Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Die allerliebste Braut.

Endlich kommt er in das Haus, wo er seine jetzige
Braut findet. Die Mutter sitzt bey ihrer Arbeit, und sagt
ihm, ohne aufzustehen, er möge sich setzen wenn er wolle.
Dieser Empfang reizt ihn gleich, verführt ihn aber auch zu
einer abermaligen bittern Ausschweifung über die Vernei-
gungen und Complimente. Was ist erschrecklicher, will er
ungefehr sagen, als die lächerliche Nachahmung des franzö-
sischen Verneigens. Wie edel ist der Stolz einer Frau, die
fest im Knie, ihren Gast mit einem freundlichen Blicke be-
willkommt, gegen die beschämte Verlegenheit einer knicksenden
Aesfin? Erstere ist in ihrer Art vollkommen; sie ist original;
sie ist dreist mit Anstand; sie behauptet ihre Würde gegen
eine Fürstin, und sagt ihr einen großen Dank, wenn ihr diese
einen guten Tag bietet. Man sieht daß sie sich fühlt; und
glücklich ist das Land, wo das Mädgen das das beste Garn
gesponnen hat, auf ihr Werk so stolz ist, als Voltaire auf sein
Marquisat. Es war eine Zeit, wo die Hofdame sich räuchern
ließ, wenn sie mit einer Handwerks-Frau gesprochen hatte.
Allein diese Zeit ist nicht mehr. Jezt verachtet man nur,
und verachtet mit Recht die Thörinnen die ihren eignen Stand
verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem
Stande getreu, dasjenige rechtschaffen ist was sie seyn muß.
Der Minister besucht den Handwerker, aber nicht den lächer-
lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unüber-
legte Geringschätzung der niedrigen aber ehrlichen arbeitsamen
und bescheidenen Stände, uns beynahe in die Gefahr gesetzt
habe, anstatt einer guten tüchtigen Hausehre hundert Mode-
prinzeßinnen zu erhalten. In England verändert die größte
Frau, nach dem dreyßigsten Jahre ihre Moden nicht mehr;
sie geht damit stolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns
hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die
Würme in einem frisirten Todtenhembde empfangen. Bey

uns
Die allerliebſte Braut.

Endlich kommt er in das Haus, wo er ſeine jetzige
Braut findet. Die Mutter ſitzt bey ihrer Arbeit, und ſagt
ihm, ohne aufzuſtehen, er moͤge ſich ſetzen wenn er wolle.
Dieſer Empfang reizt ihn gleich, verfuͤhrt ihn aber auch zu
einer abermaligen bittern Ausſchweifung uͤber die Vernei-
gungen und Complimente. Was iſt erſchrecklicher, will er
ungefehr ſagen, als die laͤcherliche Nachahmung des franzoͤ-
ſiſchen Verneigens. Wie edel iſt der Stolz einer Frau, die
feſt im Knie, ihren Gaſt mit einem freundlichen Blicke be-
willkommt, gegen die beſchaͤmte Verlegenheit einer knickſenden
Aeſfin? Erſtere iſt in ihrer Art vollkommen; ſie iſt original;
ſie iſt dreiſt mit Anſtand; ſie behauptet ihre Wuͤrde gegen
eine Fuͤrſtin, und ſagt ihr einen großen Dank, wenn ihr dieſe
einen guten Tag bietet. Man ſieht daß ſie ſich fuͤhlt; und
gluͤcklich iſt das Land, wo das Maͤdgen das das beſte Garn
geſponnen hat, auf ihr Werk ſo ſtolz iſt, als Voltaire auf ſein
Marquiſat. Es war eine Zeit, wo die Hofdame ſich raͤuchern
ließ, wenn ſie mit einer Handwerks-Frau geſprochen hatte.
Allein dieſe Zeit iſt nicht mehr. Jezt verachtet man nur,
und verachtet mit Recht die Thoͤrinnen die ihren eignen Stand
verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem
Stande getreu, dasjenige rechtſchaffen iſt was ſie ſeyn muß.
Der Miniſter beſucht den Handwerker, aber nicht den laͤcher-
lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unuͤber-
legte Geringſchaͤtzung der niedrigen aber ehrlichen arbeitſamen
und beſcheidenen Staͤnde, uns beynahe in die Gefahr geſetzt
habe, anſtatt einer guten tuͤchtigen Hausehre hundert Mode-
prinzeßinnen zu erhalten. In England veraͤndert die groͤßte
Frau, nach dem dreyßigſten Jahre ihre Moden nicht mehr;
ſie geht damit ſtolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns
hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die
Wuͤrme in einem friſirten Todtenhembde empfangen. Bey

