Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wie närrisch ich früher über Namen der Men-
schen gedacht habe und zuweilen noch denken muß,
kann ich bei der Gelegenheit nicht verschweigen," sagte
Agnes. "Sollten denn, meint' ich, die Namen, welche
wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch-
ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der
Mensch sich später sein innerliches Leben formt, wie er
Andern gegenüber sich fühlt? ich meine, daß sein Wesen
einen besondern Hauch von seinem Namen annähme?"

"Dergleichen angenehmen Selbsttäuschungen," er-
widerte das Fräulein, "entgeht wohl Niemand, der
tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da
sie so gefahrlos als lieblich sind, so wollen wir sie
uns einander ja nicht ausreden."

Nannette war bei Seite getreten und kam mit
einem kleinen Strauß zurück. Während sie ihn in
der Stille zurecht fügte, schien ihr ein komischer Ge-
danke durch den Kopf zu gehn, der sie unwiderstehlich
laut lachen machte. "Was hat nun der Schelm?"
fragte Margot, "es geht auf Eins von uns Beiden
-- nur heraus damit!" "Es geht auf Sie!" lachte
das Mädchen, "ist aber nichts zum übel nehmen. Ich
suchte da nach einer Blume, die sich für Ihren Sinn
und Namen passen könnte, nun heißt doch wohl Mar-
got
nicht weniger noch mehr als Margarete,
natürlich fiel mir also ein, wie leichtfertig es lassen
müßte, wie dumm und ungeschickt, wenn Ihnen Je-
mand hier dieß Gretchen im Busch verehren

„Wie närriſch ich früher über Namen der Men-
ſchen gedacht habe und zuweilen noch denken muß,
kann ich bei der Gelegenheit nicht verſchweigen,“ ſagte
Agnes. „Sollten denn, meint’ ich, die Namen, welche
wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch-
ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der
Menſch ſich ſpäter ſein innerliches Leben formt, wie er
Andern gegenüber ſich fühlt? ich meine, daß ſein Weſen
einen beſondern Hauch von ſeinem Namen annähme?“

„Dergleichen angenehmen Selbſttäuſchungen,“ er-
widerte das Fräulein, „entgeht wohl Niemand, der
tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da
ſie ſo gefahrlos als lieblich ſind, ſo wollen wir ſie
uns einander ja nicht ausreden.“

