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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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der eben erst in eine völlig neue Welt eintrat und
vielfach Ursache findet, unzufrieden mit sich selbst zu
seyn, natürlich zu geschehen pflegt, sich auch bei mir
ein inniges Bedürfniß regte, mich einer gemüthvollen,
geistreichen Frau bescheiden mitzutheilen, Ihnen meine
Verehrung für jenes edle Haus im ersten glücklichen
Erstaunen auszudrücken. Nun heute wieder, wie gerne
möcht' ich den Zustand meines Innern offen und
gläubig vor Ihnen enthüllen, doch Ihr Verstummen
verschüchtert mir das Wort auf meinen Lippen! wie
gerne würden Sie meiner Unruhe hülfreich entgegen
kommen, doch wird es schwer, den Faden des Ver-
trauens so schnell wieder aufzunehmen. Wohlan,
meine theure, meine hochverehrte Freundin, lassen
Sie mich wenigstens einige Augenblicke der schönen
Täuschung leben, als säßen wir noch so wie ehmals
gegen einander über! Erlauben Sie, daß ich erzähle,
was in der Zwischenzeit sich mit mir begeben, in mir
verändert hat. Lassen Sie mich keine Absicht nennen,
wozu dieß Bekenntniß dienen soll. Es soll nur seyn,
als spräche ich zu einer Dame, von der ich weiß, sie
nehme an meinem Schicksale allgemeinen heitern An-
theil und aus deren Munde eine günstige Divination
meines künftigen Geschickes zu vernehmen mich hoch
beglücken würde."

Mit sanftem Lächeln forderte sie den Maler zu
reden auf, indem sie sagte: "Sie sollen eine emsige
Zuhörerin haben, und was ihr an Prophetengabe

der eben erſt in eine völlig neue Welt eintrat und
vielfach Urſache findet, unzufrieden mit ſich ſelbſt zu
ſeyn, natürlich zu geſchehen pflegt, ſich auch bei mir
ein inniges Bedürfniß regte, mich einer gemüthvollen,
geiſtreichen Frau beſcheiden mitzutheilen, Ihnen meine
Verehrung für jenes edle Haus im erſten glücklichen
Erſtaunen auszudrücken. Nun heute wieder, wie gerne
möcht’ ich den Zuſtand meines Innern offen und
gläubig vor Ihnen enthüllen, doch Ihr Verſtummen
verſchüchtert mir das Wort auf meinen Lippen! wie
gerne würden Sie meiner Unruhe hülfreich entgegen
kommen, doch wird es ſchwer, den Faden des Ver-
trauens ſo ſchnell wieder aufzunehmen. Wohlan,
meine theure, meine hochverehrte Freundin, laſſen
Sie mich wenigſtens einige Augenblicke der ſchönen
Täuſchung leben, als ſäßen wir noch ſo wie ehmals
gegen einander über! Erlauben Sie, daß ich erzähle,
was in der Zwiſchenzeit ſich mit mir begeben, in mir
verändert hat. Laſſen Sie mich keine Abſicht nennen,
wozu dieß Bekenntniß dienen ſoll. Es ſoll nur ſeyn,
als ſpräche ich zu einer Dame, von der ich weiß, ſie
nehme an meinem Schickſale allgemeinen heitern An-
theil und aus deren Munde eine günſtige Divination
meines künftigen Geſchickes zu vernehmen mich hoch
beglücken würde.“

Mit ſanftem Lächeln forderte ſie den Maler zu
reden auf, indem ſie ſagte: „Sie ſollen eine emſige
Zuhörerin haben, und was ihr an Prophetengabe

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[379/0065] der eben erſt in eine völlig neue Welt eintrat und vielfach Urſache findet, unzufrieden mit ſich ſelbſt zu ſeyn, natürlich zu geſchehen pflegt, ſich auch bei mir ein inniges Bedürfniß regte, mich einer gemüthvollen, geiſtreichen Frau beſcheiden mitzutheilen, Ihnen meine Verehrung für jenes edle Haus im erſten glücklichen Erſtaunen auszudrücken. Nun heute wieder, wie gerne möcht’ ich den Zuſtand meines Innern offen und gläubig vor Ihnen enthüllen, doch Ihr Verſtummen verſchüchtert mir das Wort auf meinen Lippen! wie gerne würden Sie meiner Unruhe hülfreich entgegen kommen, doch wird es ſchwer, den Faden des Ver- trauens ſo ſchnell wieder aufzunehmen. Wohlan, meine theure, meine hochverehrte Freundin, laſſen Sie mich wenigſtens einige Augenblicke der ſchönen Täuſchung leben, als ſäßen wir noch ſo wie ehmals gegen einander über! Erlauben Sie, daß ich erzähle, was in der Zwiſchenzeit ſich mit mir begeben, in mir verändert hat. Laſſen Sie mich keine Abſicht nennen, wozu dieß Bekenntniß dienen ſoll. Es ſoll nur ſeyn, als ſpräche ich zu einer Dame, von der ich weiß, ſie nehme an meinem Schickſale allgemeinen heitern An- theil und aus deren Munde eine günſtige Divination meines künftigen Geſchickes zu vernehmen mich hoch beglücken würde.“ Mit ſanftem Lächeln forderte ſie den Maler zu reden auf, indem ſie ſagte: „Sie ſollen eine emſige Zuhörerin haben, und was ihr an Prophetengabe

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/65>, abgerufen am 21.11.2024.