chen einen besondern Eindruck, der ihr lange geblie- ben ist. Nun kommt sie einmal (die Gesellschaft war gerade weggegangen) von ihrem Sitz hinter dem Ofen, wo sie eine Zeitlang ganz still gesessen und gestrickt hatte, hervor, stellt sich vor mich hin, sieht mir scharf in's Gesicht und lacht mich an, wie über etwas, das mir schon bewußt seyn müßte, und dabei fährt sie mir mit der Stricknadel schalkhaft über die Stirn. Auf meine Frage, was dieß zu bedeuten habe, gibt sie keine deutliche Antwort und geht wieder an ihren Platz. So treibt sie's zu verschiedenen Zeiten ein paarmal. Zulezt ward ich doch ungeduldig und fuhr sie etwas hart an, da fiel sie in ein Weinen, indem sie sagte: Gesteht es nur Papa, daß es die Länder und Städte gar nicht gibt, von denen Ihr alls redet mit dem Herrn; ich merke wohl, man thut nur so, wenn ich um den Weg bin, ich soll Wunder glauben, was Al- les vorgehe draußen in der Welt, und was doch nicht ist; deßwegen laßt Ihr mich auch nie weiter als bis nach Weil, nach Grebenheim und Neitze. Zwar daß unsers Königs Land sehr groß ist, und daß die Welt noch viel viel weiter geht, auch noch andre Völker sind, weiß ich wohl, aber Paris, das ist gewiß kein Wort, und London, so gibt es keine Stadt; Ihr habt es nur erdacht und thut so bekannt damit, daß ich mir Alles vorstellen soll. -- So ungefähr schwazte das einfältige Ding; halb ärgert's mich, halb mußt ich lachen. Ich gab mir Mühe, ihr Alles klar aus-
chen einen beſondern Eindruck, der ihr lange geblie- ben iſt. Nun kommt ſie einmal (die Geſellſchaft war gerade weggegangen) von ihrem Sitz hinter dem Ofen, wo ſie eine Zeitlang ganz ſtill geſeſſen und geſtrickt hatte, hervor, ſtellt ſich vor mich hin, ſieht mir ſcharf in’s Geſicht und lacht mich an, wie über etwas, das mir ſchon bewußt ſeyn müßte, und dabei fährt ſie mir mit der Stricknadel ſchalkhaft über die Stirn. Auf meine Frage, was dieß zu bedeuten habe, gibt ſie keine deutliche Antwort und geht wieder an ihren Platz. So treibt ſie’s zu verſchiedenen Zeiten ein paarmal. Zulezt ward ich doch ungeduldig und fuhr ſie etwas hart an, da fiel ſie in ein Weinen, indem ſie ſagte: Geſteht es nur Papa, daß es die Länder und Städte gar nicht gibt, von denen Ihr alls redet mit dem Herrn; ich merke wohl, man thut nur ſo, wenn ich um den Weg bin, ich ſoll Wunder glauben, was Al- les vorgehe draußen in der Welt, und was doch nicht iſt; deßwegen laßt Ihr mich auch nie weiter als bis nach Weil, nach Grebenheim und Neitze. Zwar daß unſers Königs Land ſehr groß iſt, und daß die Welt noch viel viel weiter geht, auch noch andre Völker ſind, weiß ich wohl, aber Paris, das iſt gewiß kein Wort, und London, ſo gibt es keine Stadt; Ihr habt es nur erdacht und thut ſo bekannt damit, daß ich mir Alles vorſtellen ſoll. — So ungefähr ſchwazte das einfältige Ding; halb ärgert’s mich, halb mußt ich lachen. Ich gab mir Mühe, ihr Alles klar aus-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="422"/>
chen einen beſondern Eindruck, der ihr lange geblie-<lb/>
ben iſt. Nun kommt ſie einmal (die Geſellſchaft war<lb/>
gerade weggegangen) von ihrem Sitz hinter dem Ofen,<lb/>
