mir war, als hätten wir uns zehn Jahre nicht gesehn. Jezt fiel mir ein Zettel in die Finger, der -- nun, das gehört nicht zur Sache. Schaut, hier ist das gute Thier!" und hiemit legte er die Uhr auf den Tisch.
"Aber der Zettel?" fragte Einer, "was stand dar- auf? wer schickte das Paquet?" -- Der Büchsenmacher griff stillschweigend nach dem vollen Glas, drückte nach einem guten Schluck martialisch die Lippen zusammen und sagte kopfschüttelnd: "Weiß nicht, will's auch nicht wissen." "Aber dein ist die Uhr wieder?" "Und bleibt mein," war die Antwort, "bis in's Grab, das schwör' ich euch."
Während dieser Erzählung hatte Perse etliche Mal einen pfiffigen Blick gegen den Tischler hinüber- laufen lassen, und er und Alle merkten wohl, daß Jo- seph der unbekannte Wohlthäter gewesen war.
Jezt hob der Büchsenmacher sachte seinen hölzernen Fuß in die Höhe und legte ihn mitten auf den Tisch. Dabei sagte er mit angenommenem Ernst: "Seht, meine Herren, da drinne haus't ein Wurm; es ist meine Tod- tenuhr; hat der Bursche das Holz durchgefressen und das Bein knackt einmal, eben wenn ich zum Exempel über den Stadtgraben zu einem Schoppen Rothen spa- ziere, so schlägt mein leztes Stündlein. Das ist nun nicht anders zu machen, Freunde. Ich denke gar häufig an meinen Stelzen, d. h. an den Tod, wie einem guten Christen ziemt. Er ist mein Memento mori, wie der Lateiner zu sagen pflegt. So werden einst die Würmer
mir war, als hätten wir uns zehn Jahre nicht geſehn. Jezt fiel mir ein Zettel in die Finger, der — nun, das gehört nicht zur Sache. Schaut, hier iſt das gute Thier!“ und hiemit legte er die Uhr auf den Tiſch.
„Aber der Zettel?“ fragte Einer, „was ſtand dar- auf? wer ſchickte das Paquet?“ — Der Büchſenmacher griff ſtillſchweigend nach dem vollen Glas, drückte nach einem guten Schluck martialiſch die Lippen zuſammen und ſagte kopfſchüttelnd: „Weiß nicht, will’s auch nicht wiſſen.“ „Aber dein iſt die Uhr wieder?“ „Und bleibt mein,“ war die Antwort, „bis in’s Grab, das ſchwör’ ich euch.“
Während dieſer Erzählung hatte Perſe etliche Mal einen pfiffigen Blick gegen den Tiſchler hinüber- laufen laſſen, und er und Alle merkten wohl, daß Jo- ſeph der unbekannte Wohlthäter geweſen war.
Jezt hob der Büchſenmacher ſachte ſeinen hölzernen Fuß in die Höhe und legte ihn mitten auf den Tiſch. Dabei ſagte er mit angenommenem Ernſt: „Seht, meine Herren, da drinne hauſ’t ein Wurm; es iſt meine Tod- tenuhr; hat der Burſche das Holz durchgefreſſen und das Bein knackt einmal, eben wenn ich zum Exempel über den Stadtgraben zu einem Schoppen Rothen ſpa- ziere, ſo ſchlägt mein leztes Stündlein. Das iſt nun nicht anders zu machen, Freunde. Ich denke gar häufig an meinen Stelzen, d. h. an den Tod, wie einem guten Chriſten ziemt. Er iſt mein Memento mori, wie der Lateiner zu ſagen pflegt. So werden einſt die Würmer
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mir war, als hätten wir uns zehn Jahre nicht geſehn.
Jezt fiel mir ein Zettel in die Finger, der — nun, das
gehört nicht zur Sache. Schaut, hier iſt das gute Thier!“
und hiemit legte er die Uhr auf den Tiſch.
„Aber der Zettel?“ fragte Einer, „was ſtand dar-
auf? wer ſchickte das Paquet?“ — Der Büchſenmacher
griff ſtillſchweigend nach dem vollen Glas, drückte nach
einem guten Schluck martialiſch die Lippen zuſammen
und ſagte kopfſchüttelnd: „Weiß nicht, will’s auch nicht
wiſſen.“ „Aber dein iſt die Uhr wieder?“ „Und bleibt
mein,“ war die Antwort, „bis in’s Grab, das ſchwör’
ich euch.“
Während dieſer Erzählung hatte Perſe etliche
Mal einen pfiffigen Blick gegen den Tiſchler hinüber-
laufen laſſen, und er und Alle merkten wohl, daß Jo-
ſeph der unbekannte Wohlthäter geweſen war.
Jezt hob der Büchſenmacher ſachte ſeinen hölzernen
Fuß in die Höhe und legte ihn mitten auf den Tiſch.
Dabei ſagte er mit angenommenem Ernſt: „Seht, meine
Herren, da drinne hauſ’t ein Wurm; es iſt meine Tod-
tenuhr; hat der Burſche das Holz durchgefreſſen und
das Bein knackt einmal, eben wenn ich zum Exempel
über den Stadtgraben zu einem Schoppen Rothen ſpa-
ziere, ſo ſchlägt mein leztes Stündlein. Das iſt nun
nicht anders zu machen, Freunde. Ich denke gar häufig
an meinen Stelzen, d. h. an den Tod, wie einem guten
Chriſten ziemt. Er iſt mein Memento mori, wie der
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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