wissentlich geärgert haben -- genug, sie selber schien zu glauben, es fühle das Thier das Unheimliche ihrer Nähe. Sie schmeichelte dem Hund auf alle Weise, ja gar mit Thränen, und ließ zulezt, da nichts verfangen wollte, betrübt und ärgerlich von ihm ab, ohne ihn weiter ansehn zu wollen.
Seit Kurzem bemerkte man, daß sie ihren Trau- ring nicht mehr trug. Als man sie um die Ursache fragte, gab sie zur Antwort: "Meine Mutter hat ihn genommen." "Deine Mutter ist aber todt, willst du sie denn gesehen haben?" "Nein; dennoch weiß ich, sie hat den Ring mit fort; ich kenne den Platz, wo er liegt, und ich muß ihn selbst dort abholen. O wäre das schon überstanden! Es ist ein ängstlicher Ort, aber einer frommen Braut kann er nichts an- haben; ein schöner Engel wird da stehn, wird fragen, was ich suche und mir's einhändigen. Auch sagt er mir sogleich, wo mein Geliebter ist und wann er kommt."
Ein ander Mal ließ sie gegen Henni die Worte fallen: "Mir kam gestern so der Gedanke, weil der Nolten doch gar zu lange ausbleibt, gib Acht, er hat mich aufgegeben! Und, recht beim Licht besehn, es ist ihm nicht sehr zu verdenken; was thät' er mit der Thörin? er hätte seine liebe Roth im Hause. Und überdieß, o Henni -- welk, welk, welk, es geht zum Welken! Siehst du, wie es nun gut ist, daß noch die Hochzeit nicht war; ich dachte wohl immer so was.
wiſſentlich geärgert haben — genug, ſie ſelber ſchien zu glauben, es fühle das Thier das Unheimliche ihrer Nähe. Sie ſchmeichelte dem Hund auf alle Weiſe, ja gar mit Thränen, und ließ zulezt, da nichts verfangen wollte, betrübt und ärgerlich von ihm ab, ohne ihn weiter anſehn zu wollen.
Seit Kurzem bemerkte man, daß ſie ihren Trau- ring nicht mehr trug. Als man ſie um die Urſache fragte, gab ſie zur Antwort: „Meine Mutter hat ihn genommen.“ „Deine Mutter iſt aber todt, willſt du ſie denn geſehen haben?“ „Nein; dennoch weiß ich, ſie hat den Ring mit fort; ich kenne den Platz, wo er liegt, und ich muß ihn ſelbſt dort abholen. O wäre das ſchon überſtanden! Es iſt ein ängſtlicher Ort, aber einer frommen Braut kann er nichts an- haben; ein ſchöner Engel wird da ſtehn, wird fragen, was ich ſuche und mir’s einhändigen. Auch ſagt er mir ſogleich, wo mein Geliebter iſt und wann er kommt.“
Ein ander Mal ließ ſie gegen Henni die Worte fallen: „Mir kam geſtern ſo der Gedanke, weil der Nolten doch gar zu lange ausbleibt, gib Acht, er hat mich aufgegeben! Und, recht beim Licht beſehn, es iſt ihm nicht ſehr zu verdenken; was thät’ er mit der Thörin? er hätte ſeine liebe Roth im Hauſe. Und überdieß, o Henni — welk, welk, welk, es geht zum Welken! Siehſt du, wie es nun gut iſt, daß noch die Hochzeit nicht war; ich dachte wohl immer ſo was.
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wiſſentlich geärgert haben — genug, ſie ſelber ſchien
zu glauben, es fühle das Thier das Unheimliche ihrer
Nähe. Sie ſchmeichelte dem Hund auf alle Weiſe, ja
gar mit Thränen, und ließ zulezt, da nichts verfangen
wollte, betrübt und ärgerlich von ihm ab, ohne ihn
weiter anſehn zu wollen.
Seit Kurzem bemerkte man, daß ſie ihren Trau-
ring nicht mehr trug. Als man ſie um die Urſache
fragte, gab ſie zur Antwort: „Meine Mutter hat ihn
genommen.“ „Deine Mutter iſt aber todt, willſt du
ſie denn geſehen haben?“ „Nein; dennoch weiß ich,
ſie hat den Ring mit fort; ich kenne den Platz, wo
er liegt, und ich muß ihn ſelbſt dort abholen. O
wäre das ſchon überſtanden! Es iſt ein ängſtlicher
Ort, aber einer frommen Braut kann er nichts an-
haben; ein ſchöner Engel wird da ſtehn, wird fragen,
was ich ſuche und mir’s einhändigen. Auch ſagt er
mir ſogleich, wo mein Geliebter iſt und wann er
kommt.“
Ein ander Mal ließ ſie gegen Henni die Worte
fallen: „Mir kam geſtern ſo der Gedanke, weil der
Nolten doch gar zu lange ausbleibt, gib Acht, er
hat mich aufgegeben! Und, recht beim Licht beſehn,
es iſt ihm nicht ſehr zu verdenken; was thät’ er mit
der Thörin? er hätte ſeine liebe Roth im Hauſe.
Und überdieß, o Henni — welk, welk, welk, es geht
zum Welken! Siehſt du, wie es nun gut iſt, daß noch
die Hochzeit nicht war; ich dachte wohl immer ſo was.
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/303>, abgerufen am 21.11.2024.
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