Insgemein klagt man auch darüber, daß die Hollands- Gänger den Landbauer in die Tasche steckten; ihm leichtfertiger und unnöthiger Weise Geld vorstreckten, seine besten Lände- reyen dafür unternähmen, zu den öffentlichen Lasten fast nichts entrichteten, und zur Zeit der Anfechtung den Landbauer in der Beschwerde stecken ließen. Diese Klage hat nun zwar einigen Grund, in so fern man sich beklagen darf, daß die Braut zu schön sey. Allein seit dem man in den neuern Zeiten sich keine Mühe verdriessen lassen, den Landbauer um allen Credit zu bringen, indem man dem Leibeigenen, ja so gar dem Freyen, wie doch ohne gehörige Untersuchung und Be- willigung der Gläubiger nie geschehen solte, einen Stillestand fast nach Willkühr gegeben, und sonst davor gesorget hat, den leichtfertigen Gläubigern Ziel zu setzen: so ist zu glauben, daß diese Klage in den nächsten funfzig Jahren nicht gemacht, und in solcher Zeit ein Gutsherr nicht den vierten Theil an ausser- ordentlichen Gefällen erhalten werde, die er vorhin erhalten hat, als der Leibeigene noch tapfer borgen, und die Heuerleute in dieses schöne Spiel ziehen konnte. Wer borgt jetzt noch einem Leibeigenen? Um zehn Thaler willen muß er sich pfänden und zum Concurs bringen lassen. Und wenn es mit Ver- heurung der Stätten nur erst recht zur Orduung ist, und die Abäusserungs-Ursachen völlig bestimmet sind: so sind hundert gegen eins zu wetten, daß jene Klage nie wieder vorkommen werde. Denn die Welt wird immer besser und klüger.
Die Ursache, warum man die Heuerleute in den öffent- lichen Lasten so sehr schonet, ist aber gewiß der feinsten Poli- tik gemäs. Wir haben keine bessere Reeruten für den Leib- eigenthum als die Heuerleute; diese allein sind im Stande ihren Kindern etwas erhebliches mitzugeben, oder ein erledig- tes Erbe mit voller Hand zu beweinkaufen; und so schimpflich es ehedem der leibeigene Landbauer hielt, seine Kinder unter
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jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet.
Insgemein klagt man auch daruͤber, daß die Hollands- Gaͤnger den Landbauer in die Taſche ſteckten; ihm leichtfertiger und unnoͤthiger Weiſe Geld vorſtreckten, ſeine beſten Laͤnde- reyen dafuͤr unternaͤhmen, zu den oͤffentlichen Laſten faſt nichts entrichteten, und zur Zeit der Anfechtung den Landbauer in der Beſchwerde ſtecken ließen. Dieſe Klage hat nun zwar einigen Grund, in ſo fern man ſich beklagen darf, daß die Braut zu ſchoͤn ſey. Allein ſeit dem man in den neuern Zeiten ſich keine Muͤhe verdrieſſen laſſen, den Landbauer um allen Credit zu bringen, indem man dem Leibeigenen, ja ſo gar dem Freyen, wie doch ohne gehoͤrige Unterſuchung und Be- willigung der Glaͤubiger nie geſchehen ſolte, einen Stilleſtand faſt nach Willkuͤhr gegeben, und ſonſt davor geſorget hat, den leichtfertigen Glaͤubigern Ziel zu ſetzen: ſo iſt zu glauben, daß dieſe Klage in den naͤchſten funfzig Jahren nicht gemacht, und in ſolcher Zeit ein Gutsherr nicht den vierten Theil an auſſer- ordentlichen Gefaͤllen erhalten werde, die er vorhin erhalten hat, als der Leibeigene noch tapfer borgen, und die Heuerleute in dieſes ſchoͤne Spiel ziehen konnte. Wer borgt jetzt noch einem Leibeigenen? Um zehn Thaler willen muß er ſich pfaͤnden und zum Concurs bringen laſſen. Und wenn es mit Ver- heurung der Staͤtten nur erſt recht zur Orduung iſt, und die Abaͤuſſerungs-Urſachen voͤllig beſtimmet ſind: ſo ſind hundert gegen eins zu wetten, daß jene Klage nie wieder vorkommen werde. Denn die Welt wird immer beſſer und kluͤger.
Die Urſache, warum man die Heuerleute in den oͤffent- lichen Laſten ſo ſehr ſchonet, iſt aber gewiß der feinſten Poli- tik gemaͤs. Wir haben keine beſſere Reeruten fuͤr den Leib- eigenthum als die Heuerleute; dieſe allein ſind im Stande ihren Kindern etwas erhebliches mitzugeben, oder ein erledig- tes Erbe mit voller Hand zu beweinkaufen; und ſo ſchimpflich es ehedem der leibeigene Landbauer hielt, ſeine Kinder unter
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jaͤhrlich nach Holland gehen; wird bejahet.
Insgemein klagt man auch daruͤber, daß die Hollands-
Gaͤnger den Landbauer in die Taſche ſteckten; ihm leichtfertiger
und unnoͤthiger Weiſe Geld vorſtreckten, ſeine beſten Laͤnde-
reyen dafuͤr unternaͤhmen, zu den oͤffentlichen Laſten faſt nichts
entrichteten, und zur Zeit der Anfechtung den Landbauer in
der Beſchwerde ſtecken ließen. Dieſe Klage hat nun zwar
einigen Grund, in ſo fern man ſich beklagen darf, daß die
Braut zu ſchoͤn ſey. Allein ſeit dem man in den neuern Zeiten
ſich keine Muͤhe verdrieſſen laſſen, den Landbauer um allen
Credit zu bringen, indem man dem Leibeigenen, ja ſo gar
dem Freyen, wie doch ohne gehoͤrige Unterſuchung und Be-
willigung der Glaͤubiger nie geſchehen ſolte, einen Stilleſtand
faſt nach Willkuͤhr gegeben, und ſonſt davor geſorget hat, den
leichtfertigen Glaͤubigern Ziel zu ſetzen: ſo iſt zu glauben, daß
dieſe Klage in den naͤchſten funfzig Jahren nicht gemacht, und
in ſolcher Zeit ein Gutsherr nicht den vierten Theil an auſſer-
ordentlichen Gefaͤllen erhalten werde, die er vorhin erhalten
hat, als der Leibeigene noch tapfer borgen, und die Heuerleute
in dieſes ſchoͤne Spiel ziehen konnte. Wer borgt jetzt noch
einem Leibeigenen? Um zehn Thaler willen muß er ſich pfaͤnden
und zum Concurs bringen laſſen. Und wenn es mit Ver-
heurung der Staͤtten nur erſt recht zur Orduung iſt, und die
Abaͤuſſerungs-Urſachen voͤllig beſtimmet ſind: ſo ſind hundert
gegen eins zu wetten, daß jene Klage nie wieder vorkommen
werde. Denn die Welt wird immer beſſer und kluͤger.
Die Urſache, warum man die Heuerleute in den oͤffent-
lichen Laſten ſo ſehr ſchonet, iſt aber gewiß der feinſten Poli-
tik gemaͤs. Wir haben keine beſſere Reeruten fuͤr den Leib-
eigenthum als die Heuerleute; dieſe allein ſind im Stande
ihren Kindern etwas erhebliches mitzugeben, oder ein erledig-
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es ehedem der leibeigene Landbauer hielt, ſeine Kinder unter
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/123>, abgerufen am 24.11.2024.
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