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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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wohl mit Worten äusserlich, erhebende, lobend und
preisende. Wie nun allerdings das von vielen
Menschen gebräuchliche Gewohnheits-Gebet ohne
Hertzens-Andacht ein leeres unnützes Gewäsch ist,
und nichts nützet: so ist hingegen das aufrichtige,
andächtige, hertzinnige Gebet ein kräfftiger Magnet,
welcher die Gnade GOttes an sich ziehet, und GOtt
gleichsam beweget solches zu erhören. Wir können
freylich GOtt nichts geben oder nehmen: alleine
der Herr Nicander (welcher alles nach seiner Ver-
nunfft abmessen will) wird mir doch das zugeben:
daß es auch raisonabler in dem Licht der Natur selb-
sten gegründet: daß der Schöpffer sich ehender zu
denen, die ihn anruffen und verehren, wenden werde;
als zu denen, welche ihm gleichsam den Rücken keh-
ren, seiner keinesweges achten, sondern gleich dem
Viehe dahin leben.
Nicander. Daß man GOtt als das höchste
Wesen billig venerire, und dem Gesetz der Natur
nach seiner Erkänutnis gemäß tugendsam leben
solle; bin ich gar nicht in Abrede: daß man aber
durch das Gebet viel erlangen solle, weiß ich nicht.
Sintemahlen auch die Erfahrung lehret: daß öff-
ters die allertugendhaffteste und frömmste Männer
eben nicht die glücklichsten sind, sondern öffters in
grosse Leiden, Noth und Tod gerathen.
Modestin. Hier müssen wir das vorhergehende
richtig zu entscheiden, erstlich fest setzen: daß die
höchste Glükseeligkeit, auch in allerley Trübsalen,
Leiden und dem Tode selbst doch bestehen könne:
und da wird sichs zeigen, daß zwischen einem Got-
tes-


wohl mit Worten aͤuſſerlich, erhebende, lobend und
preiſende. Wie nun allerdings das von vielen
Menſchen gebraͤuchliche Gewohnheits-Gebet ohne
Hertzens-Andacht ein leeres unnuͤtzes Gewaͤſch iſt,
und nichts nuͤtzet: ſo iſt hingegen das aufrichtige,
andaͤchtige, hertzinnige Gebet ein kraͤfftiger Magnet,
welcher die Gnade GOttes an ſich ziehet, und GOtt
gleichſam beweget ſolches zu erhoͤren. Wir koͤnnen
freylich GOtt nichts geben oder nehmen: alleine
der Herr Nicander (welcher alles nach ſeiner Ver-
nunfft abmeſſen will) wird mir doch das zugeben:
daß es auch raiſonabler in dem Licht der Natur ſelb-
ſten gegruͤndet: daß der Schoͤpffer ſich ehender zu
denen, die ihn anruffen und verehren, wenden werde;
als zu denen, welche ihm gleichſam den Ruͤcken keh-
ren, ſeiner keinesweges achten, ſondern gleich dem
Viehe dahin leben.
Nicander. Daß man GOtt als das hoͤchſte
Weſen billig venerire, und dem Geſetz der Natur
nach ſeiner Erkaͤnutnis gemaͤß tugendſam leben
ſolle; bin ich gar nicht in Abrede: daß man aber
durch das Gebet viel erlangen ſolle, weiß ich nicht.
Sintemahlen auch die Erfahrung lehret: daß oͤff-
ters die allertugendhaffteſte und froͤmmſte Maͤnner
eben nicht die gluͤcklichſten ſind, ſondern oͤffters in
groſſe Leiden, Noth und Tod gerathen.
Modeſtin. Hier muͤſſen wir das vorhergehende
richtig zu entſcheiden, erſtlich feſt ſetzen: daß die
hoͤchſte Gluͤkſeeligkeit, auch in allerley Truͤbſalen,
Leiden und dem Tode ſelbſt doch beſtehen koͤnne:
und da wird ſichs zeigen, daß zwiſchen einem Got-
tes-
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[50/0056] wohl mit Worten aͤuſſerlich, erhebende, lobend und preiſende. Wie nun allerdings das von vielen Menſchen gebraͤuchliche Gewohnheits-Gebet ohne Hertzens-Andacht ein leeres unnuͤtzes Gewaͤſch iſt, und nichts nuͤtzet: ſo iſt hingegen das aufrichtige, andaͤchtige, hertzinnige Gebet ein kraͤfftiger Magnet, welcher die Gnade GOttes an ſich ziehet, und GOtt gleichſam beweget ſolches zu erhoͤren. Wir koͤnnen freylich GOtt nichts geben oder nehmen: alleine der Herr Nicander (welcher alles nach ſeiner Ver- nunfft abmeſſen will) wird mir doch das zugeben: daß es auch raiſonabler in dem Licht der Natur ſelb- ſten gegruͤndet: daß der Schoͤpffer ſich ehender zu denen, die ihn anruffen und verehren, wenden werde; als zu denen, welche ihm gleichſam den Ruͤcken keh- ren, ſeiner keinesweges achten, ſondern gleich dem Viehe dahin leben. Nicander. Daß man GOtt als das hoͤchſte Weſen billig venerire, und dem Geſetz der Natur nach ſeiner Erkaͤnutnis gemaͤß tugendſam leben ſolle; bin ich gar nicht in Abrede: daß man aber durch das Gebet viel erlangen ſolle, weiß ich nicht. Sintemahlen auch die Erfahrung lehret: daß oͤff- ters die allertugendhaffteſte und froͤmmſte Maͤnner eben nicht die gluͤcklichſten ſind, ſondern oͤffters in groſſe Leiden, Noth und Tod gerathen. Modeſtin. Hier muͤſſen wir das vorhergehende richtig zu entſcheiden, erſtlich feſt ſetzen: daß die hoͤchſte Gluͤkſeeligkeit, auch in allerley Truͤbſalen, Leiden und dem Tode ſelbſt doch beſtehen koͤnne: und da wird ſichs zeigen, daß zwiſchen einem Got- tes-

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/56>, abgerufen am 23.05.2024.