Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

wie man deßhalb bei Nolten sich zu benehmen habe,
so wurde Jederman nicht wenig überrascht, als er
mit aller Gelassenheit die Frage stellte: auf wann die
Beerdigung festgesezt sey, und wohin man dießfalls
gedenke? -- Mit gleicher Ruhe fand er hierauf von
selbst den Weg zum Zimmer, wo die Todte lag. Er
verweilte allein und lange daselbst. Erst diese An-
schauung gab ihm das ganze, deutliche Gefühl seines
Verlustes, er weinte heftig, als er zu den Andern
auf den Saal zurückkam.

"Unglücklicher, geliebter Freund," nahm jezt der
Präsident das Wort und umarmte den Maler, "es ist mir
vorlängst einmal der Spruch irgendwo vorgekommen:
wir sollen selbst da noch hoffen, wo nichts mehr zu
hoffen steht. Gewiß ist das ein herrliches Wort, wer's
nur verstehen will; mir hat es einst in großer Noth
den wunderbarsten Trost in der Seele erweckt, einen
leuchtenden Goldblick des Glaubens; und nur auf den
Entschluß kommt es an, sich dieses Glaubens freudig
zu bemächtigen. O daß Sie dieß vermöchten! Ein
Mensch, den das Schicksal so ängstlich mit eisernen
Händen umklammert, der muß am Ende doch sein
Liebling seyn und diese grausame Gunst wird sich ihm
eines Tags als die ewige Güte und Wahrheit ent-
hüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten
des Himmels seine ersten Heiligen waren. Eine Feuer-
taufe ist über Sie ergangen und ein höheres, ein gott-
bewußteres Leben wird sich von Stund' an in Ihnen
entfalten."

wie man deßhalb bei Nolten ſich zu benehmen habe,
ſo wurde Jederman nicht wenig überraſcht, als er
mit aller Gelaſſenheit die Frage ſtellte: auf wann die
Beerdigung feſtgeſezt ſey, und wohin man dießfalls
gedenke? — Mit gleicher Ruhe fand er hierauf von
ſelbſt den Weg zum Zimmer, wo die Todte lag. Er
verweilte allein und lange daſelbſt. Erſt dieſe An-
ſchauung gab ihm das ganze, deutliche Gefühl ſeines
Verluſtes, er weinte heftig, als er zu den Andern
auf den Saal zurückkam.

