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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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muß er entweder in Ruhe, Friede, Freude; oder
aber in Angst, Quaal und Pein seyn.
Nicander. Das könte zwar wohl seyn: aber das
kan doch aus der Natur nicht erwiesen werden, daß
es so seye. Denn es könte auch seyn: daß der Geist
in sein Chaos eingienge, und keine absonderliche
Empfindung mehr hätte; weder vom Wohl-noch
Weh-seyn.
Modestin. Wir wollen es noch sehen. Daß ein
grosser Unterschied seye zwischen Wohl-und Weh-
seyn, braucht keines Beweises; ingleichen auch, daß
verschiedenes Thun und Lassen physice und seiner
Natur nach ein Wohl oder hingegen Wehe nach
sich ziehe. Wo nun auch ingleichen moraliter die
Wercke, welche der Mensch bey Leibes-Leben ge-
wohnt ist zu thun, demselben im Tode folgen: ist
es nicht probabel, daß seine Seele oder Geist nach
der Abscheidung vom Leibe noch Vergnügen oder
Mißvergnügen, Freude oder Pein empfinde.
Nicander. Dieses kan zwar seyn: aber das ist
dahero auch noch nicht erwiesen; wie schon oben
gesagt.
Modestin. Nun wohlan! Wo aber eine Sache
von äusserster Wichtigkeit ist, das sicherste Theil
zu erwählen: so ists ja auch allerdings der Mühe
werth darum besorget zu seyn. Dieses wird er mir
verhoffentlich zugestehen.
Nicander. Gantz gerne.
Modestin. Da mein Freund mir zugestanden:
daß es nicht unwahrscheinlich seye, daß der Geist
des Menschen nach diesem Leben bestehen, oder auch
Freude
F 4


muß er entweder in Ruhe, Friede, Freude; oder
aber in Angſt, Quaal und Pein ſeyn.
Nicander. Das koͤnte zwar wohl ſeyn: aber das
kan doch aus der Natur nicht erwieſen werden, daß
es ſo ſeye. Denn es koͤnte auch ſeyn: daß der Geiſt
in ſein Chaos eingienge, und keine abſonderliche
Empfindung mehr haͤtte; weder vom Wohl-noch
Weh-ſeyn.
Modeſtin. Wir wollen es noch ſehen. Daß ein
groſſer Unterſchied ſeye zwiſchen Wohl-und Weh-
ſeyn, braucht keines Beweiſes; ingleichen auch, daß
verſchiedenes Thun und Laſſen phyſice und ſeiner
Natur nach ein Wohl oder hingegen Wehe nach
ſich ziehe. Wo nun auch ingleichen moraliter die
Wercke, welche der Menſch bey Leibes-Leben ge-
wohnt iſt zu thun, demſelben im Tode folgen: iſt
es nicht probabel, daß ſeine Seele oder Geiſt nach
der Abſcheidung vom Leibe noch Vergnuͤgen oder
Mißvergnuͤgen, Freude oder Pein empfinde.
Nicander. Dieſes kan zwar ſeyn: aber das iſt
dahero auch noch nicht erwieſen; wie ſchon oben
geſagt.
Modeſtin. Nun wohlan! Wo aber eine Sache
von aͤuſſerſter Wichtigkeit iſt, das ſicherſte Theil
zu erwaͤhlen: ſo iſts ja auch allerdings der Muͤhe
werth darum beſorget zu ſeyn. Dieſes wird er mir
verhoffentlich zugeſtehen.
Nicander. Gantz gerne.
Modeſtin. Da mein Freund mir zugeſtanden:
daß es nicht unwahrſcheinlich ſeye, daß der Geiſt
des Menſchen nach dieſem Leben beſtehen, oder auch
Freude
F 4
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[87/0093] muß er entweder in Ruhe, Friede, Freude; oder aber in Angſt, Quaal und Pein ſeyn. Nicander. Das koͤnte zwar wohl ſeyn: aber das kan doch aus der Natur nicht erwieſen werden, daß es ſo ſeye. Denn es koͤnte auch ſeyn: daß der Geiſt in ſein Chaos eingienge, und keine abſonderliche Empfindung mehr haͤtte; weder vom Wohl-noch Weh-ſeyn. Modeſtin. Wir wollen es noch ſehen. Daß ein groſſer Unterſchied ſeye zwiſchen Wohl-und Weh- ſeyn, braucht keines Beweiſes; ingleichen auch, daß verſchiedenes Thun und Laſſen phyſice und ſeiner Natur nach ein Wohl oder hingegen Wehe nach ſich ziehe. Wo nun auch ingleichen moraliter die Wercke, welche der Menſch bey Leibes-Leben ge- wohnt iſt zu thun, demſelben im Tode folgen: iſt es nicht probabel, daß ſeine Seele oder Geiſt nach der Abſcheidung vom Leibe noch Vergnuͤgen oder Mißvergnuͤgen, Freude oder Pein empfinde. Nicander. Dieſes kan zwar ſeyn: aber das iſt dahero auch noch nicht erwieſen; wie ſchon oben geſagt. Modeſtin. Nun wohlan! Wo aber eine Sache von aͤuſſerſter Wichtigkeit iſt, das ſicherſte Theil zu erwaͤhlen: ſo iſts ja auch allerdings der Muͤhe werth darum beſorget zu ſeyn. Dieſes wird er mir verhoffentlich zugeſtehen. Nicander. Gantz gerne. Modeſtin. Da mein Freund mir zugeſtanden: daß es nicht unwahrſcheinlich ſeye, daß der Geiſt des Menſchen nach dieſem Leben beſtehen, oder auch Freude F 4

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/93>, abgerufen am 26.11.2024.