schwülen, wüsten Traum auf einmal vor dem Gehirn wegstäuben mögen! In einer der hohen Straßenla- ternen brannte das nächtliche Lämpchen, seine gemes- sene Zeit überlebend, mit sonderbarem Zwitterlichte noch in den hellen Tag hinein: so und nicht anders spuckte in Theobalds Erinnerung ein düsterer Rest jener schrecklichen Nachtscene, die ihm mit jedem Au- genblick unglaublicher vorkam.
Ungeduld und Furcht trieben ihn endlich zu seinem Gasthof zurück. Wie rührend kam ihm Agnes schon auf der Schwelle mit schüchternem Gruß und Kuß entgegen! wie leise forschte sie an ihm, nach seiner Hoffnung, seiner Sorge, die zu zerstreuen sie nicht wagen durfte! So verging eine bange, leere Stunde, es vergingen zwei und drei, ohne daß ein Mensch erschien, der auch nur eine Nachricht überbracht hätte. So oft Jemand die Treppe herankam, schlug Nolten das Herz bis an die Kehle; unbegreiflich war es, daß selbst Wispel nichts von sich sehen ließ; die Un- ruhe, worin die drei Reisenden einsilbig, unthätig, verdrießlich um einander standen, saßen und gingen, wäre nicht zu beschreiben.
Nannette hatte so eben ein Buch ergriffen und sich erboten, etwas vorzulesen, als man plötzlich durch einen immer näher kommenden Tumult auf dem Gange zusammengeschreckt von den Stühlen auffuhr, zu sehen was es gibt. Der Barbier, außer Athem mit krei- schender Stimme, stürzt in das Zimmer und während
ſchwülen, wüſten Traum auf einmal vor dem Gehirn wegſtäuben mögen! In einer der hohen Straßenla- ternen brannte das nächtliche Lämpchen, ſeine gemeſ- ſene Zeit überlebend, mit ſonderbarem Zwitterlichte noch in den hellen Tag hinein: ſo und nicht anders ſpuckte in Theobalds Erinnerung ein düſterer Reſt jener ſchrecklichen Nachtſcene, die ihm mit jedem Au- genblick unglaublicher vorkam.
Ungeduld und Furcht trieben ihn endlich zu ſeinem Gaſthof zurück. Wie rührend kam ihm Agnes ſchon auf der Schwelle mit ſchüchternem Gruß und Kuß entgegen! wie leiſe forſchte ſie an ihm, nach ſeiner Hoffnung, ſeiner Sorge, die zu zerſtreuen ſie nicht wagen durfte! So verging eine bange, leere Stunde, es vergingen zwei und drei, ohne daß ein Menſch erſchien, der auch nur eine Nachricht überbracht hätte. So oft Jemand die Treppe herankam, ſchlug Nolten das Herz bis an die Kehle; unbegreiflich war es, daß ſelbſt Wispel nichts von ſich ſehen ließ; die Un- ruhe, worin die drei Reiſenden einſilbig, unthätig, verdrießlich um einander ſtanden, ſaßen und gingen, wäre nicht zu beſchreiben.
Nannette hatte ſo eben ein Buch ergriffen und ſich erboten, etwas vorzuleſen, als man plötzlich durch einen immer näher kommenden Tumult auf dem Gange zuſammengeſchreckt von den Stühlen auffuhr, zu ſehen was es gibt. Der Barbier, außer Athem mit krei- ſchender Stimme, ſtürzt in das Zimmer und während
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ſchwülen, wüſten Traum auf einmal vor dem Gehirn
wegſtäuben mögen! In einer der hohen Straßenla-
ternen brannte das nächtliche Lämpchen, ſeine gemeſ-
ſene Zeit überlebend, mit ſonderbarem Zwitterlichte
noch in den hellen Tag hinein: ſo und nicht anders
ſpuckte in Theobalds Erinnerung ein düſterer Reſt
jener ſchrecklichen Nachtſcene, die ihm mit jedem Au-
genblick unglaublicher vorkam.
Ungeduld und Furcht trieben ihn endlich zu ſeinem
Gaſthof zurück. Wie rührend kam ihm Agnes ſchon
auf der Schwelle mit ſchüchternem Gruß und Kuß
entgegen! wie leiſe forſchte ſie an ihm, nach ſeiner
Hoffnung, ſeiner Sorge, die zu zerſtreuen ſie nicht
wagen durfte! So verging eine bange, leere Stunde,
es vergingen zwei und drei, ohne daß ein Menſch
erſchien, der auch nur eine Nachricht überbracht hätte.
So oft Jemand die Treppe herankam, ſchlug Nolten
das Herz bis an die Kehle; unbegreiflich war es,
daß ſelbſt Wispel nichts von ſich ſehen ließ; die Un-
ruhe, worin die drei Reiſenden einſilbig, unthätig,
verdrießlich um einander ſtanden, ſaßen und gingen,
wäre nicht zu beſchreiben.
Nannette hatte ſo eben ein Buch ergriffen und
ſich erboten, etwas vorzuleſen, als man plötzlich durch
einen immer näher kommenden Tumult auf dem Gange
zuſammengeſchreckt von den Stühlen auffuhr, zu ſehen
was es gibt. Der Barbier, außer Athem mit krei-
ſchender Stimme, ſtürzt in das Zimmer und während
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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