Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

geheime Triebfeder, zunächst zu Gunsten Theobalds,
durch den Herzog könnte gewirkt haben? Er wußte
nicht eigentlich, was ihn auf diese Vorstellung führte,
im Allgemeinen aber sezte er bei Constanzen noch
immer eine stille, sehr nachhaltige Neigung für Theo-
bald
voraus, und es war ihm unmöglich, sie anders
als in einem leidenden Zustande zu denken.

Eines Morgens findet er seinen Freund außer
dem Bette unter dem halboffnen Fenster sitzen und
sich im kräftigen Strahl der Frühlingssonne wärmen.
Der Schauspieler drückte laut seine Freude über die
glücklichen Fortschritte des Rekonvalescenten aus, wäh-
rend Theobald ihm lächelnd mit der Hand Still-
schweigen zuwinkte, denn der lieblichste Gesang tönte
so eben aus dem Zwinger herauf, wo die Tochter des
Wärters mit den ersten Gartenarbeiten beschäftigt
war. Sie selbst konnte wegen eines Vorsprungs am
Gebäude nicht gesehen werden, desto vernehmlicher
war ihr Liedchen, wovon wir wenigstens einen Vers
anführen wollen.

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte,
Süße wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land;
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen;
Horch, von fern ein leiser Harfenton! -- --
Frühling, ja du bist's!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!

geheime Triebfeder, zunächſt zu Gunſten Theobalds,
durch den Herzog könnte gewirkt haben? Er wußte
nicht eigentlich, was ihn auf dieſe Vorſtellung führte,
im Allgemeinen aber ſezte er bei Conſtanzen noch
immer eine ſtille, ſehr nachhaltige Neigung für Theo-
bald
voraus, und es war ihm unmöglich, ſie anders
als in einem leidenden Zuſtande zu denken.

Eines Morgens findet er ſeinen Freund außer
dem Bette unter dem halboffnen Fenſter ſitzen und
ſich im kräftigen Strahl der Frühlingsſonne wärmen.
Der Schauſpieler drückte laut ſeine Freude über die
glücklichen Fortſchritte des Rekonvalescenten aus, wäh-
rend Theobald ihm lächelnd mit der Hand Still-
ſchweigen zuwinkte, denn der lieblichſte Geſang tönte
ſo eben aus dem Zwinger herauf, wo die Tochter des
Wärters mit den erſten Gartenarbeiten beſchäftigt
war. Sie ſelbſt konnte wegen eines Vorſprungs am
Gebäude nicht geſehen werden, deſto vernehmlicher
war ihr Liedchen, wovon wir wenigſtens einen Vers
anführen wollen.

Frühling läßt ſein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte,
Süße wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land;
Veilchen träumen ſchon,
Wollen balde kommen;
Horch, von fern ein leiſer Harfenton! — —
Frühling, ja du biſt’s!
Frühling, ja du biſt’s!
Dich hab ich vernommen!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0016" n="330"/>
geheime Triebfeder, zunäch&#x017F;t zu Gun&#x017F;ten <hi rendition="#g">Theobalds</hi>,<lb/>
durch den Herzog könnte gewirkt haben? Er wußte<lb/>
nicht eigentlich, was ihn auf die&#x017F;e Vor&#x017F;tellung führte,<lb/>
im Allgemeinen aber &#x017F;ezte er bei <hi rendition="#g">Con&#x017F;tanzen</hi> noch<lb/>
immer eine &#x017F;tille, &#x017F;ehr nachhaltige Neigung für <hi rendition="#g">Theo-<lb/>
bald</hi> voraus, und es war ihm unmöglich, &#x017F;ie anders<lb/>
als in einem leidenden Zu&#x017F;tande zu denken.</p><lb/>
          <p>Eines Morgens findet er &#x017F;einen Freund außer<lb/>
dem Bette unter dem halboffnen Fen&#x017F;ter &#x017F;itzen und<lb/>
&#x017F;ich im kräftigen Strahl der Frühlings&#x017F;onne wärmen.<lb/>
Der Schau&#x017F;pieler drückte laut &#x017F;eine Freude über die<lb/>
glücklichen Fort&#x017F;chritte des Rekonvalescenten aus, wäh-<lb/>
rend <hi rendition="#g">Theobald</hi> ihm lächelnd mit der Hand Still-<lb/>
&#x017F;chweigen zuwinkte, denn der lieblich&#x017F;te Ge&#x017F;ang tönte<lb/>
&#x017F;o eben aus dem Zwinger herauf, wo die Tochter des<lb/>
Wärters mit den er&#x017F;ten Gartenarbeiten be&#x017F;chäftigt<lb/>
war. Sie &#x017F;elb&#x017F;t konnte wegen eines Vor&#x017F;prungs am<lb/>
Gebäude nicht ge&#x017F;ehen werden, de&#x017F;to vernehmlicher<lb/>
war ihr Liedchen, wovon wir wenig&#x017F;tens einen Vers<lb/>
anführen wollen.</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Frühling läßt &#x017F;ein blaues Band</l><lb/>
            <l>Wieder flattern durch die Lüfte,</l><lb/>
            <l>Süße wohlbekannte Düfte</l><lb/>
            <l>Streifen ahnungsvoll das Land;</l><lb/>
            <l>Veilchen träumen &#x017F;chon,</l><lb/>
            <l>Wollen balde kommen;</l><lb/>
            <l>Horch, von fern ein lei&#x017F;er Harfenton! &#x2014; &#x2014;</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Frühling, ja du bi&#x017F;t&#x2019;s!</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Frühling, ja du bi&#x017F;t&#x2019;s!</hi> </l><lb/>
            <l>Dich hab ich vernommen!</l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0016] geheime Triebfeder, zunächſt zu Gunſten Theobalds, durch den Herzog könnte gewirkt haben? Er wußte nicht eigentlich, was ihn auf dieſe Vorſtellung führte, im Allgemeinen aber ſezte er bei Conſtanzen noch immer eine ſtille, ſehr nachhaltige Neigung für Theo- bald voraus, und es war ihm unmöglich, ſie anders als in einem leidenden Zuſtande zu denken. Eines Morgens findet er ſeinen Freund außer dem Bette unter dem halboffnen Fenſter ſitzen und ſich im kräftigen Strahl der Frühlingsſonne wärmen. Der Schauſpieler drückte laut ſeine Freude über die glücklichen Fortſchritte des Rekonvalescenten aus, wäh- rend Theobald ihm lächelnd mit der Hand Still- ſchweigen zuwinkte, denn der lieblichſte Geſang tönte ſo eben aus dem Zwinger herauf, wo die Tochter des Wärters mit den erſten Gartenarbeiten beſchäftigt war. Sie ſelbſt konnte wegen eines Vorſprungs am Gebäude nicht geſehen werden, deſto vernehmlicher war ihr Liedchen, wovon wir wenigſtens einen Vers anführen wollen. Frühling läßt ſein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte, Süße wohlbekannte Düfte Streifen ahnungsvoll das Land; Veilchen träumen ſchon, Wollen balde kommen; Horch, von fern ein leiſer Harfenton! — — Frühling, ja du biſt’s! Frühling, ja du biſt’s! Dich hab ich vernommen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/16
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/16>, abgerufen am 03.12.2024.