sein Wesen zu schließen, wenn auch nicht auf den Na- men, denn gesezt, man schöpfte diesen für die Blu- men wirklich aus einem bestimmten Gefühl, oder, wie soll ich sagen? aus einer natürlichen Aehnlichkeit, so kämen wir auf jeden Fall zu kurz neben diesen Früh- lingskindern, die man doch gewiß erst, nachdem sie voll- kommen ausgewachsen waren, getauft hat, um ihnen nicht Unrecht zu thun mit einem unpassenden Namen, während wir den unsrigen erhalten, ehe wir noch den geringsten Ausdruck zeigen."
Margot war über diese artige Bemerkung er- freut und Nannette erinnerte gelegentlich an die so- genannte Blumensprache, woraus man seit einiger Zeit ordentlich kleine Handbücher mache. "Was mir an dieser Lehre besonders gefällt, das ist, daß wir Mädchen bei all ihrer Willkürlichkeit doch gleich durch die Bedeutung, die dem armen nichtswissenden Ding im Buche beigelegt ist, unser Gefühl bestimmen und umstimmen lassen können, weil wir dem Menschen, der sich untersteht, so was Ein- für Allemal zu stem- peln, doch einen Sinn dabei zutrauen müssen, oder weil eine gedruckte Lüge doch immer etwas Unwider- stehlicheres hat als jede andere."
"Oder," versezte Margot, "weil wir ängstlich sind, durch unser vieles Um- und Wiedertaufen eine böse Verwirrung in das hübsche Reich zu bringen, so daß uns die armen Blumen am Ende gar nichts Ge- wisses mehr sagen möchten."
ſein Weſen zu ſchließen, wenn auch nicht auf den Na- men, denn geſezt, man ſchöpfte dieſen für die Blu- men wirklich aus einem beſtimmten Gefühl, oder, wie ſoll ich ſagen? aus einer natürlichen Aehnlichkeit, ſo kämen wir auf jeden Fall zu kurz neben dieſen Früh- lingskindern, die man doch gewiß erſt, nachdem ſie voll- kommen ausgewachſen waren, getauft hat, um ihnen nicht Unrecht zu thun mit einem unpaſſenden Namen, während wir den unſrigen erhalten, ehe wir noch den geringſten Ausdruck zeigen.“
Margot war über dieſe artige Bemerkung er- freut und Nannette erinnerte gelegentlich an die ſo- genannte Blumenſprache, woraus man ſeit einiger Zeit ordentlich kleine Handbücher mache. „Was mir an dieſer Lehre beſonders gefällt, das iſt, daß wir Mädchen bei all ihrer Willkürlichkeit doch gleich durch die Bedeutung, die dem armen nichtswiſſenden Ding im Buche beigelegt iſt, unſer Gefühl beſtimmen und umſtimmen laſſen können, weil wir dem Menſchen, der ſich unterſteht, ſo was Ein- für Allemal zu ſtem- peln, doch einen Sinn dabei zutrauen müſſen, oder weil eine gedruckte Lüge doch immer etwas Unwider- ſtehlicheres hat als jede andere.“
„Oder,“ verſezte Margot, „weil wir ängſtlich ſind, durch unſer vieles Um- und Wiedertaufen eine böſe Verwirrung in das hübſche Reich zu bringen, ſo daß uns die armen Blumen am Ende gar nichts Ge- wiſſes mehr ſagen möchten.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="538"/>ſein Weſen zu ſchließen, wenn auch nicht auf den Na-<lb/>
men, denn geſezt, man ſchöpfte dieſen für die Blu-<lb/>
men wirklich aus einem beſtimmten Gefühl, oder, wie<lb/>ſoll ich ſagen? aus einer natürlichen Aehnlichkeit, ſo<lb/>
kämen wir auf jeden Fall zu kurz neben dieſen Früh-<lb/>
lingskindern, die man doch gewiß erſt, nachdem ſie voll-<lb/>
kommen ausgewachſen waren, getauft hat, um ihnen<lb/>
nicht Unrecht zu thun mit einem unpaſſenden Namen,<lb/>
während wir den unſrigen erhalten, ehe wir noch den<lb/>
geringſten Ausdruck zeigen.“</p><lb/><p><hirendition="#g">Margot</hi> war über dieſe artige Bemerkung er-<lb/>
freut und <hirendition="#g">Nannette</hi> erinnerte gelegentlich an die ſo-<lb/>
genannte Blumenſprache, woraus man ſeit einiger<lb/>
Zeit ordentlich kleine Handbücher mache. „Was mir<lb/>
an dieſer Lehre beſonders gefällt, das iſt, daß wir<lb/>
Mädchen bei all ihrer Willkürlichkeit doch gleich durch<lb/>
die Bedeutung, die dem armen nichtswiſſenden Ding<lb/>
im Buche beigelegt iſt, unſer Gefühl beſtimmen und<lb/>
umſtimmen laſſen können, weil wir dem Menſchen,<lb/>
der ſich unterſteht, ſo was Ein- für Allemal zu ſtem-<lb/>
peln, doch einen Sinn dabei zutrauen müſſen, oder<lb/>
weil eine gedruckte Lüge doch immer etwas Unwider-<lb/>ſtehlicheres hat als jede andere.“</p><lb/><p>„Oder,“ verſezte <hirendition="#g">Margot</hi>, „weil wir ängſtlich<lb/>ſind, durch unſer vieles Um- und Wiedertaufen eine<lb/>
böſe Verwirrung in das hübſche Reich zu bringen, ſo<lb/>
daß uns die armen Blumen am Ende gar nichts Ge-<lb/>
wiſſes mehr ſagen möchten.“</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[538/0224]
ſein Weſen zu ſchließen, wenn auch nicht auf den Na-
men, denn geſezt, man ſchöpfte dieſen für die Blu-
men wirklich aus einem beſtimmten Gefühl, oder, wie
ſoll ich ſagen? aus einer natürlichen Aehnlichkeit, ſo
kämen wir auf jeden Fall zu kurz neben dieſen Früh-
lingskindern, die man doch gewiß erſt, nachdem ſie voll-
kommen ausgewachſen waren, getauft hat, um ihnen
nicht Unrecht zu thun mit einem unpaſſenden Namen,
während wir den unſrigen erhalten, ehe wir noch den
geringſten Ausdruck zeigen.“
Margot war über dieſe artige Bemerkung er-
freut und Nannette erinnerte gelegentlich an die ſo-
genannte Blumenſprache, woraus man ſeit einiger
Zeit ordentlich kleine Handbücher mache. „Was mir
an dieſer Lehre beſonders gefällt, das iſt, daß wir
Mädchen bei all ihrer Willkürlichkeit doch gleich durch
die Bedeutung, die dem armen nichtswiſſenden Ding
im Buche beigelegt iſt, unſer Gefühl beſtimmen und
umſtimmen laſſen können, weil wir dem Menſchen,
der ſich unterſteht, ſo was Ein- für Allemal zu ſtem-
peln, doch einen Sinn dabei zutrauen müſſen, oder
weil eine gedruckte Lüge doch immer etwas Unwider-
ſtehlicheres hat als jede andere.“
„Oder,“ verſezte Margot, „weil wir ängſtlich
ſind, durch unſer vieles Um- und Wiedertaufen eine
böſe Verwirrung in das hübſche Reich zu bringen, ſo
daß uns die armen Blumen am Ende gar nichts Ge-
wiſſes mehr ſagen möchten.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/224>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.