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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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stanzens aus! Oft war es ihr, als säße sie, von
einem Dämon, von einem höllischen Wesen umschlun-
gen, in entsetzlicher Unmacht festgebannt; Lust und
Unlust empörten sich wechselseitig in ihrem Innern,
sie überließ sich seinem Kusse mit einem scyneidenden
Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, sie empfand
es unerträglich, wie elend sie sich verirrt, wie thöricht
rasend ihre Einbildung sey, als ob sie auf diese Art
an jenem Verräther heimlich Rache üben könnte!
Er -- (so rief, so wimmerte es in ihrer Seele) ja
er allein hat es verschuldet, daß Constanze so sich
verläugnet, daß ich thue, was ich sonst verabscheut
hätte, und doch -- wie wird Alles werden? wie soll
das enden? wohl, wohl -- mag es, wie es kann! --
Sie rang sich los, drückte den Kopf in die Purpur-
kissen des Sopha, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog
das Herz, er berührte sie schüchtern, er bat, er be-
schwor sie um Fassung; sie möge sich doch besinnen,
warum sie denn eigentlich verzweifle, ob das unfrei-
willige Bekenntniß einer Neigung, die ihn auf ewig
zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich aus-
gesöhnten Menschen zu machen bestimmt sey, ob die
Furcht, daß dieses schöne Verständniß jemals dem ro-
hen Urtheil der Menschen bloßgestellt werden könne,
ob ein Zweifel an seiner Verschwiegenheit, an seiner
Treue, ein Zweifel an seiner Ehrfurcht vor ihrer Tu-
gend sie quäle? "Constanze! Theure! Geliebte!
blicken Sie auf! sagen Sie, daß ich für heute, für

ſtanzens aus! Oft war es ihr, als ſäße ſie, von
einem Dämon, von einem hölliſchen Weſen umſchlun-
gen, in entſetzlicher Unmacht feſtgebannt; Luſt und
Unluſt empörten ſich wechſelſeitig in ihrem Innern,
ſie überließ ſich ſeinem Kuſſe mit einem ſcyneidenden
Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, ſie empfand
es unerträglich, wie elend ſie ſich verirrt, wie thöricht
raſend ihre Einbildung ſey, als ob ſie auf dieſe Art
an jenem Verräther heimlich Rache üben könnte!
Er — (ſo rief, ſo wimmerte es in ihrer Seele) ja
er allein hat es verſchuldet, daß Conſtanze ſo ſich
verläugnet, daß ich thue, was ich ſonſt verabſcheut
hätte, und doch — wie wird Alles werden? wie ſoll
das enden? wohl, wohl — mag es, wie es kann! —
Sie rang ſich los, drückte den Kopf in die Purpur-
kiſſen des Sopha, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog
das Herz, er berührte ſie ſchüchtern, er bat, er be-
ſchwor ſie um Faſſung; ſie möge ſich doch beſinnen,
warum ſie denn eigentlich verzweifle, ob das unfrei-
willige Bekenntniß einer Neigung, die ihn auf ewig
zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich aus-
geſöhnten Menſchen zu machen beſtimmt ſey, ob die
Furcht, daß dieſes ſchöne Verſtändniß jemals dem ro-
hen Urtheil der Menſchen bloßgeſtellt werden könne,
ob ein Zweifel an ſeiner Verſchwiegenheit, an ſeiner
Treue, ein Zweifel an ſeiner Ehrfurcht vor ihrer Tu-
gend ſie quäle? „Conſtanze! Theure! Geliebte!
blicken Sie auf! ſagen Sie, daß ich für heute, für

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[243/0251] ſtanzens aus! Oft war es ihr, als ſäße ſie, von einem Dämon, von einem hölliſchen Weſen umſchlun- gen, in entſetzlicher Unmacht feſtgebannt; Luſt und Unluſt empörten ſich wechſelſeitig in ihrem Innern, ſie überließ ſich ſeinem Kuſſe mit einem ſcyneidenden Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, ſie empfand es unerträglich, wie elend ſie ſich verirrt, wie thöricht raſend ihre Einbildung ſey, als ob ſie auf dieſe Art an jenem Verräther heimlich Rache üben könnte! Er — (ſo rief, ſo wimmerte es in ihrer Seele) ja er allein hat es verſchuldet, daß Conſtanze ſo ſich verläugnet, daß ich thue, was ich ſonſt verabſcheut hätte, und doch — wie wird Alles werden? wie ſoll das enden? wohl, wohl — mag es, wie es kann! — Sie rang ſich los, drückte den Kopf in die Purpur- kiſſen des Sopha, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog das Herz, er berührte ſie ſchüchtern, er bat, er be- ſchwor ſie um Faſſung; ſie möge ſich doch beſinnen, warum ſie denn eigentlich verzweifle, ob das unfrei- willige Bekenntniß einer Neigung, die ihn auf ewig zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich aus- geſöhnten Menſchen zu machen beſtimmt ſey, ob die Furcht, daß dieſes ſchöne Verſtändniß jemals dem ro- hen Urtheil der Menſchen bloßgeſtellt werden könne, ob ein Zweifel an ſeiner Verſchwiegenheit, an ſeiner Treue, ein Zweifel an ſeiner Ehrfurcht vor ihrer Tu- gend ſie quäle? „Conſtanze! Theure! Geliebte! blicken Sie auf! ſagen Sie, daß ich für heute, für

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/251>, abgerufen am 02.06.2024.