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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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muntern Französin, in der sie einen unerschöpflichen
Schatz von Geschichten und Späßen, eine wahre Adels-
chronik entdeckt hatte. Agnes bemühte sich, in Nol-
tens
Gedanken einzugehn, sein Schweigen tröstlich
aufzulösen. Sie erinnerte sich jener Worte, welche
der Maler im ersten Schmerz auf die entsetzliche To-
desnachricht im Gasthof etwas vorschnell gegen sie
hatte fallen lassen, wornach sie sich dem Todten auf
eine besondere Weise persönlich verpflichtet glauben
mußte. Ihre Fragen deßhalb hatte Nolten nachher
nur ausweichend und so allgemein wie möglich beant-
wortet, auch dießmal ging er schnell darüber hin und
sie beharrte nicht darauf. Nun aber sprach sie über-
haupt so ruhig, so verständig von dem Gegenstand,
aus ihren einfachen Worten leuchtete so ein reines
und sicheres Urtheil über die innerste Gestalt jenes
verunglückten Geistes hervor, daß Theobald ihr mit
Verwunderung zuhörte. Zugleich that sie ihm aber
weh, in aller Unschuld. Denn freilich mußte sich in
einem weiblichen Gemüth, auch in dem liebevollsten,
die Denk- und Handlungsweise eines Mannes wie
Larkens, nach ihrem lezten sittlichen Grunde, um
gar viel anders spiegeln als in den Augen seines näch-
sten Freundes, und Nolten konnte im Räsonnement
des Mädchens, wie zart und herzlich es auch war,
doch leicht etwas entdecken, wodurch er dem Verstor-
benen zu nah getreten sah, ohne daß er Agnesen
auf ihrem Standpunkt zu widerlegen hoffen, ja dieses

muntern Franzöſin, in der ſie einen unerſchöpflichen
Schatz von Geſchichten und Späßen, eine wahre Adels-
chronik entdeckt hatte. Agnes bemühte ſich, in Nol-
tens
Gedanken einzugehn, ſein Schweigen tröſtlich
aufzulöſen. Sie erinnerte ſich jener Worte, welche
der Maler im erſten Schmerz auf die entſetzliche To-
desnachricht im Gaſthof etwas vorſchnell gegen ſie
hatte fallen laſſen, wornach ſie ſich dem Todten auf
eine beſondere Weiſe perſönlich verpflichtet glauben
mußte. Ihre Fragen deßhalb hatte Nolten nachher
nur ausweichend und ſo allgemein wie möglich beant-
wortet, auch dießmal ging er ſchnell darüber hin und
ſie beharrte nicht darauf. Nun aber ſprach ſie über-
haupt ſo ruhig, ſo verſtändig von dem Gegenſtand,
aus ihren einfachen Worten leuchtete ſo ein reines
und ſicheres Urtheil über die innerſte Geſtalt jenes
verunglückten Geiſtes hervor, daß Theobald ihr mit
Verwunderung zuhörte. Zugleich that ſie ihm aber
weh, in aller Unſchuld. Denn freilich mußte ſich in
einem weiblichen Gemüth, auch in dem liebevollſten,
die Denk- und Handlungsweiſe eines Mannes wie
Larkens, nach ihrem lezten ſittlichen Grunde, um
gar viel anders ſpiegeln als in den Augen ſeines näch-
ſten Freundes, und Nolten konnte im Räſonnement
des Mädchens, wie zart und herzlich es auch war,
doch leicht etwas entdecken, wodurch er dem Verſtor-
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[563/0249] muntern Franzöſin, in der ſie einen unerſchöpflichen Schatz von Geſchichten und Späßen, eine wahre Adels- chronik entdeckt hatte. Agnes bemühte ſich, in Nol- tens Gedanken einzugehn, ſein Schweigen tröſtlich aufzulöſen. Sie erinnerte ſich jener Worte, welche der Maler im erſten Schmerz auf die entſetzliche To- desnachricht im Gaſthof etwas vorſchnell gegen ſie hatte fallen laſſen, wornach ſie ſich dem Todten auf eine beſondere Weiſe perſönlich verpflichtet glauben mußte. Ihre Fragen deßhalb hatte Nolten nachher nur ausweichend und ſo allgemein wie möglich beant- wortet, auch dießmal ging er ſchnell darüber hin und ſie beharrte nicht darauf. Nun aber ſprach ſie über- haupt ſo ruhig, ſo verſtändig von dem Gegenſtand, aus ihren einfachen Worten leuchtete ſo ein reines und ſicheres Urtheil über die innerſte Geſtalt jenes verunglückten Geiſtes hervor, daß Theobald ihr mit Verwunderung zuhörte. Zugleich that ſie ihm aber weh, in aller Unſchuld. Denn freilich mußte ſich in einem weiblichen Gemüth, auch in dem liebevollſten, die Denk- und Handlungsweiſe eines Mannes wie Larkens, nach ihrem lezten ſittlichen Grunde, um gar viel anders ſpiegeln als in den Augen ſeines näch- ſten Freundes, und Nolten konnte im Räſonnement des Mädchens, wie zart und herzlich es auch war, doch leicht etwas entdecken, wodurch er dem Verſtor- benen zu nah getreten ſah, ohne daß er Agneſen auf ihrem Standpunkt zu widerlegen hoffen, ja dieſes

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/249>, abgerufen am 21.11.2024.