Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene
irdische Nahrung verschmäht, wie seltsam schauer¬
lich wandelt seine Stimme auf den Sprossen einer
luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er
fordert schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem
Geist die Zeit gemessen; weit, weit, weit ist der
Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren
Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter
dem wachsenden Andrang der höllischen Mächte, rath¬
los ringt, sich sträubt und windet, und endlich unter¬
geht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit
in jeder Geberde -- wem zitterten nicht Herz und
Nieren vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Ge¬
fühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schau¬
spiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines
herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider
Willen gleichsam Partei für diese blinde Größe und
theilen knirschend ihren Schmerz im reißenden Ver¬
lauf ihrer Selbstvernichtung.

Der Componist war am Ziele. Eine Zeitlang
wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuerst zu
brechen.

"Geben Sie uns," fing endlich, mit noch be¬
klemmtem Athem, die Gräfin an, "geben Sie uns,

Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene
irdiſche Nahrung verſchmäht, wie ſeltſam ſchauer¬
lich wandelt ſeine Stimme auf den Sproſſen einer
luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er
fordert ſchleunigen Entſchluß zur Buße: kurz iſt dem
Geiſt die Zeit gemeſſen; weit, weit, weit iſt der
Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren
Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter
dem wachſenden Andrang der hölliſchen Mächte, rath¬
los ringt, ſich ſträubt und windet, und endlich unter¬
geht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit
in jeder Geberde — wem zitterten nicht Herz und
Nieren vor Luſt und Angſt zugleich? Es iſt ein Ge¬
fühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schau¬
ſpiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines
herrlichen Schiffes anſtaunt. Wir nehmen wider
Willen gleichſam Partei für dieſe blinde Größe und
theilen knirſchend ihren Schmerz im reißenden Ver¬
lauf ihrer Selbſtvernichtung.

Der Componiſt war am Ziele. Eine Zeitlang
wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuerſt zu
brechen.

„Geben Sie uns,“ fing endlich, mit noch be¬
klemmtem Athem, die Gräfin an, „geben Sie uns,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0116" n="104"/>
Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene<lb/>
irdi&#x017F;che Nahrung ver&#x017F;chmäht, wie &#x017F;elt&#x017F;am &#x017F;chauer¬<lb/>
lich wandelt &#x017F;eine Stimme auf den Spro&#x017F;&#x017F;en einer<lb/>
luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er<lb/>
fordert &#x017F;chleunigen Ent&#x017F;chluß zur Buße: kurz i&#x017F;t dem<lb/>
Gei&#x017F;t die Zeit geme&#x017F;&#x017F;en; weit, weit, weit i&#x017F;t der<lb/>
Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren<lb/>
Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter<lb/>
dem wach&#x017F;enden Andrang der hölli&#x017F;chen Mächte, rath¬<lb/>
los ringt, &#x017F;ich &#x017F;träubt und windet, und endlich unter¬<lb/>
geht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit<lb/>
in jeder Geberde &#x2014; wem zitterten nicht Herz und<lb/>
Nieren vor Lu&#x017F;t und Ang&#x017F;t zugleich? Es i&#x017F;t ein Ge¬<lb/>
fühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schau¬<lb/>
&#x017F;piel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines<lb/>
herrlichen Schiffes an&#x017F;taunt. Wir nehmen wider<lb/>
Willen gleich&#x017F;am Partei für die&#x017F;e blinde Größe und<lb/>
theilen knir&#x017F;chend ihren Schmerz im reißenden Ver¬<lb/>
lauf ihrer Selb&#x017F;tvernichtung.</p><lb/>
      <p>Der Componi&#x017F;t war am Ziele. Eine Zeitlang<lb/>
wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuer&#x017F;t zu<lb/>
brechen.</p><lb/>
      <p>&#x201E;Geben Sie uns,&#x201C; fing endlich, mit noch be¬<lb/>
klemmtem Athem, die Gräfin an, &#x201E;geben Sie uns,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0116] Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene irdiſche Nahrung verſchmäht, wie ſeltſam ſchauer¬ lich wandelt ſeine Stimme auf den Sproſſen einer luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und nieder! Er fordert ſchleunigen Entſchluß zur Buße: kurz iſt dem Geiſt die Zeit gemeſſen; weit, weit, weit iſt der Weg! Und wenn nun Don Juan, im ungeheuren Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter dem wachſenden Andrang der hölliſchen Mächte, rath¬ los ringt, ſich ſträubt und windet, und endlich unter¬ geht, noch mit dem vollen Ausdruck der Erhabenheit in jeder Geberde — wem zitterten nicht Herz und Nieren vor Luſt und Angſt zugleich? Es iſt ein Ge¬ fühl, ähnlich dem, womit man das prächtige Schau¬ ſpiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines herrlichen Schiffes anſtaunt. Wir nehmen wider Willen gleichſam Partei für dieſe blinde Größe und theilen knirſchend ihren Schmerz im reißenden Ver¬ lauf ihrer Selbſtvernichtung. Der Componiſt war am Ziele. Eine Zeitlang wagte niemand, das allgemeine Schweigen zuerſt zu brechen. „Geben Sie uns,“ fing endlich, mit noch be¬ klemmtem Athem, die Gräfin an, „geben Sie uns,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/116
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/116>, abgerufen am 18.05.2024.