Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

er seit jenem Morgen, an dem er die Geliebte von
Neuem an sein Herz empfing, nimmermehr für mög-
lich gehalten hätte, doch jezt, wer möchte ihm verar-
gen, wenn ihn der Zweifel überschlich, ob denn das
Räthselwesen, das hier trostlos vor seinen Augen lag,
dazu bestimmt seyn könne, durch ihn glücklich zu wer-
den, oder ihm ein dauerndes Glück zu gründen, ob
er es für ein wünschenswerthes und nicht vielmehr
für ein höchst gewagtes Bündniß halten müsse, wo-
durch er sich für's ganze Leben an dieß wunderbare
Geschöpf gefesselt sähe? Aber zu fragen brauchte er
sich wenigstens das Eine nicht: ob er sie wirklich
liebe, ob seine Neigung nicht etwa nur eine künstlich
übertragene sey? vielmehr durchdrang ihn das Gefühl
derselben nie so vollglühend als eben jezt. Er dachte
weiter nach und mußte finden, daß eben jene dunkle
Klippe, woran Agnesens sonst so gleichgewiegtes
Leben zum Erstenmal sich brach, dieselbe sey, nach der
auch sein Magnet von früh an unablässig strebte, ja
daß (man gönne uns immer das Gleichniß) die
schlimme Zauberblume, worin des Mädchens Geist
zuerst mit unheilvollen Ahnungen sich berauschte, nur
auf dem Grund und Boden seines eignen Schicksals
aufgeschossen war. Nothwendig daher und auf Ewig
ist er mit ihr verbunden, Böses oder Gutes kann für
sie Beide nur in Einer Schaale gewogen seyn.

Seine Gedanken verschwammen nach und nach
in einer grundlosen Tiefe, doch ohne Aengstlichkeit;

er ſeit jenem Morgen, an dem er die Geliebte von
Neuem an ſein Herz empfing, nimmermehr für mög-
lich gehalten hätte, doch jezt, wer möchte ihm verar-
gen, wenn ihn der Zweifel überſchlich, ob denn das
Räthſelweſen, das hier troſtlos vor ſeinen Augen lag,
dazu beſtimmt ſeyn könne, durch ihn glücklich zu wer-
den, oder ihm ein dauerndes Glück zu gründen, ob
er es für ein wünſchenswerthes und nicht vielmehr
für ein höchſt gewagtes Bündniß halten müſſe, wo-
durch er ſich für’s ganze Leben an dieß wunderbare
Geſchöpf gefeſſelt ſähe? Aber zu fragen brauchte er
ſich wenigſtens das Eine nicht: ob er ſie wirklich
liebe, ob ſeine Neigung nicht etwa nur eine künſtlich
übertragene ſey? vielmehr durchdrang ihn das Gefühl
derſelben nie ſo vollglühend als eben jezt. Er dachte
weiter nach und mußte finden, daß eben jene dunkle
Klippe, woran Agneſens ſonſt ſo gleichgewiegtes
Leben zum Erſtenmal ſich brach, dieſelbe ſey, nach der
auch ſein Magnet von früh an unabläſſig ſtrebte, ja
daß (man gönne uns immer das Gleichniß) die
ſchlimme Zauberblume, worin des Mädchens Geiſt
zuerſt mit unheilvollen Ahnungen ſich berauſchte, nur
auf dem Grund und Boden ſeines eignen Schickſals
aufgeſchoſſen war. Nothwendig daher und auf Ewig
iſt er mit ihr verbunden, Böſes oder Gutes kann für
ſie Beide nur in Einer Schaale gewogen ſeyn.

