen, O wie bist du erniedert! zu welchem erbärmlichen Zustand Aufbehalten! Es wäre dir besser, du nähmst, nicht gebohren, Hier dein Ende! Ward darum uns nur das Leben geschenket, 530So uns wieder entrungen zu werden? Und drang man es uns nicht Mit Gewalt auf? Kannte man das, was man uns geschenket? O wer würde das Leben gar nicht entweder verlangen, Oder bald drauf das Schicksal flehn, es wieder zu nehmen, Glücklich, wenn er noch so in Frieden erlassen sich sähe! 535Kann am Menschen des Ewigen Bild, das ehmals so herrlich, So vollkommen gestralt, obgleich es itzo verderbt ist, Zu so schrecklichen Leiden, zu so unmenschlichen Schmerzen, Welche kein Auge betrachten kann, erniedriget werden? Sollte der Mensch nicht, da er zum Theil das Ebenbild Gottes 540Noch besitzt, von solcher entstellenden Häßlichkeit frey seyn, Und sich wegen der Gleichheit mit seinem Schöpfer verschont sehn? Sie B b 3
O armſeeliges Menſchengeſchlecht! wie biſt du gefallen, O wie biſt du erniedert! zu welchem erbaͤrmlichen Zuſtand Aufbehalten! Es waͤre dir beſſer, du naͤhmſt, nicht gebohren, Hier dein Ende! Ward darum uns nur das Leben geſchenket, 530So uns wieder entrungen zu werden? Und drang man es uns nicht Mit Gewalt auf? Kannte man das, was man uns geſchenket? O wer wuͤrde das Leben gar nicht entweder verlangen, Oder bald drauf das Schickſal flehn, es wieder zu nehmen, Gluͤcklich, wenn er noch ſo in Frieden erlaſſen ſich ſaͤhe! 535Kann am Menſchen des Ewigen Bild, das ehmals ſo herrlich, So vollkommen geſtralt, obgleich es itzo verderbt iſt, Zu ſo ſchrecklichen Leiden, zu ſo unmenſchlichen Schmerzen, Welche kein Auge betrachten kann, erniedriget werden? Sollte der Menſch nicht, da er zum Theil das Ebenbild Gottes 540Noch beſitzt, von ſolcher entſtellenden Haͤßlichkeit frey ſeyn, Und ſich wegen der Gleichheit mit ſeinem Schoͤpfer verſchont ſehn? Sie B b 3
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Eilfter Geſang.
Jhn, ihr einziges Gut, und ihre letztere Hoffnung,
Jammernd ruften. O welch ein Herz von Felſen vermoͤchte
Solch ein ſcheuslich Geſicht mit trockenen Augen zu ſchauen!
Adam hielt ſich nicht mehr; er weinte, wie wohl er vom Weibe
Nicht gebohren worden. Ein zaͤrtliches Mitleid beſiegte
Seinen maͤnnlichen Muth, und ließ ihn lange den Thraͤnen;
Bis daß ſtaͤrkre Gedanken die ſich ergießenden Zaͤhren
Etwas gehemmt. Sobald er die Rede von neuem bekommen,
Schmolz ſein zaͤrtliches Herz in dieſe beweglichen Klagen:
O armſeeliges Menſchengeſchlecht! wie biſt du gefallen,
O wie biſt du erniedert! zu welchem erbaͤrmlichen Zuſtand
Aufbehalten! Es waͤre dir beſſer, du naͤhmſt, nicht gebohren,
Hier dein Ende! Ward darum uns nur das Leben geſchenket,
So uns wieder entrungen zu werden? Und drang man es uns nicht
Mit Gewalt auf? Kannte man das, was man uns geſchenket?
O wer wuͤrde das Leben gar nicht entweder verlangen,
Oder bald drauf das Schickſal flehn, es wieder zu nehmen,
Gluͤcklich, wenn er noch ſo in Frieden erlaſſen ſich ſaͤhe!
Kann am Menſchen des Ewigen Bild, das ehmals ſo herrlich,
So vollkommen geſtralt, obgleich es itzo verderbt iſt,
Zu ſo ſchrecklichen Leiden, zu ſo unmenſchlichen Schmerzen,
Welche kein Auge betrachten kann, erniedriget werden?
Sollte der Menſch nicht, da er zum Theil das Ebenbild Gottes
Noch beſitzt, von ſolcher entſtellenden Haͤßlichkeit frey ſeyn,
Und ſich wegen der Gleichheit mit ſeinem Schoͤpfer verſchont ſehn?
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