jezt, mich entfernen soll, fordern Sie, daß ich Sie mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort, mit keiner Miene, keinem leisen Wunsche mehr an diesen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeß- lich bleiben; so wie jezt wird auf ewig dieses Zimmer, wird das Licht dieser Kerze und wovon es Zeuge ge- wesen, vor meiner Erinnerung stehen -- o Gott! und so, in dieser traurig abgewendeten Lage muß die Ge- stalt der edelsten Frau vor mir erscheinen, um allen himmlischen Reiz des vorigen Augenblicks wieder aus- zulöschen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie sich nicht aufrichten, wenn ich Sie so verlassen muß."
Er faßte sie schonend an beiden Schultern, und sanft rückwärts gebeugt lehnte sie den Kopf an ihn, so daß die offenen schwimmenden Augen unter seinem Kinne aufblickten. Freundlich gedaukenlos schaut sie hinan, freundlich senkt er die Lippen auf die klare Stirne nieder.
Lang unterbrach die athmende Stille nichts. End- lich sagt er heiter: "Ist's nicht ein artig Sprüch- wort, wenn man bei der eingetretenen Pause eines lange gemüthlich fortgesezten Gesprächs zu sagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?"
Constanze schüttelte, als wollte sie sagen: der vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl ei- nen so friedsamen Geist nicht herbeilocken können.
Abermals versagt ihm ein weiteres Wort; er sinnt über den Zustand der Gräfin nach, der ihm auf's
jezt, mich entfernen ſoll, fordern Sie, daß ich Sie mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort, mit keiner Miene, keinem leiſen Wunſche mehr an dieſen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeß- lich bleiben; ſo wie jezt wird auf ewig dieſes Zimmer, wird das Licht dieſer Kerze und wovon es Zeuge ge- weſen, vor meiner Erinnerung ſtehen — o Gott! und ſo, in dieſer traurig abgewendeten Lage muß die Ge- ſtalt der edelſten Frau vor mir erſcheinen, um allen himmliſchen Reiz des vorigen Augenblicks wieder aus- zulöſchen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie ſich nicht aufrichten, wenn ich Sie ſo verlaſſen muß.“
Er faßte ſie ſchonend an beiden Schultern, und ſanft rückwärts gebeugt lehnte ſie den Kopf an ihn, ſo daß die offenen ſchwimmenden Augen unter ſeinem Kinne aufblickten. Freundlich gedaukenlos ſchaut ſie hinan, freundlich ſenkt er die Lippen auf die klare Stirne nieder.
Lang unterbrach die athmende Stille nichts. End- lich ſagt er heiter: „Iſt’s nicht ein artig Sprüch- wort, wenn man bei der eingetretenen Pauſe eines lange gemüthlich fortgeſezten Geſprächs zu ſagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?“
Conſtanze ſchüttelte, als wollte ſie ſagen: der vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl ei- nen ſo friedſamen Geiſt nicht herbeilocken können.
Abermals verſagt ihm ein weiteres Wort; er ſinnt über den Zuſtand der Gräfin nach, der ihm auf’s
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jezt, mich entfernen ſoll, fordern Sie, daß ich Sie
mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort,
mit keiner Miene, keinem leiſen Wunſche mehr an
dieſen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeß-
lich bleiben; ſo wie jezt wird auf ewig dieſes Zimmer,
wird das Licht dieſer Kerze und wovon es Zeuge ge-
weſen, vor meiner Erinnerung ſtehen — o Gott! und
ſo, in dieſer traurig abgewendeten Lage muß die Ge-
ſtalt der edelſten Frau vor mir erſcheinen, um allen
himmliſchen Reiz des vorigen Augenblicks wieder aus-
zulöſchen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie
ſich nicht aufrichten, wenn ich Sie ſo verlaſſen muß.“
Er faßte ſie ſchonend an beiden Schultern, und
ſanft rückwärts gebeugt lehnte ſie den Kopf an ihn,
ſo daß die offenen ſchwimmenden Augen unter ſeinem
Kinne aufblickten. Freundlich gedaukenlos ſchaut ſie
hinan, freundlich ſenkt er die Lippen auf die klare
Stirne nieder.
Lang unterbrach die athmende Stille nichts. End-
lich ſagt er heiter: „Iſt’s nicht ein artig Sprüch-
wort, wenn man bei der eingetretenen Pauſe eines
lange gemüthlich fortgeſezten Geſprächs zu ſagen
pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?“
Conſtanze ſchüttelte, als wollte ſie ſagen: der
vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl ei-
nen ſo friedſamen Geiſt nicht herbeilocken können.
Abermals verſagt ihm ein weiteres Wort; er
ſinnt über den Zuſtand der Gräfin nach, der ihm auf’s
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/252>, abgerufen am 27.07.2024.
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