hoffe ich Sie bei mir zu sehn, und Sie sagen mir dann mehr von Ihrem angefangenen Narciß." Da Nolten wußte, daß der alte Herr Morgens gerne allein auf seinen Gütern herumging, so drang er seine Begleitung nicht auf. Er bat Agnesen zu einem Gang in's Gärtchen; sie befahl der Magd einige Ge- schäfte, ging in ihre Kammer, ein Halstuch zu holen, und Theobald folgte ihr dahin.
"Hier sieh' auch einen Mädchenkram!" sagt sie, indem sie die Schublade herauszieht, wo eine Menge Kästchen, Schächtelchen, allerlei bescheidner Schmuck bunt und nett bei einander lag. Sie nahm ein ro- thes Schatullchen auf, drückte es an die Brust, legte die Wange darauf und sah Theobalden zärtlich an: "Deine Briefe sind's! mein bestes Gut! Einmal hast du mich diesen Trost lange entbehren lassen, und dann, als du gefangen warst, wieder; aber gewiß, ich habe mich nicht zu beklagen." Unserm Freund ging ein Stich durch's Herz und er erwiderte nichts. "Dein neustes Geschenk (es war eine kleine Uhr), siehst du," fuhr sie fort, indem sie eine zweite Schub- lade zog, "soll hier seinen Platz nehmen, es gehört ihm eine vornehme Nachbarschaft. Aber, Seele! was hast du damals gedacht? Das ist der Putz für eine Gräfin, nicht für unser Eine!" (Sie zeigte einen geschmackvollen Spenzer von dunkelgrünem Sammet, reich mit goldnen Knöpfchen und zarten Ketten, statt der Litzen, besezt; Larkens hatte ihr das Maas auf
hoffe ich Sie bei mir zu ſehn, und Sie ſagen mir dann mehr von Ihrem angefangenen Narciß.“ Da Nolten wußte, daß der alte Herr Morgens gerne allein auf ſeinen Gütern herumging, ſo drang er ſeine Begleitung nicht auf. Er bat Agneſen zu einem Gang in’s Gärtchen; ſie befahl der Magd einige Ge- ſchäfte, ging in ihre Kammer, ein Halstuch zu holen, und Theobald folgte ihr dahin.
„Hier ſieh’ auch einen Mädchenkram!“ ſagt ſie, indem ſie die Schublade herauszieht, wo eine Menge Käſtchen, Schächtelchen, allerlei beſcheidner Schmuck bunt und nett bei einander lag. Sie nahm ein ro- thes Schatullchen auf, drückte es an die Bruſt, legte die Wange darauf und ſah Theobalden zärtlich an: „Deine Briefe ſind’s! mein beſtes Gut! Einmal haſt du mich dieſen Troſt lange entbehren laſſen, und dann, als du gefangen warſt, wieder; aber gewiß, ich habe mich nicht zu beklagen.“ Unſerm Freund ging ein Stich durch’s Herz und er erwiderte nichts. „Dein neuſtes Geſchenk (es war eine kleine Uhr), ſiehſt du,“ fuhr ſie fort, indem ſie eine zweite Schub- lade zog, „ſoll hier ſeinen Platz nehmen, es gehört ihm eine vornehme Nachbarſchaft. Aber, Seele! was haſt du damals gedacht? Das iſt der Putz für eine Gräfin, nicht für unſer Eine!“ (Sie zeigte einen geſchmackvollen Spenzer von dunkelgrünem Sammet, reich mit goldnen Knöpfchen und zarten Ketten, ſtatt der Litzen, beſezt; Larkens hatte ihr das Maas auf
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hoffe ich Sie bei mir zu ſehn, und Sie ſagen mir
dann mehr von Ihrem angefangenen Narciß.“ Da
Nolten wußte, daß der alte Herr Morgens gerne
allein auf ſeinen Gütern herumging, ſo drang er ſeine
Begleitung nicht auf. Er bat Agneſen zu einem
Gang in’s Gärtchen; ſie befahl der Magd einige Ge-
ſchäfte, ging in ihre Kammer, ein Halstuch zu holen,
und Theobald folgte ihr dahin.
„Hier ſieh’ auch einen Mädchenkram!“ ſagt ſie,
indem ſie die Schublade herauszieht, wo eine Menge
Käſtchen, Schächtelchen, allerlei beſcheidner Schmuck
bunt und nett bei einander lag. Sie nahm ein ro-
thes Schatullchen auf, drückte es an die Bruſt, legte
die Wange darauf und ſah Theobalden zärtlich
an: „Deine Briefe ſind’s! mein beſtes Gut! Einmal
haſt du mich dieſen Troſt lange entbehren laſſen, und
dann, als du gefangen warſt, wieder; aber gewiß, ich
habe mich nicht zu beklagen.“ Unſerm Freund ging
ein Stich durch’s Herz und er erwiderte nichts.
„Dein neuſtes Geſchenk (es war eine kleine Uhr),
ſiehſt du,“ fuhr ſie fort, indem ſie eine zweite Schub-
lade zog, „ſoll hier ſeinen Platz nehmen, es gehört
ihm eine vornehme Nachbarſchaft. Aber, Seele! was
haſt du damals gedacht? Das iſt der Putz für eine
Gräfin, nicht für unſer Eine!“ (Sie zeigte einen
geſchmackvollen Spenzer von dunkelgrünem Sammet,
reich mit goldnen Knöpfchen und zarten Ketten, ſtatt
der Litzen, beſezt; Larkens hatte ihr das Maas auf
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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