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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Uebrigens hatte er wohl Grund, sich über seine
wachsende Neigung so gut wie möglich zu mystificiren,
denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch
immer ihre stillen Rechte an sein Herz geltend, ob-
wohl er dieselben mit einiger Ueberredung des Ge-
wissens bereits entschieden zu verwerfen angefangen
hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene
Jüngling erstmals in der Liebe zu einem höchst un-
schuldigen Geschöpfe gefunden, war ihm seit Kurzem
durch einen unglückseligen Umstand gestört worden,
der für das reizbare Gemüth alsbald die Ursache zu
eben so verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen
ward. Die Sache hatte wirklich so vielen Schein,
daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wor-
tes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr selbst nicht
im Geringsten den Grund dieser Veränderung zu er-
kennen gab. Mit unversöhnlichem Schmerz verhärtete
er sich schnell in dem Wahne, daß der edle Boden
dieses schönen Verhältnisses für immerdar erschüttert
sey, und daß er sich noch glücklich schätzen müsse, wenn
es ihm gelänge, mit der Bitterkeit seines gekränkten
Bewußtseyns jeden Rest von Sehnsucht in sich zu er-
tödten und zu vergiften. In der That blieb aber
dieser traurige Verlust nicht ohne gute Folgen für
sein ganzes Wesen; denn offenbar half diese Erfah-
rung nicht wenig seinen Eifer für die Kunst beleben,
welche ihm nunmehr Ein und Alles, das höchste Ziel
seiner Wünsche seyn sollte. Vermochte er nun aber

Uebrigens hatte er wohl Grund, ſich über ſeine
wachſende Neigung ſo gut wie möglich zu myſtificiren,
denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch
immer ihre ſtillen Rechte an ſein Herz geltend, ob-
wohl er dieſelben mit einiger Ueberredung des Ge-
wiſſens bereits entſchieden zu verwerfen angefangen
hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene
Jüngling erſtmals in der Liebe zu einem höchſt un-
ſchuldigen Geſchöpfe gefunden, war ihm ſeit Kurzem
durch einen unglückſeligen Umſtand geſtört worden,
der für das reizbare Gemüth alsbald die Urſache zu
eben ſo verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen
ward. Die Sache hatte wirklich ſo vielen Schein,
daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wor-
tes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr ſelbſt nicht
im Geringſten den Grund dieſer Veränderung zu er-
kennen gab. Mit unverſöhnlichem Schmerz verhärtete
er ſich ſchnell in dem Wahne, daß der edle Boden
dieſes ſchönen Verhältniſſes für immerdar erſchüttert
ſey, und daß er ſich noch glücklich ſchätzen müſſe, wenn
es ihm gelänge, mit der Bitterkeit ſeines gekränkten
Bewußtſeyns jeden Reſt von Sehnſucht in ſich zu er-
tödten und zu vergiften. In der That blieb aber
dieſer traurige Verluſt nicht ohne gute Folgen für
ſein ganzes Weſen; denn offenbar half dieſe Erfah-
rung nicht wenig ſeinen Eifer für die Kunſt beleben,
welche ihm nunmehr Ein und Alles, das höchſte Ziel
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[28/0036] Uebrigens hatte er wohl Grund, ſich über ſeine wachſende Neigung ſo gut wie möglich zu myſtificiren, denn eine früher geknüpfte Verbindung machte noch immer ihre ſtillen Rechte an ſein Herz geltend, ob- wohl er dieſelben mit einiger Ueberredung des Ge- wiſſens bereits entſchieden zu verwerfen angefangen hatte. Das reine Glück, welches der unverdorbene Jüngling erſtmals in der Liebe zu einem höchſt un- ſchuldigen Geſchöpfe gefunden, war ihm ſeit Kurzem durch einen unglückſeligen Umſtand geſtört worden, der für das reizbare Gemüth alsbald die Urſache zu eben ſo verzeihlichem als hartnäckigem Mißtrauen ward. Die Sache hatte wirklich ſo vielen Schein, daß er das entfernt wohnende Mädchen keines Wor- tes, keines Zeichens mehr würdigte, ihr ſelbſt nicht im Geringſten den Grund dieſer Veränderung zu er- kennen gab. Mit unverſöhnlichem Schmerz verhärtete er ſich ſchnell in dem Wahne, daß der edle Boden dieſes ſchönen Verhältniſſes für immerdar erſchüttert ſey, und daß er ſich noch glücklich ſchätzen müſſe, wenn es ihm gelänge, mit der Bitterkeit ſeines gekränkten Bewußtſeyns jeden Reſt von Sehnſucht in ſich zu er- tödten und zu vergiften. In der That blieb aber dieſer traurige Verluſt nicht ohne gute Folgen für ſein ganzes Weſen; denn offenbar half dieſe Erfah- rung nicht wenig ſeinen Eifer für die Kunſt beleben, welche ihm nunmehr Ein und Alles, das höchſte Ziel ſeiner Wünſche ſeyn ſollte. Vermochte er nun aber

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/36>, abgerufen am 09.11.2024.