Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Die gute seelige Frau. damit sie nicht zu feucht weggelegt und stockigt werden möchte.Wenn die Bettetücher in der Mitte zu sehr abgenutzt schienen, schnitt sie solche los, und kehrte die aussen Seite gegen die Mitte. Auch die Hemde wußte sie auf eine ähnliche Art um- zukehren und die Strümpfe zwey bis dreymal anzuknütten. Alles, was sie und ihre Kinder trugen, ward im Hause ge- macht; und sie verstand sich auch sehr gut auf einen Manns- schlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle Jahr wurden einige Stücken Linnen in der Haushaltung ge- macht, und einige greis zugekauft, welche sie hernach zusam- men bleichen ließ. Sie bückete solches selbst, und bewahrte es so viel möglich für die gewaltsame Behandlung des Blei- chers. Das Garn zu einem Stücke mußte von einer Hand, und von einer Art Flachs gesponnen seyn. Von dem Besten ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne daß sie zugegen war. Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit selbst gezo- Das Bewußtseyn ihrer guten Eigenschaften gab ihr ei- für
Die gute ſeelige Frau. damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte.Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen, ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um- zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten. Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge- macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns- ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge- macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam- men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei- chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand, und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne daß ſie zugegen war. Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo- Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei- fuͤr
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die gute ſeelige Frau.</hi></fw><lb/> damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte.<lb/> Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen,<lb/> ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die<lb/> Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um-<lb/> zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten.<lb/> Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge-<lb/> macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns-<lb/> ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand<lb/> fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle<lb/> Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge-<lb/> macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam-<lb/> men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte<lb/> es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei-<lb/> chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand,<lb/> und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten<lb/> ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte<lb/> verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne<lb/> daß ſie zugegen war.</p><lb/> <p>Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo-<lb/> genen Saamen beſtellt. Im Fruͤhjahr erholte ſie ſich in dem-<lb/> ſelben von der langen Winterarbeit, indem ſie ſaͤete und jaͤ-<lb/> tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob ſie gleich<lb/> kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren<lb/> ohne Verſtand untergruben. Da ſie allem Unkraut zeitig<lb/> widerſtand: ſo hatte ſie nicht die halbe Arbeit. Alles was<lb/> ſie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab<lb/> bey kluger Futterung beſſere und mehr Milch, als andre mit<lb/> doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver-<lb/> lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.</p><lb/> <p>Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei-<lb/> nen ganz vortreflichen Anſtand. Alles was bey Tiſche mit<lb/> Appetit gegeſſen wurde, war die ſchmeichelhafteſte Lobrede<lb/> <fw place="bottom" type="catch">fuͤr</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [123/0141]
Die gute ſeelige Frau.
damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte.
Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen,
ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die
Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um-
zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten.
Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge-
macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns-
ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand
fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle
Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge-
macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam-
men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte
es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei-
chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand,
und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten
ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte
verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne
daß ſie zugegen war.
Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo-
genen Saamen beſtellt. Im Fruͤhjahr erholte ſie ſich in dem-
ſelben von der langen Winterarbeit, indem ſie ſaͤete und jaͤ-
tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob ſie gleich
kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren
ohne Verſtand untergruben. Da ſie allem Unkraut zeitig
widerſtand: ſo hatte ſie nicht die halbe Arbeit. Alles was
ſie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab
bey kluger Futterung beſſere und mehr Milch, als andre mit
doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver-
lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.
Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei-
nen ganz vortreflichen Anſtand. Alles was bey Tiſche mit
Appetit gegeſſen wurde, war die ſchmeichelhafteſte Lobrede
fuͤr
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |