Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte
Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um so leichter
werden Sie es daher verschmerzen, daß dort, wie mir
geschrieben wird, gewisse Leute, auf Ihr Zögern, bereits
geschäftig sind, Sie auszustechen. Wir wollen, dächt'
ich, selbigen zuvorkommen und erst dabei nichts einbüßen.
Hören Sie meinen Vorschlag: Wir Beide ziehn zu-
sammen! sey es nun hier, oder besser an einem an-
dern Plätzchen, wo sich's fein stille hausen läßt, gerade
wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigsten
der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere,
so viel mir bekannt, von jeher starken Trieb empfun-
den, mit der Kunst in eine Einsiedelei zu flüchten.
Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu
leben. Wie glücklich aber, könnt' ich das, was etwa
noch grün an mir seyn mag, auf Sie, mein theurer
Neffe, übertragen. Ja schleppen wir unsere Trüm-
mer aus dem Schiffbruch muthig zusammen! Ich
will thun, als wär' ich auch noch ein Junger. Mit
Stolz und Wehmuth sey's gesagt, wir sind zwei Stücke
Eines Baums, den der Blitz in der Mitte gespalten,
und ist vielleicht ein schöner Lorbeer zu Schanden gegan-
gen. Sie müssen ihn noch retten und ich helfe mit.

Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander,
als Zwillingsbrüder des Geschicks! Mit dreifachen
ehernen Banden haben freundlich-feindselige Götter,
dieß Paar zusammengeschmiedet -- ein seltenes Schau-
spiel für die Welt, wenn man's ihr gönnen möchte;

Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte
Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um ſo leichter
werden Sie es daher verſchmerzen, daß dort, wie mir
geſchrieben wird, gewiſſe Leute, auf Ihr Zögern, bereits
geſchäftig ſind, Sie auszuſtechen. Wir wollen, dächt’
ich, ſelbigen zuvorkommen und erſt dabei nichts einbüßen.
Hören Sie meinen Vorſchlag: Wir Beide ziehn zu-
ſammen! ſey es nun hier, oder beſſer an einem an-
dern Plätzchen, wo ſich’s fein ſtille hauſen läßt, gerade
wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigſten
der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere,
ſo viel mir bekannt, von jeher ſtarken Trieb empfun-
den, mit der Kunſt in eine Einſiedelei zu flüchten.
Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu
leben. Wie glücklich aber, könnt’ ich das, was etwa
noch grün an mir ſeyn mag, auf Sie, mein theurer
Neffe, übertragen. Ja ſchleppen wir unſere Trüm-
mer aus dem Schiffbruch muthig zuſammen! Ich
will thun, als wär’ ich auch noch ein Junger. Mit
Stolz und Wehmuth ſey’s geſagt, wir ſind zwei Stücke
Eines Baums, den der Blitz in der Mitte geſpalten,
und iſt vielleicht ein ſchöner Lorbeer zu Schanden gegan-
gen. Sie müſſen ihn noch retten und ich helfe mit.

Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander,
als Zwillingsbrüder des Geſchicks! Mit dreifachen
ehernen Banden haben freundlich-feindſelige Götter,
dieß Paar zuſammengeſchmiedet — ein ſeltenes Schau-
ſpiel für die Welt, wenn man’s ihr gönnen möchte;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0324" n="638"/>
Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte<lb/>
Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um &#x017F;o leichter<lb/>
werden Sie es daher ver&#x017F;chmerzen, daß dort, wie mir<lb/>
ge&#x017F;chrieben wird, gewi&#x017F;&#x017F;e Leute, auf Ihr Zögern, bereits<lb/>
ge&#x017F;chäftig &#x017F;ind, Sie auszu&#x017F;techen. Wir wollen, dächt&#x2019;<lb/>
ich, &#x017F;elbigen zuvorkommen und er&#x017F;t dabei nichts einbüßen.<lb/>
Hören Sie meinen Vor&#x017F;chlag: Wir Beide ziehn zu-<lb/>
&#x017F;ammen! &#x017F;ey es nun hier, oder be&#x017F;&#x017F;er an einem an-<lb/>
dern Plätzchen, wo &#x017F;ich&#x2019;s fein &#x017F;tille hau&#x017F;en läßt, gerade<lb/>
wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenig&#x017F;ten<lb/>
der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere,<lb/>
&#x017F;o viel mir bekannt, von jeher &#x017F;tarken Trieb empfun-<lb/>
den, mit der Kun&#x017F;t in eine Ein&#x017F;iedelei zu flüchten.<lb/>
Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu<lb/>
leben. Wie glücklich aber, könnt&#x2019; ich das, was etwa<lb/>
noch grün an mir &#x017F;eyn mag, auf Sie, mein theurer<lb/>
Neffe, übertragen. Ja &#x017F;chleppen wir un&#x017F;ere Trüm-<lb/>
mer aus dem Schiffbruch muthig zu&#x017F;ammen! Ich<lb/>
will thun, als wär&#x2019; ich auch noch ein Junger. Mit<lb/>
Stolz und Wehmuth &#x017F;ey&#x2019;s ge&#x017F;agt, wir &#x017F;ind zwei Stücke<lb/>
Eines Baums, den der Blitz in der Mitte ge&#x017F;palten,<lb/>
und i&#x017F;t vielleicht ein &#x017F;chöner Lorbeer zu Schanden gegan-<lb/>
gen. Sie mü&#x017F;&#x017F;en ihn noch retten und ich helfe mit.</p><lb/>
          <p>Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander,<lb/>
als Zwillingsbrüder des Ge&#x017F;chicks! Mit dreifachen<lb/>
ehernen Banden haben freundlich-feind&#x017F;elige Götter,<lb/>
dieß Paar zu&#x017F;ammenge&#x017F;chmiedet &#x2014; ein &#x017F;eltenes Schau-<lb/>
&#x017F;piel für die Welt, wenn man&#x2019;s ihr gönnen möchte;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0324] Thätigkeit, als Sie in W * erwartet würde, dürfte Ihnen der Muth jezt wohl fehlen, um ſo leichter werden Sie es daher verſchmerzen, daß dort, wie mir geſchrieben wird, gewiſſe Leute, auf Ihr Zögern, bereits geſchäftig ſind, Sie auszuſtechen. Wir wollen, dächt’ ich, ſelbigen zuvorkommen und erſt dabei nichts einbüßen. Hören Sie meinen Vorſchlag: Wir Beide ziehn zu- ſammen! ſey es nun hier, oder beſſer an einem an- dern Plätzchen, wo ſich’s fein ſtille hauſen läßt, gerade wie es zweien Leuten ziemt, wovon zum wenigſten der Eine der Welt nichts mehr nachfragt, der Andere, ſo viel mir bekannt, von jeher ſtarken Trieb empfun- den, mit der Kunſt in eine Einſiedelei zu flüchten. Was mich betrifft, ich habe noch wenige Jahre zu leben. Wie glücklich aber, könnt’ ich das, was etwa noch grün an mir ſeyn mag, auf Sie, mein theurer Neffe, übertragen. Ja ſchleppen wir unſere Trüm- mer aus dem Schiffbruch muthig zuſammen! Ich will thun, als wär’ ich auch noch ein Junger. Mit Stolz und Wehmuth ſey’s geſagt, wir ſind zwei Stücke Eines Baums, den der Blitz in der Mitte geſpalten, und iſt vielleicht ein ſchöner Lorbeer zu Schanden gegan- gen. Sie müſſen ihn noch retten und ich helfe mit. Sehn Sie, wir gehören ja recht für einander, als Zwillingsbrüder des Geſchicks! Mit dreifachen ehernen Banden haben freundlich-feindſelige Götter, dieß Paar zuſammengeſchmiedet — ein ſeltenes Schau- ſpiel für die Welt, wenn man’s ihr gönnen möchte;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/324
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/324>, abgerufen am 21.11.2024.