wo ſie eine Zeitlang ganz ſtill geſeſſen und geſtrickt<lb/>
hatte, hervor, ſtellt ſich vor mich hin, ſieht mir ſcharf<lb/>
in’s Geſicht und lacht mich an, wie über etwas, das<lb/>
mir ſchon bewußt ſeyn müßte, und dabei fährt ſie mir<lb/>
mit der Stricknadel ſchalkhaft über die Stirn. Auf<lb/>
meine Frage, was dieß zu bedeuten habe, gibt ſie keine<lb/>
deutliche Antwort und geht wieder an ihren Platz.<lb/>
So treibt ſie’s zu verſchiedenen Zeiten ein paarmal.<lb/>
Zulezt ward ich doch ungeduldig und fuhr ſie etwas<lb/>
hart an, da fiel ſie in ein Weinen, indem ſie ſagte:<lb/>
Geſteht es nur Papa, daß es die Länder und Städte<lb/>
gar nicht gibt, von denen Ihr alls redet mit dem<lb/>
Herrn; ich merke wohl, man thut nur ſo, wenn ich<lb/>
um den Weg bin, ich ſoll Wunder glauben, was Al-<lb/>
les vorgehe draußen in der Welt, und was doch nicht<lb/>
iſt; deßwegen laßt Ihr mich auch nie weiter als bis<lb/>
nach Weil, nach Grebenheim und Neitze. Zwar daß<lb/>
unſers Königs Land ſehr groß iſt, und daß die Welt<lb/>
noch viel viel weiter geht, auch noch andre Völker<lb/>ſind, weiß ich wohl, aber <hirendition="#g">Paris</hi>, das iſt gewiß kein<lb/>
Wort, und <hirendition="#g">London</hi>, ſo gibt es keine Stadt; Ihr<lb/>
habt es nur erdacht und thut ſo bekannt damit, daß<lb/>
ich mir Alles vorſtellen ſoll. — So ungefähr ſchwazte<lb/>
das einfältige Ding; halb ärgert’s mich, halb mußt<lb/>
ich lachen. Ich gab mir Mühe, ihr Alles klar aus-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[422/0108]
chen einen beſondern Eindruck, der ihr lange geblie-
ben iſt. Nun kommt ſie einmal (die Geſellſchaft war
gerade weggegangen) von ihrem Sitz hinter dem Ofen,
wo ſie eine Zeitlang ganz ſtill geſeſſen und geſtrickt
hatte, hervor, ſtellt ſich vor mich hin, ſieht mir ſcharf
in’s Geſicht und lacht mich an, wie über etwas, das
mir ſchon bewußt ſeyn müßte, und dabei fährt ſie mir
mit der Stricknadel ſchalkhaft über die Stirn. Auf
meine Frage, was dieß zu bedeuten habe, gibt ſie keine
deutliche Antwort und geht wieder an ihren Platz.
So treibt ſie’s zu verſchiedenen Zeiten ein paarmal.
Zulezt ward ich doch ungeduldig und fuhr ſie etwas
hart an, da fiel ſie in ein Weinen, indem ſie ſagte:
Geſteht es nur Papa, daß es die Länder und Städte
gar nicht gibt, von denen Ihr alls redet mit dem
Herrn; ich merke wohl, man thut nur ſo, wenn ich
um den Weg bin, ich ſoll Wunder glauben, was Al-
les vorgehe draußen in der Welt, und was doch nicht
iſt; deßwegen laßt Ihr mich auch nie weiter als bis
nach Weil, nach Grebenheim und Neitze. Zwar daß
unſers Königs Land ſehr groß iſt, und daß die Welt
noch viel viel weiter geht, auch noch andre Völker
ſind, weiß ich wohl, aber Paris, das iſt gewiß kein
Wort, und London, ſo gibt es keine Stadt; Ihr
habt es nur erdacht und thut ſo bekannt damit, daß
ich mir Alles vorſtellen ſoll. — So ungefähr ſchwazte
das einfältige Ding; halb ärgert’s mich, halb mußt
ich lachen. Ich gab mir Mühe, ihr Alles klar aus-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/108>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.