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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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"Wartet doch," fuhr der Stelzfuß fort, "das Beste
kommt noch. Ich ging mit meinen zwei Thalern, die
ich ungesehn, wie Sündengeld in die Tasche steckte, aus
dem Haus, ohne recht zu wissen wohin. So viel ist
sicher, ich langte endlich vor dem besten Weinhaus an
und nahm dort ein mäßiges Frühstück zu mir. Da mir
aber, wie gesagt, ein Jude meinen Zeitweiser gestohlen,
so wußt' ich schlechterdings nicht, woran ich eigentlich
mit dem Tag sey; kurz, es wurde Abend, eh mir der
Kellner die lezte Flasche brachte. Ich gehe endlich
heim, ich komme auf meiner Kammer an und spaziere
in der Dämmerung auf und ab; zuweilen blinzl' ich
nach dem leeren Nagel hinüber und pfeife dazu, wie
Einer, der kein gut Gewissen hat. Auf Einmal ist mir,
es lasse sich etwas hören wie das Picken eines solchen
Dings, dergleichen ich heute eins verlor; ganz erschrocken
spitz' ich die Ohren. Das thut wohl der Holzwurm
in meinem Stelzfuß, denk' ich, und stoße den Stelzen
gegen die Wand, wie immer geschieht, wenn mir's die
Bestie drin zu arg macht. Aber Pinke Pink, Pinke
Pink, immerfort und zwar nur etliche Schritt von mir
weg. Bei meiner armen Seele, ich dacht' einen Augen-
blick an den Geist meines guten Vaters. Indessen
kommt mir ein Päckel unter die Hand, ich reiß' es auf
und, daß ich's kurz mache, da lag meine alte Genferin
drin! Weiß nicht, wie mir dabei zu Muth wurde; ich
war ein veritabler Narr für Freuden, sprach französisch
und kalmukisch unter einander mit meiner Genferin,

„Wartet doch,“ fuhr der Stelzfuß fort, „das Beſte
kommt noch. Ich ging mit meinen zwei Thalern, die
ich ungeſehn, wie Sündengeld in die Taſche ſteckte, aus
dem Haus, ohne recht zu wiſſen wohin. So viel iſt
ſicher, ich langte endlich vor dem beſten Weinhaus an
und nahm dort ein mäßiges Frühſtück zu mir. Da mir
aber, wie geſagt, ein Jude meinen Zeitweiſer geſtohlen,
ſo wußt’ ich ſchlechterdings nicht, woran ich eigentlich
mit dem Tag ſey; kurz, es wurde Abend, eh mir der
Kellner die lezte Flaſche brachte. Ich gehe endlich
heim, ich komme auf meiner Kammer an und ſpaziere
in der Dämmerung auf und ab; zuweilen blinzl’ ich
nach dem leeren Nagel hinüber und pfeife dazu, wie
Einer, der kein gut Gewiſſen hat. Auf Einmal iſt mir,
es laſſe ſich etwas hören wie das Picken eines ſolchen
Dings, dergleichen ich heute eins verlor; ganz erſchrocken
ſpitz’ ich die Ohren. Das thut wohl der Holzwurm
in meinem Stelzfuß, denk’ ich, und ſtoße den Stelzen
gegen die Wand, wie immer geſchieht, wenn mir’s die
Beſtie drin zu arg macht. Aber Pinke Pink, Pinke
Pink, immerfort und zwar nur etliche Schritt von mir
weg. Bei meiner armen Seele, ich dacht’ einen Augen-
blick an den Geiſt meines guten Vaters. Indeſſen
kommt mir ein Päckel unter die Hand, ich reiß’ es auf
und, daß ich’s kurz mache, da lag meine alte Genferin
drin! Weiß nicht, wie mir dabei zu Muth wurde; ich
war ein veritabler Narr für Freuden, ſprach franzöſiſch
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[491/0177] „Wartet doch,“ fuhr der Stelzfuß fort, „das Beſte kommt noch. Ich ging mit meinen zwei Thalern, die ich ungeſehn, wie Sündengeld in die Taſche ſteckte, aus dem Haus, ohne recht zu wiſſen wohin. So viel iſt ſicher, ich langte endlich vor dem beſten Weinhaus an und nahm dort ein mäßiges Frühſtück zu mir. Da mir aber, wie geſagt, ein Jude meinen Zeitweiſer geſtohlen, ſo wußt’ ich ſchlechterdings nicht, woran ich eigentlich mit dem Tag ſey; kurz, es wurde Abend, eh mir der Kellner die lezte Flaſche brachte. Ich gehe endlich heim, ich komme auf meiner Kammer an und ſpaziere in der Dämmerung auf und ab; zuweilen blinzl’ ich nach dem leeren Nagel hinüber und pfeife dazu, wie Einer, der kein gut Gewiſſen hat. Auf Einmal iſt mir, es laſſe ſich etwas hören wie das Picken eines ſolchen Dings, dergleichen ich heute eins verlor; ganz erſchrocken ſpitz’ ich die Ohren. Das thut wohl der Holzwurm in meinem Stelzfuß, denk’ ich, und ſtoße den Stelzen gegen die Wand, wie immer geſchieht, wenn mir’s die Beſtie drin zu arg macht. Aber Pinke Pink, Pinke Pink, immerfort und zwar nur etliche Schritt von mir weg. Bei meiner armen Seele, ich dacht’ einen Augen- blick an den Geiſt meines guten Vaters. Indeſſen kommt mir ein Päckel unter die Hand, ich reiß’ es auf und, daß ich’s kurz mache, da lag meine alte Genferin drin! Weiß nicht, wie mir dabei zu Muth wurde; ich war ein veritabler Narr für Freuden, ſprach franzöſiſch und kalmukiſch unter einander mit meiner Genferin,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/177>, abgerufen am 25.11.2024.