jezt zuweilen sich über einer Spur von diesen Kin- dereien ertappt."
Der Förster schüttelte den Kopf und ließ nach seiner Gewohnheit, wenn ihn etwas sehr wunderte, ein langes "sss -- t!" vernehmen. Der Baron da- gegen hatte mit einem ununterbrochenen lieben Lächeln zugehört und sagte jezt: "Aehnliche Dinge habe ich von Andern theils gehört, theils gelesen, und Alles, was Sie sagten, trifft mit der Vorstellung überein, die ich von Ihrer Individualität seit früh gehabt. Ueberhaupt preis' ich den jungen Menschen glücklich, der, ohne träge oder dumm zu seyn, hinter seinen Jahren, wie man so spricht, weit zurückbleibt; er trägt gewöhnlich einen ungemeinen Keim in sich, der nur durch die Umstände glücklich entwickelt werden muß. Hier ist jede Absurdität Anfang und Aeuße- rung einer edeln Kraft, und dieses Brüten, wobei man nichts herauskommen sieht, das kein Stück gibt, ist die rechte Sammelzeit des eigentlichen innern Men- schen, der freilich eben nicht viel in die Welt ist. Ich kann es mir nicht reizend und rührend genug vor- stellen, das stille gedämpfte Licht, worin dem Knaben dann die Welt noch schwebt, wo man geneigt ist, den gewöhnlichsten Gegenständen ein fremdes, oft unheim- liches Gepräge aufzudrücken, und ein Geheimniß da- mit zu verbinden, nur damit sie der Phantasie etwas bedeuten, wo hinter jedem sichtbaren Dinge, es sey dieß, was es wolle -- ein Holz, ein Stein, oder der
jezt zuweilen ſich über einer Spur von dieſen Kin- dereien ertappt.“
Der Förſter ſchüttelte den Kopf und ließ nach ſeiner Gewohnheit, wenn ihn etwas ſehr wunderte, ein langes „ſſſ — t!“ vernehmen. Der Baron da- gegen hatte mit einem ununterbrochenen lieben Lächeln zugehört und ſagte jezt: „Aehnliche Dinge habe ich von Andern theils gehört, theils geleſen, und Alles, was Sie ſagten, trifft mit der Vorſtellung überein, die ich von Ihrer Individualität ſeit früh gehabt. Ueberhaupt preiſ’ ich den jungen Menſchen glücklich, der, ohne träge oder dumm zu ſeyn, hinter ſeinen Jahren, wie man ſo ſpricht, weit zurückbleibt; er trägt gewöhnlich einen ungemeinen Keim in ſich, der nur durch die Umſtände glücklich entwickelt werden muß. Hier iſt jede Abſurdität Anfang und Aeuße- rung einer edeln Kraft, und dieſes Brüten, wobei man nichts herauskommen ſieht, das kein Stück gibt, iſt die rechte Sammelzeit des eigentlichen innern Men- ſchen, der freilich eben nicht viel in die Welt iſt. Ich kann es mir nicht reizend und rührend genug vor- ſtellen, das ſtille gedämpfte Licht, worin dem Knaben dann die Welt noch ſchwebt, wo man geneigt iſt, den gewöhnlichſten Gegenſtänden ein fremdes, oft unheim- liches Gepräge aufzudrücken, und ein Geheimniß da- mit zu verbinden, nur damit ſie der Phantaſie etwas bedeuten, wo hinter jedem ſichtbaren Dinge, es ſey dieß, was es wolle — ein Holz, ein Stein, oder der
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jezt zuweilen ſich über einer Spur von dieſen Kin-
dereien ertappt.“
Der Förſter ſchüttelte den Kopf und ließ nach
ſeiner Gewohnheit, wenn ihn etwas ſehr wunderte,
ein langes „ſſſ — t!“ vernehmen. Der Baron da-
gegen hatte mit einem ununterbrochenen lieben Lächeln
zugehört und ſagte jezt: „Aehnliche Dinge habe ich
von Andern theils gehört, theils geleſen, und Alles,
was Sie ſagten, trifft mit der Vorſtellung überein,
die ich von Ihrer Individualität ſeit früh gehabt.
Ueberhaupt preiſ’ ich den jungen Menſchen glücklich,
der, ohne träge oder dumm zu ſeyn, hinter ſeinen
Jahren, wie man ſo ſpricht, weit zurückbleibt; er
trägt gewöhnlich einen ungemeinen Keim in ſich, der
nur durch die Umſtände glücklich entwickelt werden
muß. Hier iſt jede Abſurdität Anfang und Aeuße-
rung einer edeln Kraft, und dieſes Brüten, wobei
man nichts herauskommen ſieht, das kein Stück gibt,
iſt die rechte Sammelzeit des eigentlichen innern Men-
ſchen, der freilich eben nicht viel in die Welt iſt. Ich
kann es mir nicht reizend und rührend genug vor-
ſtellen, das ſtille gedämpfte Licht, worin dem Knaben
dann die Welt noch ſchwebt, wo man geneigt iſt, den
gewöhnlichſten Gegenſtänden ein fremdes, oft unheim-
liches Gepräge aufzudrücken, und ein Geheimniß da-
mit zu verbinden, nur damit ſie der Phantaſie etwas
bedeuten, wo hinter jedem ſichtbaren Dinge, es ſey
dieß, was es wolle — ein Holz, ein Stein, oder der
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/106>, abgerufen am 21.11.2024.
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