Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

um das goldreine Christengelsbild, das ich mir so
nach und nach von dem Mädchen construirte. Mord
und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt
soll denken können, wobei einem der alte Verderber
nicht wieder ein Eselsohr drehte! Ich möcht' mich in
Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, --
für mich ist nichts mehr zu verlieren: nein, nur um
Noltens willen, der so ehrlich, gut knabenartig sein
Ideal in einer Dorflaube salvirt glaubte und nun
eben auch in faule Aepfel beißen soll. So geht's, --
ei, und am Ende haben wir's All' nicht besser ver-
dient. Aber laß sehn, es fragt sich ja immer noch --
Verflucht! was doch das Mißtrauen ansteckt! Stand
nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd-
chen fest wie ein Fels? und, sachte beim Licht besehn,
steht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma-
schinen getrost fortspielen! meine Maskencorrespondenz
mit dem Liebchen mag dauern so lang sich's thut. Bin
ich durch diese sechs Monat lange Uebung im Styl der
Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenweise
nicht so ganz und gar zum andern Nolten geworden,
daß ich fast fürchten muß, das Mädchen, wenn heut
oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte sich in
mich verlieben? was denn ceteris paribus auch so
übel nicht wäre. Doch, soviel ist gewiß, ich glaube
für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem
meine gewandte Handschrift [ - 4 Zeichen fehlen]rauchte, mir hinläng-
liche Absolution dadurch er[ - 3 Zeichen fehlen]ben zu haben, daß ich

um das goldreine Chriſtengelsbild, das ich mir ſo
nach und nach von dem Mädchen conſtruirte. Mord
und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt
ſoll denken können, wobei einem der alte Verderber
nicht wieder ein Eſelsohr drehte! Ich möcht’ mich in
Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, —
für mich iſt nichts mehr zu verlieren: nein, nur um
Noltens willen, der ſo ehrlich, gut knabenartig ſein
Ideal in einer Dorflaube ſalvirt glaubte und nun
eben auch in faule Aepfel beißen ſoll. So geht’s, —
ei, und am Ende haben wir’s All’ nicht beſſer ver-
dient. Aber laß ſehn, es fragt ſich ja immer noch —
Verflucht! was doch das Mißtrauen anſteckt! Stand
nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd-
chen feſt wie ein Fels? und, ſachte beim Licht beſehn,
ſteht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma-
ſchinen getroſt fortſpielen! meine Maskencorreſpondenz
mit dem Liebchen mag dauern ſo lang ſich’s thut. Bin
ich durch dieſe ſechs Monat lange Uebung im Styl der
Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenweiſe
nicht ſo ganz und gar zum andern Nolten geworden,
daß ich faſt fürchten muß, das Mädchen, wenn heut
oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte ſich in
mich verlieben? was denn ceteris paribus auch ſo
übel nicht wäre. Doch, ſoviel iſt gewiß, ich glaube
für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem
meine gewandte Handſchrift [ – 4 Zeichen fehlen]rauchte, mir hinläng-
liche Abſolution dadurch er[ – 3 Zeichen fehlen]ben zu haben, daß ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="64"/>
um das goldreine Chri&#x017F;tengelsbild, das ich mir &#x017F;o<lb/>
nach und nach von dem Mädchen con&#x017F;truirte. Mord<lb/>
und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt<lb/>
&#x017F;oll denken können, wobei einem der alte Verderber<lb/>
nicht wieder ein E&#x017F;elsohr drehte! Ich möcht&#x2019; mich in<lb/>
Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, &#x2014;<lb/>
für mich i&#x017F;t nichts mehr zu verlieren: nein, nur um<lb/><hi rendition="#g">Noltens</hi> willen, der &#x017F;o ehrlich, gut knabenartig &#x017F;ein<lb/>
Ideal in einer Dorflaube &#x017F;alvirt glaubte und nun<lb/>
eben auch in faule Aepfel beißen &#x017F;oll. So geht&#x2019;s, &#x2014;<lb/>
ei, und am Ende haben wir&#x2019;s All&#x2019; nicht be&#x017F;&#x017F;er ver-<lb/>
dient. Aber laß &#x017F;ehn, es fragt &#x017F;ich ja immer noch &#x2014;<lb/>
Verflucht! was doch das Mißtrauen an&#x017F;teckt! Stand<lb/>
nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd-<lb/>
chen fe&#x017F;t wie ein Fels? und, &#x017F;achte beim Licht be&#x017F;ehn,<lb/>
&#x017F;teht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma-<lb/>
&#x017F;chinen getro&#x017F;t fort&#x017F;pielen! meine Maskencorre&#x017F;pondenz<lb/>
mit dem Liebchen mag dauern &#x017F;o lang &#x017F;ich&#x2019;s thut. Bin<lb/>
ich durch die&#x017F;e &#x017F;echs Monat lange Uebung im Styl der<lb/>
Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenwei&#x017F;e<lb/>
nicht &#x017F;o ganz und gar zum andern <hi rendition="#g">Nolten</hi> geworden,<lb/>
daß ich fa&#x017F;t fürchten muß, das Mädchen, wenn heut<lb/>
oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte &#x017F;ich in<lb/><hi rendition="#g">mich</hi> verlieben? was denn <hi rendition="#aq">ceteris paribus</hi> auch &#x017F;o<lb/>
übel nicht wäre. Doch, &#x017F;oviel i&#x017F;t gewiß, ich glaube<lb/>
für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem<lb/>
meine gewandte Hand&#x017F;chrift <gap unit="chars" quantity="4"/>rauchte, mir hinläng-<lb/>
liche Ab&#x017F;olution dadurch er<gap unit="chars" quantity="3"/>ben zu haben, daß ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0072] um das goldreine Chriſtengelsbild, das ich mir ſo nach und nach von dem Mädchen conſtruirte. Mord und Tod! daß man doch gar, gar Nichts in der Welt ſoll denken können, wobei einem der alte Verderber nicht wieder ein Eſelsohr drehte! Ich möcht’ mich in Stücke reißen vor Wuth! nicht um meinetwillen, — für mich iſt nichts mehr zu verlieren: nein, nur um Noltens willen, der ſo ehrlich, gut knabenartig ſein Ideal in einer Dorflaube ſalvirt glaubte und nun eben auch in faule Aepfel beißen ſoll. So geht’s, — ei, und am Ende haben wir’s All’ nicht beſſer ver- dient. Aber laß ſehn, es fragt ſich ja immer noch — Verflucht! was doch das Mißtrauen anſteckt! Stand nicht bis den Augenblick mein Glaube an das Mäd- chen feſt wie ein Fels? und, ſachte beim Licht beſehn, ſteht er noch wie vor. So laß mich denn meine Ma- ſchinen getroſt fortſpielen! meine Maskencorreſpondenz mit dem Liebchen mag dauern ſo lang ſich’s thut. Bin ich durch dieſe ſechs Monat lange Uebung im Styl der Liebe, im Ausdruck und individueller Gedankenweiſe nicht ſo ganz und gar zum andern Nolten geworden, daß ich faſt fürchten muß, das Mädchen, wenn heut oder Morgen der Spuck an Tag käme, könnte ſich in mich verlieben? was denn ceteris paribus auch ſo übel nicht wäre. Doch, ſoviel iſt gewiß, ich glaube für hundert galante Schurkereien, wozu ich ehedem meine gewandte Handſchrift ____rauchte, mir hinläng- liche Abſolution dadurch er___ben zu haben, daß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/72
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/72>, abgerufen am 09.11.2024.