Nannette war bei Seite getreten und kam mit
einem kleinen Strauß zurück. Während ſie ihn in
der Stille zurecht fügte, ſchien ihr ein komiſcher Ge-
danke durch den Kopf zu gehn, der ſie unwiderſtehlich
laut lachen machte. „Was hat nun der Schelm?“
fragte Margot, „es geht auf Eins von uns Beiden
— nur heraus damit!“ „Es geht auf Sie!“ lachte
das Mädchen, „iſt aber nichts zum übel nehmen. Ich
ſuchte da nach einer Blume, die ſich für Ihren Sinn
und Namen paſſen könnte, nun heißt doch wohl Mar-
got
nicht weniger noch mehr als Margarete,
natürlich fiel mir alſo ein, wie leichtfertig es laſſen
müßte, wie dumm und ungeſchickt, wenn Ihnen Je-
mand hier dieß Gretchen im Buſch verehren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0225" n="539"/>
          <p>&#x201E;Wie närri&#x017F;ch ich früher über Namen der Men-<lb/>
&#x017F;chen gedacht habe und zuweilen noch denken muß,<lb/>
kann ich bei der Gelegenheit nicht ver&#x017F;chweigen,&#x201C; &#x017F;agte<lb/><hi rendition="#g">Agnes</hi>. &#x201E;Sollten denn, meint&#x2019; ich, die Namen, welche<lb/>
wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch-<lb/>
ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der<lb/>
Men&#x017F;ch &#x017F;ich &#x017F;päter &#x017F;ein innerliches Leben formt, wie er<lb/>
Andern gegenüber &#x017F;ich fühlt? ich meine, daß &#x017F;ein We&#x017F;en<lb/>
einen be&#x017F;ondern Hauch von &#x017F;einem Namen annähme?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Dergleichen angenehmen Selb&#x017F;ttäu&#x017F;chungen,&#x201C; er-<lb/>
widerte das Fräulein, &#x201E;entgeht wohl Niemand, der<lb/>
tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o gefahrlos als lieblich &#x017F;ind, &#x017F;o wollen wir &#x017F;ie<lb/>
uns einander ja nicht ausreden.&#x201C;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Nannette</hi> war bei Seite getreten und kam mit<lb/>
einem kleinen Strauß zurück. Während &#x017F;ie ihn in<lb/>
der Stille zurecht fügte, &#x017F;chien ihr ein komi&#x017F;cher Ge-<lb/>
danke durch den Kopf zu gehn, der &#x017F;ie unwider&#x017F;tehlich<lb/>
laut lachen machte. &#x201E;Was hat nun der Schelm?&#x201C;<lb/>
fragte <hi rendition="#g">Margot</hi>, &#x201E;es geht auf Eins von uns Beiden<lb/>
&#x2014; nur heraus damit!&#x201C; &#x201E;Es geht auf Sie!&#x201C; lachte<lb/>
das Mädchen, &#x201E;i&#x017F;t aber nichts zum übel nehmen. Ich<lb/>
&#x017F;uchte da nach einer Blume, die &#x017F;ich für Ihren Sinn<lb/>
und Namen pa&#x017F;&#x017F;en könnte, nun heißt doch wohl <hi rendition="#g">Mar-<lb/>
got</hi> nicht weniger noch mehr als <hi rendition="#g">Margarete</hi>,<lb/>
natürlich fiel mir al&#x017F;o ein, wie leichtfertig es la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
müßte, wie dumm und unge&#x017F;chickt, wenn Ihnen Je-<lb/>
mand hier dieß <hi rendition="#g">Gretchen im Bu&#x017F;ch</hi> verehren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[539/0225] „Wie närriſch ich früher über Namen der Men- ſchen gedacht habe und zuweilen noch denken muß, kann ich bei der Gelegenheit nicht verſchweigen,“ ſagte Agnes. „Sollten denn, meint’ ich, die Namen, welche wir als Kinder bekommen, zumal die weniger verbrauch- ten, nicht einen kleinen Einfluß darauf haben, wie der Menſch ſich ſpäter ſein innerliches Leben formt, wie er Andern gegenüber ſich fühlt? ich meine, daß ſein Weſen einen beſondern Hauch von ſeinem Namen annähme?“ „Dergleichen angenehmen Selbſttäuſchungen,“ er- widerte das Fräulein, „entgeht wohl Niemand, der tiefern Sinn für Charakter überhaupt hat, und da ſie ſo gefahrlos als lieblich ſind, ſo wollen wir ſie uns einander ja nicht ausreden.“ Nannette war bei Seite getreten und kam mit einem kleinen Strauß zurück. Während ſie ihn in der Stille zurecht fügte, ſchien ihr ein komiſcher Ge- danke durch den Kopf zu gehn, der ſie unwiderſtehlich laut lachen machte. „Was hat nun der Schelm?“ fragte Margot, „es geht auf Eins von uns Beiden — nur heraus damit!“ „Es geht auf Sie!“ lachte das Mädchen, „iſt aber nichts zum übel nehmen. Ich ſuchte da nach einer Blume, die ſich für Ihren Sinn und Namen paſſen könnte, nun heißt doch wohl Mar- got nicht weniger noch mehr als Margarete, natürlich fiel mir alſo ein, wie leichtfertig es laſſen müßte, wie dumm und ungeſchickt, wenn Ihnen Je- mand hier dieß Gretchen im Buſch verehren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/225
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/225>, abgerufen am 21.11.2024.