„Unglücklicher, geliebter Freund,“ nahm jezt der
Präſident das Wort und umarmte den Maler, „es iſt mir
vorlängſt einmal der Spruch irgendwo vorgekommen:
wir ſollen ſelbſt da noch hoffen, wo nichts mehr zu
hoffen ſteht. Gewiß iſt das ein herrliches Wort, wer’s
nur verſtehen will; mir hat es einſt in großer Noth
den wunderbarſten Troſt in der Seele erweckt, einen
leuchtenden Goldblick des Glaubens; und nur auf den
Entſchluß kommt es an, ſich dieſes Glaubens freudig
zu bemächtigen. O daß Sie dieß vermöchten! Ein
Menſch, den das Schickſal ſo ängſtlich mit eiſernen
Händen umklammert, der muß am Ende doch ſein
Liebling ſeyn und dieſe grauſame Gunſt wird ſich ihm
eines Tags als die ewige Güte und Wahrheit ent-
hüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten
des Himmels ſeine erſten Heiligen waren. Eine Feuer-
taufe iſt über Sie ergangen und ein höheres, ein gott-
bewußteres Leben wird ſich von Stund’ an in Ihnen
entfalten.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0312" n="626"/>
wie man deßhalb bei <hi rendition="#g">Nolten</hi> &#x017F;ich zu benehmen habe,<lb/>
&#x017F;o wurde Jederman nicht wenig überra&#x017F;cht, als er<lb/>
mit aller Gela&#x017F;&#x017F;enheit die Frage &#x017F;tellte: auf wann die<lb/>
Beerdigung fe&#x017F;tge&#x017F;ezt &#x017F;ey, und wohin man dießfalls<lb/>
gedenke? &#x2014; Mit gleicher Ruhe fand er hierauf von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t den Weg zum Zimmer, wo die Todte lag. Er<lb/>
verweilte allein und lange da&#x017F;elb&#x017F;t. Er&#x017F;t die&#x017F;e An-<lb/>
&#x017F;chauung gab ihm das ganze, deutliche Gefühl &#x017F;eines<lb/>
Verlu&#x017F;tes, er weinte heftig, als er zu den Andern<lb/>
auf den Saal zurückkam.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Unglücklicher, geliebter Freund,&#x201C; nahm jezt der<lb/>
Prä&#x017F;ident das Wort und umarmte den Maler, &#x201E;es i&#x017F;t mir<lb/>
vorläng&#x017F;t einmal der Spruch irgendwo vorgekommen:<lb/>
wir &#x017F;ollen &#x017F;elb&#x017F;t da noch hoffen, wo nichts mehr zu<lb/>
hoffen &#x017F;teht. Gewiß i&#x017F;t das ein herrliches Wort, wer&#x2019;s<lb/>
nur ver&#x017F;tehen will; mir hat es ein&#x017F;t in großer Noth<lb/>
den wunderbar&#x017F;ten Tro&#x017F;t in der Seele erweckt, einen<lb/>
leuchtenden Goldblick des Glaubens; und nur auf den<lb/>
Ent&#x017F;chluß kommt es an, &#x017F;ich die&#x017F;es Glaubens freudig<lb/>
zu bemächtigen. O daß Sie dieß vermöchten! Ein<lb/>
Men&#x017F;ch, den das Schick&#x017F;al &#x017F;o äng&#x017F;tlich mit ei&#x017F;ernen<lb/>
Händen umklammert, der muß am Ende doch &#x017F;ein<lb/>
Liebling &#x017F;eyn und die&#x017F;e grau&#x017F;ame Gun&#x017F;t wird &#x017F;ich ihm<lb/>
eines Tags als die ewige Güte und Wahrheit ent-<lb/>
hüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten<lb/>
des Himmels &#x017F;eine er&#x017F;ten Heiligen waren. Eine Feuer-<lb/>
taufe i&#x017F;t über Sie ergangen und ein höheres, ein gott-<lb/>
bewußteres Leben wird &#x017F;ich von Stund&#x2019; an in Ihnen<lb/>
entfalten.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[626/0312] wie man deßhalb bei Nolten ſich zu benehmen habe, ſo wurde Jederman nicht wenig überraſcht, als er mit aller Gelaſſenheit die Frage ſtellte: auf wann die Beerdigung feſtgeſezt ſey, und wohin man dießfalls gedenke? — Mit gleicher Ruhe fand er hierauf von ſelbſt den Weg zum Zimmer, wo die Todte lag. Er verweilte allein und lange daſelbſt. Erſt dieſe An- ſchauung gab ihm das ganze, deutliche Gefühl ſeines Verluſtes, er weinte heftig, als er zu den Andern auf den Saal zurückkam. „Unglücklicher, geliebter Freund,“ nahm jezt der Präſident das Wort und umarmte den Maler, „es iſt mir vorlängſt einmal der Spruch irgendwo vorgekommen: wir ſollen ſelbſt da noch hoffen, wo nichts mehr zu hoffen ſteht. Gewiß iſt das ein herrliches Wort, wer’s nur verſtehen will; mir hat es einſt in großer Noth den wunderbarſten Troſt in der Seele erweckt, einen leuchtenden Goldblick des Glaubens; und nur auf den Entſchluß kommt es an, ſich dieſes Glaubens freudig zu bemächtigen. O daß Sie dieß vermöchten! Ein Menſch, den das Schickſal ſo ängſtlich mit eiſernen Händen umklammert, der muß am Ende doch ſein Liebling ſeyn und dieſe grauſame Gunſt wird ſich ihm eines Tags als die ewige Güte und Wahrheit ent- hüllen. Ich habe oft gefunden, daß die Geächteten des Himmels ſeine erſten Heiligen waren. Eine Feuer- taufe iſt über Sie ergangen und ein höheres, ein gott- bewußteres Leben wird ſich von Stund’ an in Ihnen entfalten.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/312
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/312>, abgerufen am 21.11.2024.