selbst oder des Schicksals, das mit göttlicher Hand ihm einen Spiegel vorzuhalten schien, worin er sich und die Nothwendigkeit seiner Thaten erblickte."
"Wir lassen das gut seyn;" versezte der Baron, "so weit ich Sie aber verstehe, haben Sie vollkommen Recht. Das Schicksal verwendet die Kräfte, welche verschränkt in einem Menschen liegen können, gar mannichfaltig, und aus einer Mischung von Poesie, bald mit politischem Verstand, bald mit philosophi- schem Talent, mit mathematischem Sinn u. s. f., in einem und demselben Subjekte springen die wunder- barsten, die größten Resultate hervor, vor denen die Gelehrten gaffend und kopfschüttelnd stehn und wo- durch das lahme Rad der Welt auf lange hinein wie- der einen tüchtigen Schwung erhält. Da scheint denn die Natur vor unsern eingeschränkten Augen sich auf Einmal selbst zu widersprechen, oder wenigstens zu übertreffen, sie thut aber keines von Beiden. Zwei heterogen scheinende Kräfte können sich wunderbar einander stärken, und das Trefflichste hervorbringen. Doch ich verirre mich. -- Ich wollte von Ihren kin- dischen Geständnissen aus nur auf den Punkt kommen, wo der Philister und der Künstler sich scheiden. Wenn dem Leztern als Kind die Welt zur schönen Fabel ward, so wird sie's ihm in seinen glücklichsten Stun- den auch noch als Mann seyn, darum bleibt sie ihm von allen Seiten so neu, so lieblich befremdend.
Am meisten als Enthusiast hat Novalis (der
ſelbſt oder des Schickſals, das mit göttlicher Hand ihm einen Spiegel vorzuhalten ſchien, worin er ſich und die Nothwendigkeit ſeiner Thaten erblickte.“
„Wir laſſen das gut ſeyn;“ verſezte der Baron, „ſo weit ich Sie aber verſtehe, haben Sie vollkommen Recht. Das Schickſal verwendet die Kräfte, welche verſchränkt in einem Menſchen liegen können, gar mannichfaltig, und aus einer Miſchung von Poeſie, bald mit politiſchem Verſtand, bald mit philoſophi- ſchem Talent, mit mathematiſchem Sinn u. ſ. f., in einem und demſelben Subjekte ſpringen die wunder- barſten, die größten Reſultate hervor, vor denen die Gelehrten gaffend und kopfſchüttelnd ſtehn und wo- durch das lahme Rad der Welt auf lange hinein wie- der einen tüchtigen Schwung erhält. Da ſcheint denn die Natur vor unſern eingeſchränkten Augen ſich auf Einmal ſelbſt zu widerſprechen, oder wenigſtens zu übertreffen, ſie thut aber keines von Beiden. Zwei heterogen ſcheinende Kräfte können ſich wunderbar einander ſtärken, und das Trefflichſte hervorbringen. Doch ich verirre mich. — Ich wollte von Ihren kin- diſchen Geſtändniſſen aus nur auf den Punkt kommen, wo der Philiſter und der Künſtler ſich ſcheiden. Wenn dem Leztern als Kind die Welt zur ſchönen Fabel ward, ſo wird ſie’s ihm in ſeinen glücklichſten Stun- den auch noch als Mann ſeyn, darum bleibt ſie ihm von allen Seiten ſo neu, ſo lieblich befremdend.
Am meiſten als Enthuſiaſt hat Novalis (der
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ſelbſt oder des Schickſals, das mit göttlicher Hand
ihm einen Spiegel vorzuhalten ſchien, worin er ſich
und die Nothwendigkeit ſeiner Thaten erblickte.“
„Wir laſſen das gut ſeyn;“ verſezte der Baron,
„ſo weit ich Sie aber verſtehe, haben Sie vollkommen
Recht. Das Schickſal verwendet die Kräfte, welche
verſchränkt in einem Menſchen liegen können, gar
mannichfaltig, und aus einer Miſchung von Poeſie,
bald mit politiſchem Verſtand, bald mit philoſophi-
ſchem Talent, mit mathematiſchem Sinn u. ſ. f., in
einem und demſelben Subjekte ſpringen die wunder-
barſten, die größten Reſultate hervor, vor denen die
Gelehrten gaffend und kopfſchüttelnd ſtehn und wo-
durch das lahme Rad der Welt auf lange hinein wie-
der einen tüchtigen Schwung erhält. Da ſcheint denn
die Natur vor unſern eingeſchränkten Augen ſich auf
Einmal ſelbſt zu widerſprechen, oder wenigſtens zu
übertreffen, ſie thut aber keines von Beiden. Zwei
heterogen ſcheinende Kräfte können ſich wunderbar
einander ſtärken, und das Trefflichſte hervorbringen.
Doch ich verirre mich. — Ich wollte von Ihren kin-
diſchen Geſtändniſſen aus nur auf den Punkt kommen,
wo der Philiſter und der Künſtler ſich ſcheiden. Wenn
dem Leztern als Kind die Welt zur ſchönen Fabel
ward, ſo wird ſie’s ihm in ſeinen glücklichſten Stun-
den auch noch als Mann ſeyn, darum bleibt ſie ihm
von allen Seiten ſo neu, ſo lieblich befremdend.
Am meiſten als Enthuſiaſt hat Novalis (der
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/111>, abgerufen am 16.02.2025.
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