Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

eine feine Weise abzulisten gewußt, und so das Klei-
dungsstück ganz fertig gesendet.) Theobald stand
geblendet, vernichtet von der Großmuth seines Freun-
des. Er spielte in Gedanken mit einem Strauß ita-
lienischer Blumen, ohne zu merken, wie jämmerlich
seine Finger ihn zerknitterten; Agnes zog ihm das
Bouquet sachte aus der Hand: er lächelte, die Thrä-
nen standen ihm näher. Das Collier der Gräfin fiel
ihm ein; er wagte immer noch nicht, damit hervor-
zurücken. Wie Alles, Alles ihn verlezte, quälte, ent-
zückte! ja selbst der reizende Duft, der den Putz-
Schränken der Mädchen so eigen zu seyn pflegt, schien
ihm auf Einmal den Athem zu erschweren; es war
Zeit, daß er sich losmachte und auf sein Zimmer ging,
wo er sich elend auf den Boden warf, und allen ver-
drungenen Schmerzen Thür und Thor willig eröffnete.

In Kurzem klopft Agnes außen: er kann nicht
aufschließen, er darf sich in diesem Zustand nicht vor
ihr sehen lassen. "Ich kleide mich an, mein Kind!"
ruft er, und leise geht sie wieder den Gang zurück.

Nach einer Weile, da er sich gefaßt hatte, kam
der Vater. "Auf ein Wort!" sagte er, als sie allein
waren, "das wunderliche Ding, das Mädchen, jezt
geht es ihr im Kopf herum, sie hätte Ihnen vorhin
spielen sollen; sie fürchtet sich davor und wird sich
fürchten, bis es Einmal überwunden ist; nun fiel's
ihr ein, sie wolle sich geschwinde entschließen" --
"Nur jezt nicht!" rief Nolten "ich bitte Sie um

eine feine Weiſe abzuliſten gewußt, und ſo das Klei-
dungsſtück ganz fertig geſendet.) Theobald ſtand
geblendet, vernichtet von der Großmuth ſeines Freun-
des. Er ſpielte in Gedanken mit einem Strauß ita-
lieniſcher Blumen, ohne zu merken, wie jämmerlich
ſeine Finger ihn zerknitterten; Agnes zog ihm das
Bouquet ſachte aus der Hand: er lächelte, die Thrä-
nen ſtanden ihm näher. Das Collier der Gräfin fiel
ihm ein; er wagte immer noch nicht, damit hervor-
zurücken. Wie Alles, Alles ihn verlezte, quälte, ent-
zückte! ja ſelbſt der reizende Duft, der den Putz-
Schränken der Mädchen ſo eigen zu ſeyn pflegt, ſchien
ihm auf Einmal den Athem zu erſchweren; es war
Zeit, daß er ſich losmachte und auf ſein Zimmer ging,
wo er ſich elend auf den Boden warf, und allen ver-
drungenen Schmerzen Thür und Thor willig eröffnete.

In Kurzem klopft Agnes außen: er kann nicht
aufſchließen, er darf ſich in dieſem Zuſtand nicht vor
ihr ſehen laſſen. „Ich kleide mich an, mein Kind!“
ruft er, und leiſe geht ſie wieder den Gang zurück.

Nach einer Weile, da er ſich gefaßt hatte, kam
der Vater. „Auf ein Wort!“ ſagte er, als ſie allein
waren, „das wunderliche Ding, das Mädchen, jezt
geht es ihr im Kopf herum, ſie hätte Ihnen vorhin
ſpielen ſollen; ſie fürchtet ſich davor und wird ſich
fürchten, bis es Einmal überwunden iſt; nun fiel’s
ihr ein, ſie wolle ſich geſchwinde entſchließen“ —
„Nur jezt nicht!“ rief Nolten „ich bitte Sie um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="428"/>
eine feine Wei&#x017F;e abzuli&#x017F;ten gewußt, und &#x017F;o das Klei-<lb/>
dungs&#x017F;tück ganz fertig ge&#x017F;endet.) <hi rendition="#g">Theobald</hi> &#x017F;tand<lb/>
geblendet, vernichtet von der Großmuth &#x017F;eines Freun-<lb/>
des. Er &#x017F;pielte in Gedanken mit einem Strauß ita-<lb/>
lieni&#x017F;cher Blumen, ohne zu merken, wie jämmerlich<lb/>
&#x017F;eine Finger ihn zerknitterten; <hi rendition="#g">Agnes</hi> zog ihm das<lb/>
Bouquet &#x017F;achte aus der Hand: er lächelte, die Thrä-<lb/>
nen &#x017F;tanden ihm näher. Das Collier der Gräfin fiel<lb/>
ihm ein; er wagte immer noch nicht, damit hervor-<lb/>
zurücken. Wie Alles, Alles ihn verlezte, quälte, ent-<lb/>
zückte! ja &#x017F;elb&#x017F;t der reizende Duft, der den Putz-<lb/>
Schränken der Mädchen &#x017F;o eigen zu &#x017F;eyn pflegt, &#x017F;chien<lb/>
ihm auf Einmal den Athem zu er&#x017F;chweren; es war<lb/>
Zeit, daß er &#x017F;ich losmachte und auf &#x017F;ein Zimmer ging,<lb/>
wo er &#x017F;ich elend auf den Boden warf, und allen ver-<lb/>
drungenen Schmerzen Thür und Thor willig eröffnete.</p><lb/>
          <p>In Kurzem klopft <hi rendition="#g">Agnes</hi> außen: er kann nicht<lb/>
auf&#x017F;chließen, er darf &#x017F;ich in die&#x017F;em Zu&#x017F;tand nicht vor<lb/>
ihr &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en. &#x201E;Ich kleide mich an, mein Kind!&#x201C;<lb/>
ruft er, und lei&#x017F;e geht &#x017F;ie wieder den Gang zurück.</p><lb/>
          <p>Nach einer Weile, da er &#x017F;ich gefaßt hatte, kam<lb/>
der Vater. &#x201E;Auf ein Wort!&#x201C; &#x017F;agte er, als &#x017F;ie allein<lb/>
waren, &#x201E;das wunderliche Ding, das Mädchen, jezt<lb/>
geht es ihr im Kopf herum, &#x017F;ie hätte Ihnen vorhin<lb/>
&#x017F;pielen &#x017F;ollen; &#x017F;ie fürchtet &#x017F;ich davor und wird &#x017F;ich<lb/>
fürchten, bis es Einmal überwunden i&#x017F;t; nun fiel&#x2019;s<lb/>
ihr ein, &#x017F;ie wolle &#x017F;ich ge&#x017F;chwinde ent&#x017F;chließen&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Nur jezt nicht!&#x201C; rief <hi rendition="#g">Nolten</hi> &#x201E;ich bitte Sie um<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0114] eine feine Weiſe abzuliſten gewußt, und ſo das Klei- dungsſtück ganz fertig geſendet.) Theobald ſtand geblendet, vernichtet von der Großmuth ſeines Freun- des. Er ſpielte in Gedanken mit einem Strauß ita- lieniſcher Blumen, ohne zu merken, wie jämmerlich ſeine Finger ihn zerknitterten; Agnes zog ihm das Bouquet ſachte aus der Hand: er lächelte, die Thrä- nen ſtanden ihm näher. Das Collier der Gräfin fiel ihm ein; er wagte immer noch nicht, damit hervor- zurücken. Wie Alles, Alles ihn verlezte, quälte, ent- zückte! ja ſelbſt der reizende Duft, der den Putz- Schränken der Mädchen ſo eigen zu ſeyn pflegt, ſchien ihm auf Einmal den Athem zu erſchweren; es war Zeit, daß er ſich losmachte und auf ſein Zimmer ging, wo er ſich elend auf den Boden warf, und allen ver- drungenen Schmerzen Thür und Thor willig eröffnete. In Kurzem klopft Agnes außen: er kann nicht aufſchließen, er darf ſich in dieſem Zuſtand nicht vor ihr ſehen laſſen. „Ich kleide mich an, mein Kind!“ ruft er, und leiſe geht ſie wieder den Gang zurück. Nach einer Weile, da er ſich gefaßt hatte, kam der Vater. „Auf ein Wort!“ ſagte er, als ſie allein waren, „das wunderliche Ding, das Mädchen, jezt geht es ihr im Kopf herum, ſie hätte Ihnen vorhin ſpielen ſollen; ſie fürchtet ſich davor und wird ſich fürchten, bis es Einmal überwunden iſt; nun fiel’s ihr ein, ſie wolle ſich geſchwinde entſchließen“ — „Nur jezt nicht!“ rief Nolten „ich bitte Sie um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/114
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/114>, abgerufen am 21.11.2024.