Seine Gedanken verſchwammen nach und nach
in einer grundloſen Tiefe, doch ohne Aengſtlichkeit;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="475"/>
er &#x017F;eit jenem Morgen, an dem er die Geliebte von<lb/>
Neuem an &#x017F;ein Herz empfing, nimmermehr für mög-<lb/>
lich gehalten hätte, doch jezt, wer möchte ihm verar-<lb/>
gen, wenn ihn der Zweifel über&#x017F;chlich, ob denn das<lb/>
Räth&#x017F;elwe&#x017F;en, das hier tro&#x017F;tlos vor &#x017F;einen Augen lag,<lb/>
dazu be&#x017F;timmt &#x017F;eyn könne, durch ihn glücklich zu wer-<lb/>
den, oder ihm ein dauerndes Glück zu gründen, ob<lb/>
er es für ein wün&#x017F;chenswerthes und nicht vielmehr<lb/>
für ein höch&#x017F;t gewagtes Bündniß halten mü&#x017F;&#x017F;e, wo-<lb/>
durch er &#x017F;ich für&#x2019;s ganze Leben an dieß wunderbare<lb/>
Ge&#x017F;chöpf gefe&#x017F;&#x017F;elt &#x017F;ähe? Aber zu fragen brauchte er<lb/>
&#x017F;ich wenig&#x017F;tens das Eine nicht: ob er &#x017F;ie wirklich<lb/>
liebe, ob &#x017F;eine Neigung nicht etwa nur eine kün&#x017F;tlich<lb/>
übertragene &#x017F;ey? vielmehr durchdrang ihn das Gefühl<lb/>
der&#x017F;elben nie &#x017F;o vollglühend als eben jezt. Er dachte<lb/>
weiter nach und mußte finden, daß eben jene dunkle<lb/>
Klippe, woran <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi> &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o gleichgewiegtes<lb/>
Leben zum Er&#x017F;tenmal &#x017F;ich brach, die&#x017F;elbe &#x017F;ey, nach der<lb/>
auch &#x017F;ein Magnet von früh an unablä&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;trebte, ja<lb/>
daß (man gönne uns immer das Gleichniß) die<lb/>
&#x017F;chlimme Zauberblume, worin des Mädchens Gei&#x017F;t<lb/>
zuer&#x017F;t mit unheilvollen Ahnungen &#x017F;ich berau&#x017F;chte, nur<lb/>
auf dem Grund und Boden &#x017F;eines eignen Schick&#x017F;als<lb/>
aufge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en war. Nothwendig daher und auf Ewig<lb/>
i&#x017F;t er mit ihr verbunden, Bö&#x017F;es oder Gutes kann für<lb/>
&#x017F;ie Beide nur in Einer Schaale gewogen &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Seine Gedanken ver&#x017F;chwammen nach und nach<lb/>
in einer grundlo&#x017F;en Tiefe, doch ohne Aeng&#x017F;tlichkeit;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0161] er ſeit jenem Morgen, an dem er die Geliebte von Neuem an ſein Herz empfing, nimmermehr für mög- lich gehalten hätte, doch jezt, wer möchte ihm verar- gen, wenn ihn der Zweifel überſchlich, ob denn das Räthſelweſen, das hier troſtlos vor ſeinen Augen lag, dazu beſtimmt ſeyn könne, durch ihn glücklich zu wer- den, oder ihm ein dauerndes Glück zu gründen, ob er es für ein wünſchenswerthes und nicht vielmehr für ein höchſt gewagtes Bündniß halten müſſe, wo- durch er ſich für’s ganze Leben an dieß wunderbare Geſchöpf gefeſſelt ſähe? Aber zu fragen brauchte er ſich wenigſtens das Eine nicht: ob er ſie wirklich liebe, ob ſeine Neigung nicht etwa nur eine künſtlich übertragene ſey? vielmehr durchdrang ihn das Gefühl derſelben nie ſo vollglühend als eben jezt. Er dachte weiter nach und mußte finden, daß eben jene dunkle Klippe, woran Agneſens ſonſt ſo gleichgewiegtes Leben zum Erſtenmal ſich brach, dieſelbe ſey, nach der auch ſein Magnet von früh an unabläſſig ſtrebte, ja daß (man gönne uns immer das Gleichniß) die ſchlimme Zauberblume, worin des Mädchens Geiſt zuerſt mit unheilvollen Ahnungen ſich berauſchte, nur auf dem Grund und Boden ſeines eignen Schickſals aufgeſchoſſen war. Nothwendig daher und auf Ewig iſt er mit ihr verbunden, Böſes oder Gutes kann für ſie Beide nur in Einer Schaale gewogen ſeyn. Seine Gedanken verſchwammen nach und nach in einer grundloſen Tiefe, doch ohne Aengſtlichkeit;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/161
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/161>, abgerufen am 26.11.2024.