"Wie närrisch ich früher über Namen der Men- schen gedacht habe und zuweilen noch denken muß, kann ich bei der Gelegenheit nicht verschweigen," sagte Agnes. "Sollten denn, meint' ich, die Namen, welche wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch- ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der Mensch sich später sein innerliches Leben formt, wie er Andern gegenüber sich fühlt? ich meine, daß sein Wesen einen besondern Hauch von seinem Namen annähme?"
"Dergleichen angenehmen Selbsttäuschungen," er- widerte das Fräulein, "entgeht wohl Niemand, der tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da sie so gefahrlos als lieblich sind, so wollen wir sie uns einander ja nicht ausreden."
Nannette war bei Seite getreten und kam mit einem kleinen Strauß zurück. Während sie ihn in der Stille zurecht fügte, schien ihr ein komischer Ge- danke durch den Kopf zu gehn, der sie unwiderstehlich laut lachen machte. "Was hat nun der Schelm?" fragte Margot, "es geht auf Eins von uns Beiden -- nur heraus damit!" "Es geht auf Sie!" lachte das Mädchen, "ist aber nichts zum übel nehmen. Ich suchte da nach einer Blume, die sich für Ihren Sinn und Namen passen könnte, nun heißt doch wohl Mar- got nicht weniger noch mehr als Margarete, natürlich fiel mir also ein, wie leichtfertig es lassen müßte, wie dumm und ungeschickt, wenn Ihnen Je- mand hier dieß Gretchen im Busch verehren
„Wie närriſch ich früher über Namen der Men- ſchen gedacht habe und zuweilen noch denken muß, kann ich bei der Gelegenheit nicht verſchweigen,“ ſagte Agnes. „Sollten denn, meint’ ich, die Namen, welche wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch- ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der Menſch ſich ſpäter ſein innerliches Leben formt, wie er Andern gegenüber ſich fühlt? ich meine, daß ſein Weſen einen beſondern Hauch von ſeinem Namen annähme?“
„Dergleichen angenehmen Selbſttäuſchungen,“ er- widerte das Fräulein, „entgeht wohl Niemand, der tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da ſie ſo gefahrlos als lieblich ſind, ſo wollen wir ſie uns einander ja nicht ausreden.“
Nannette war bei Seite getreten und kam mit einem kleinen Strauß zurück. Während ſie ihn in der Stille zurecht fügte, ſchien ihr ein komiſcher Ge- danke durch den Kopf zu gehn, der ſie unwiderſtehlich laut lachen machte. „Was hat nun der Schelm?“ fragte Margot, „es geht auf Eins von uns Beiden — nur heraus damit!“ „Es geht auf Sie!“ lachte das Mädchen, „iſt aber nichts zum übel nehmen. Ich ſuchte da nach einer Blume, die ſich für Ihren Sinn und Namen paſſen könnte, nun heißt doch wohl Mar- got nicht weniger noch mehr als Margarete, natürlich fiel mir alſo ein, wie leichtfertig es laſſen müßte, wie dumm und ungeſchickt, wenn Ihnen Je- mand hier dieß Gretchen im Buſch verehren
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„Wie närriſch ich früher über Namen der Men-
ſchen gedacht habe und zuweilen noch denken muß,
kann ich bei der Gelegenheit nicht verſchweigen,“ ſagte
Agnes. „Sollten denn, meint’ ich, die Namen, welche
wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch-
ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der
Menſch ſich ſpäter ſein innerliches Leben formt, wie er
Andern gegenüber ſich fühlt? ich meine, daß ſein Weſen
einen beſondern Hauch von ſeinem Namen annähme?“
„Dergleichen angenehmen Selbſttäuſchungen,“ er-
widerte das Fräulein, „entgeht wohl Niemand, der
tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da
ſie ſo gefahrlos als lieblich ſind, ſo wollen wir ſie
uns einander ja nicht ausreden.“
Nannette war bei Seite getreten und kam mit
einem kleinen Strauß zurück. Während ſie ihn in
der Stille zurecht fügte, ſchien ihr ein komiſcher Ge-
danke durch den Kopf zu gehn, der ſie unwiderſtehlich
laut lachen machte. „Was hat nun der Schelm?“
fragte Margot, „es geht auf Eins von uns Beiden
— nur heraus damit!“ „Es geht auf Sie!“ lachte
das Mädchen, „iſt aber nichts zum übel nehmen. Ich
ſuchte da nach einer Blume, die ſich für Ihren Sinn
und Namen paſſen könnte, nun heißt doch wohl Mar-
got nicht weniger noch mehr als Margarete,
natürlich fiel mir alſo ein, wie leichtfertig es laſſen
müßte, wie dumm und ungeſchickt, wenn Ihnen Je-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/225>, abgerufen am 21.11.2024.
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