mir übrigens dabei nicht ganz wohl macht) dieses ausgesprochen, so weit es den Dichter angeht --"
"Ganz recht!" fiel Nolten ein; "aber wenn dem wahren Dichter bei dieser besondern Anschauungs- weise der Außenwelt jene holde Befremdung durchaus eigen seyn muß, selbst im Falle sie sich in seinen Pro- duktionen nicht ausdrücklich verrathen sollte, so kann dagegen die Vorstellungsart des bildenden Künstlers ganz entfernt davon seyn, ja sie ist es nothwendig. Auch der Geist, in welchem die Griechen Alles per- sonificirten, scheint mir völlig verschieden von demjeni- gen zu seyn, was wir so eben besprechen. Ihre Phan- tasie ist mir hiefür viel zu frei, zu schön und, möcht' ich sagen, viel zu wenig hypochondrisch. Ein Todtes, Abgestorbenes, Fragmentarisches konnte in seiner Na- turwesenheit nichts Inniges mehr für sie haben. Ich müßte mich sehr irren, oder man stößt hier wiederum auf den Unterschied von Antikem und Romantischem."
Nun kam das Gespräch auf Theobalds neuste Arbeiten, und da es hierauf abermals eine gewisse allgemeine Wendung nehmn wollte, sagte der Baron, indem er auf die Uhr sahe: "Damit wir nun aber nicht unversehens in den unfruchtbarsten aller Dispute hineingerathen, denn wir sind auf dem Wege, was nämlich stärkender sey, jonische Luft einzuathmen, oder den süßesten Himmel, wo er den Umriß einer Ma- donna-Wange berührt, so entlassen Sie mich, damit ich meinen gewohnten Marsch antrete. Auf den Abend
mir übrigens dabei nicht ganz wohl macht) dieſes ausgeſprochen, ſo weit es den Dichter angeht —“
„Ganz recht!“ fiel Nolten ein; „aber wenn dem wahren Dichter bei dieſer beſondern Anſchauungs- weiſe der Außenwelt jene holde Befremdung durchaus eigen ſeyn muß, ſelbſt im Falle ſie ſich in ſeinen Pro- duktionen nicht ausdrücklich verrathen ſollte, ſo kann dagegen die Vorſtellungsart des bildenden Künſtlers ganz entfernt davon ſeyn, ja ſie iſt es nothwendig. Auch der Geiſt, in welchem die Griechen Alles per- ſonificirten, ſcheint mir völlig verſchieden von demjeni- gen zu ſeyn, was wir ſo eben beſprechen. Ihre Phan- taſie iſt mir hiefür viel zu frei, zu ſchön und, möcht’ ich ſagen, viel zu wenig hypochondriſch. Ein Todtes, Abgeſtorbenes, Fragmentariſches konnte in ſeiner Na- turweſenheit nichts Inniges mehr für ſie haben. Ich müßte mich ſehr irren, oder man ſtößt hier wiederum auf den Unterſchied von Antikem und Romantiſchem.“
Nun kam das Geſpräch auf Theobalds neuſte Arbeiten, und da es hierauf abermals eine gewiſſe allgemeine Wendung nehmn wollte, ſagte der Baron, indem er auf die Uhr ſahe: „Damit wir nun aber nicht unverſehens in den unfruchtbarſten aller Dispute hineingerathen, denn wir ſind auf dem Wege, was nämlich ſtärkender ſey, joniſche Luft einzuathmen, oder den ſüßeſten Himmel, wo er den Umriß einer Ma- donna-Wange berührt, ſo entlaſſen Sie mich, damit ich meinen gewohnten Marſch antrete. Auf den Abend
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mir übrigens dabei nicht ganz wohl macht) dieſes
ausgeſprochen, ſo weit es den Dichter angeht —“
„Ganz recht!“ fiel Nolten ein; „aber wenn
dem wahren Dichter bei dieſer beſondern Anſchauungs-
weiſe der Außenwelt jene holde Befremdung durchaus
eigen ſeyn muß, ſelbſt im Falle ſie ſich in ſeinen Pro-
duktionen nicht ausdrücklich verrathen ſollte, ſo kann
dagegen die Vorſtellungsart des bildenden Künſtlers
ganz entfernt davon ſeyn, ja ſie iſt es nothwendig.
Auch der Geiſt, in welchem die Griechen Alles per-
ſonificirten, ſcheint mir völlig verſchieden von demjeni-
gen zu ſeyn, was wir ſo eben beſprechen. Ihre Phan-
taſie iſt mir hiefür viel zu frei, zu ſchön und, möcht’
ich ſagen, viel zu wenig hypochondriſch. Ein Todtes,
Abgeſtorbenes, Fragmentariſches konnte in ſeiner Na-
turweſenheit nichts Inniges mehr für ſie haben. Ich
müßte mich ſehr irren, oder man ſtößt hier wiederum
auf den Unterſchied von Antikem und Romantiſchem.“
Nun kam das Geſpräch auf Theobalds neuſte
Arbeiten, und da es hierauf abermals eine gewiſſe
allgemeine Wendung nehmn wollte, ſagte der Baron,
indem er auf die Uhr ſahe: „Damit wir nun aber
nicht unverſehens in den unfruchtbarſten aller Dispute
hineingerathen, denn wir ſind auf dem Wege, was
nämlich ſtärkender ſey, joniſche Luft einzuathmen, oder
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/112>, abgerufen am 21.11.2024.
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