Schloßflügel herüber zu tönen scheint. Es war als spielte man sehr feierlich die Orgel, dann wieder klang es wie ein ganz anderes Instrument, immer nur ab- gebrochen, mit längeren und kürzeren Pausen, bald widerwärtig hart und grell, bald sanft und rührend. Betroffen springt er aus dem Bette, unschlüssig was er thun, wo er zuerst sich hinwenden soll. Er horcht und horcht, und -- abermals dieselben unbegreiflichen Töne! Leis auf den Socken, den Schlafrock umgewor- fen, geht er vor seine Thür, und schleicht, mit den Händen an der Wand forttastend, den finstern Gang hin, bis in die Nähe des Zimmers, wo sich der Gärt- ner und Henni befinden. Er ruft um Licht, der Gärtner eilt heraus, verwundert, den Maler zu dieser Stunde hier zu sehn. Da nun weder Vater noch Sohn irgend etwas Anderes gehört haben wollen, als das wechselnde Pfeifen des Windes, welcher auf dieser Seite heftiger gegen das Haus herstieß, so entfernte sich Nolten, scheinbar beruhigt, mit Licht, gab übri- gens nicht zu, daß man ihn zurückbegleitete.
Keine volle Minute verging, so vernahm der Alte und Henni vollkommen deutlich die oben beschriebenen Töne und gleich darauf einen starken Fall sammt einem lauten Aufschrei.
Kaum sind sie vor die alte Kapelle gelangt, kaum sah der Gärtner drei Schritte vor sich den Maler der Länge nach unter der offenstehenden Thür ohne Lebens- zeichen liegen, so ruft schon Henni, sich angstvoll an
Schloßflügel herüber zu tönen ſcheint. Es war als ſpielte man ſehr feierlich die Orgel, dann wieder klang es wie ein ganz anderes Inſtrument, immer nur ab- gebrochen, mit längeren und kürzeren Pauſen, bald widerwärtig hart und grell, bald ſanft und rührend. Betroffen ſpringt er aus dem Bette, unſchlüſſig was er thun, wo er zuerſt ſich hinwenden ſoll. Er horcht und horcht, und — abermals dieſelben unbegreiflichen Töne! Leis auf den Socken, den Schlafrock umgewor- fen, geht er vor ſeine Thür, und ſchleicht, mit den Händen an der Wand forttaſtend, den finſtern Gang hin, bis in die Nähe des Zimmers, wo ſich der Gärt- ner und Henni befinden. Er ruft um Licht, der Gärtner eilt heraus, verwundert, den Maler zu dieſer Stunde hier zu ſehn. Da nun weder Vater noch Sohn irgend etwas Anderes gehört haben wollen, als das wechſelnde Pfeifen des Windes, welcher auf dieſer Seite heftiger gegen das Haus herſtieß, ſo entfernte ſich Nolten, ſcheinbar beruhigt, mit Licht, gab übri- gens nicht zu, daß man ihn zurückbegleitete.
Keine volle Minute verging, ſo vernahm der Alte und Henni vollkommen deutlich die oben beſchriebenen Töne und gleich darauf einen ſtarken Fall ſammt einem lauten Aufſchrei.
Kaum ſind ſie vor die alte Kapelle gelangt, kaum ſah der Gärtner drei Schritte vor ſich den Maler der Länge nach unter der offenſtehenden Thür ohne Lebens- zeichen liegen, ſo ruft ſchon Henni, ſich angſtvoll an
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Schloßflügel herüber zu tönen ſcheint. Es war als
ſpielte man ſehr feierlich die Orgel, dann wieder klang
es wie ein ganz anderes Inſtrument, immer nur ab-
gebrochen, mit längeren und kürzeren Pauſen, bald
widerwärtig hart und grell, bald ſanft und rührend.
Betroffen ſpringt er aus dem Bette, unſchlüſſig was
er thun, wo er zuerſt ſich hinwenden ſoll. Er horcht
und horcht, und — abermals dieſelben unbegreiflichen
Töne! Leis auf den Socken, den Schlafrock umgewor-
fen, geht er vor ſeine Thür, und ſchleicht, mit den
Händen an der Wand forttaſtend, den finſtern Gang
hin, bis in die Nähe des Zimmers, wo ſich der Gärt-
ner und Henni befinden. Er ruft um Licht, der
Gärtner eilt heraus, verwundert, den Maler zu dieſer
Stunde hier zu ſehn. Da nun weder Vater noch
Sohn irgend etwas Anderes gehört haben wollen, als
das wechſelnde Pfeifen des Windes, welcher auf dieſer
Seite heftiger gegen das Haus herſtieß, ſo entfernte
ſich Nolten, ſcheinbar beruhigt, mit Licht, gab übri-
gens nicht zu, daß man ihn zurückbegleitete.
Keine volle Minute verging, ſo vernahm der Alte
und Henni vollkommen deutlich die oben beſchriebenen
Töne und gleich darauf einen ſtarken Fall ſammt einem
lauten Aufſchrei.
Kaum ſind ſie vor die alte Kapelle gelangt, kaum
ſah der Gärtner drei Schritte vor ſich den Maler der
Länge nach unter der offenſtehenden Thür ohne Lebens-
zeichen liegen, ſo ruft ſchon Henni, ſich angſtvoll an
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/316>, abgerufen am 21.11.2024.
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