uns
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0148" n="130"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die allerlieb&#x017F;te Braut.</hi> </fw><lb/>
        <p>Endlich kommt er in das Haus, wo er &#x017F;eine jetzige<lb/>
Braut findet. Die Mutter &#x017F;itzt bey ihrer Arbeit, und &#x017F;agt<lb/>
ihm, ohne aufzu&#x017F;tehen, er mo&#x0364;ge &#x017F;ich &#x017F;etzen wenn er wolle.<lb/>
Die&#x017F;er Empfang reizt ihn gleich, verfu&#x0364;hrt ihn aber auch zu<lb/>
einer abermaligen bittern Aus&#x017F;chweifung u&#x0364;ber die Vernei-<lb/>
gungen und Complimente. Was i&#x017F;t er&#x017F;chrecklicher, will er<lb/>
ungefehr &#x017F;agen, als die la&#x0364;cherliche Nachahmung des franzo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Verneigens. Wie edel i&#x017F;t der Stolz einer Frau, die<lb/>
fe&#x017F;t im Knie, ihren Ga&#x017F;t mit einem freundlichen Blicke be-<lb/>
willkommt, gegen die be&#x017F;cha&#x0364;mte Verlegenheit einer knick&#x017F;enden<lb/>
Ae&#x017F;fin? Er&#x017F;tere i&#x017F;t in ihrer Art vollkommen; &#x017F;ie i&#x017F;t original;<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t drei&#x017F;t mit An&#x017F;tand; &#x017F;ie behauptet ihre Wu&#x0364;rde gegen<lb/>
eine Fu&#x0364;r&#x017F;tin, und &#x017F;agt ihr einen großen Dank, wenn ihr die&#x017F;e<lb/>
einen guten Tag bietet. Man &#x017F;ieht daß &#x017F;ie &#x017F;ich fu&#x0364;hlt; und<lb/>
glu&#x0364;cklich i&#x017F;t das Land, wo das Ma&#x0364;dgen das das be&#x017F;te Garn<lb/>
ge&#x017F;ponnen hat, auf ihr Werk &#x017F;o &#x017F;tolz i&#x017F;t, als Voltaire auf &#x017F;ein<lb/>
Marqui&#x017F;at. Es war eine Zeit, wo die Hofdame &#x017F;ich ra&#x0364;uchern<lb/>
ließ, wenn &#x017F;ie mit einer Handwerks-Frau ge&#x017F;prochen hatte.<lb/>
Allein die&#x017F;e Zeit i&#x017F;t nicht mehr. Jezt verachtet man nur,<lb/>
und verachtet mit Recht die Tho&#x0364;rinnen die ihren eignen Stand<lb/>
verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem<lb/>
Stande getreu, dasjenige recht&#x017F;chaffen i&#x017F;t was &#x017F;ie &#x017F;eyn muß.<lb/>
Der Mini&#x017F;ter be&#x017F;ucht den Handwerker, aber nicht den la&#x0364;cher-<lb/>
lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unu&#x0364;ber-<lb/>
legte Gering&#x017F;cha&#x0364;tzung der niedrigen aber ehrlichen arbeit&#x017F;amen<lb/>
und be&#x017F;cheidenen Sta&#x0364;nde, uns beynahe in die Gefahr ge&#x017F;etzt<lb/>
habe, an&#x017F;tatt einer guten tu&#x0364;chtigen Hausehre hundert Mode-<lb/>
prinzeßinnen zu erhalten. In England vera&#x0364;ndert die gro&#x0364;ßte<lb/>
Frau, nach dem dreyßig&#x017F;ten Jahre ihre Moden nicht mehr;<lb/>
&#x017F;ie geht damit &#x017F;tolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns<lb/>
hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die<lb/>
Wu&#x0364;rme in einem fri&#x017F;irten Todtenhembde empfangen. Bey<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">uns</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0148] Die allerliebſte Braut. Endlich kommt er in das Haus, wo er ſeine jetzige Braut findet. Die Mutter ſitzt bey ihrer Arbeit, und ſagt ihm, ohne aufzuſtehen, er moͤge ſich ſetzen wenn er wolle. Dieſer Empfang reizt ihn gleich, verfuͤhrt ihn aber auch zu einer abermaligen bittern Ausſchweifung uͤber die Vernei- gungen und Complimente. Was iſt erſchrecklicher, will er ungefehr ſagen, als die laͤcherliche Nachahmung des franzoͤ- ſiſchen Verneigens. Wie edel iſt der Stolz einer Frau, die feſt im Knie, ihren Gaſt mit einem freundlichen Blicke be- willkommt, gegen die beſchaͤmte Verlegenheit einer knickſenden Aeſfin? Erſtere iſt in ihrer Art vollkommen; ſie iſt original; ſie iſt dreiſt mit Anſtand; ſie behauptet ihre Wuͤrde gegen eine Fuͤrſtin, und ſagt ihr einen großen Dank, wenn ihr dieſe einen guten Tag bietet. Man ſieht daß ſie ſich fuͤhlt; und gluͤcklich iſt das Land, wo das Maͤdgen das das beſte Garn geſponnen hat, auf ihr Werk ſo ſtolz iſt, als Voltaire auf ſein Marquiſat. Es war eine Zeit, wo die Hofdame ſich raͤuchern ließ, wenn ſie mit einer Handwerks-Frau geſprochen hatte. Allein dieſe Zeit iſt nicht mehr. Jezt verachtet man nur, und verachtet mit Recht die Thoͤrinnen die ihren eignen Stand verachten; und ehret die Frau, die ihren Sitten und ihrem Stande getreu, dasjenige rechtſchaffen iſt was ſie ſeyn muß. Der Miniſter beſucht den Handwerker, aber nicht den laͤcher- lichen Stutzer; und die ganze Welt erkennet, daß eine unuͤber- legte Geringſchaͤtzung der niedrigen aber ehrlichen arbeitſamen und beſcheidenen Staͤnde, uns beynahe in die Gefahr geſetzt habe, anſtatt einer guten tuͤchtigen Hausehre hundert Mode- prinzeßinnen zu erhalten. In England veraͤndert die groͤßte Frau, nach dem dreyßigſten Jahre ihre Moden nicht mehr; ſie geht damit ſtolz dem ganzen Hofe unter Augen; bey uns hingegen will man auch noch im Sarge coquettiren, und die Wuͤrme in einem friſirten Todtenhembde empfangen. Bey uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/148
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/148>, abgerufen am 24.11.2024.