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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Die allerliebste Braut.

Die schönen Wissenschaften, schließt unser Wittwer wei-
ter, vertreten beym Frauenzimmer jetzt höchstens die Stelle
der Leberreime. Sie dienen ihnen blos zur Zeitkürzung; und
in diesem Falle sey es besser das nützliche dem unnützlichen
vorzuziehen. Bey den erstern komme nichts heraus. Eine
Französin werde mit Hülfe des Rollins und der Frau Beau-
mont keine Genies aus ihren Untergebenen ziehen. Sie sey
nur eine Putzmacherinn für den Geist, und alles was sie die
Mädgen lehrte, sey ein bisgen gelehrte Entoillage; und höch-
stens laufe alles auf einen kleinen Schleichhandel der Eigen-
liebe beyderley Geschlechter hinaus; indem die weiblichen
Thoren so viel lernten als sie gebrauchten, um sich von dem
männlichen Narren bewundern zu lassen; und umgekehrt.
Beyde hätten sich ganz unbesonnen verglichen alle Tage von
einem dutzend Kerls, von Schakespear, Young, Voltairen,
Leßingen und andern zu sprechen. Man wäre vor funfzig
Jahren ehe Talander und Menantes auf den Nachttischen er-
schienen, glücklicher und vergnügter gewesen. Das menschliche
Herz habe sich bey allen guten Büchern eher verschlimmert
als verbessert, und die Treuherzigkeit, womit seine gute seelige
Frau ihre Knipptasche den Armen geöfnet, wäre eine ganz
andre Tugend gewesen, als das zärtliche Mitleid, womit
man jetzt die Noth der Unglückseeligen empfände. Er siehet
es als einen Rest der ehemaligen Galanterie des französischen
Hofes unter Ludewig dem XIV. an, der sich aus der Gar-
derobe auf den Trödelmarkt geschlichen hätte, daß ein Frauen-
zimmer viele Bücher gelesen haben müßte; gerade als ob sie
nicht zehnmal so viel Vernunft, Geschicklichkeit, Würde und
Anstand aus eigner Erfahrung und von guten Leuten lernen
könnte.

End-
Mösers patr. Phantas. I. Th. J
Die allerliebſte Braut.

Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ſchließt unſer Wittwer wei-
ter, vertreten beym Frauenzimmer jetzt hoͤchſtens die Stelle
der Leberreime. Sie dienen ihnen blos zur Zeitkuͤrzung; und
in dieſem Falle ſey es beſſer das nuͤtzliche dem unnuͤtzlichen
vorzuziehen. Bey den erſtern komme nichts heraus. Eine
Franzoͤſin werde mit Huͤlfe des Rollins und der Frau Beau-
mont keine Genies aus ihren Untergebenen ziehen. Sie ſey
nur eine Putzmacherinn fuͤr den Geiſt, und alles was ſie die
Maͤdgen lehrte, ſey ein bisgen gelehrte Entoillage; und hoͤch-
ſtens laufe alles auf einen kleinen Schleichhandel der Eigen-
liebe beyderley Geſchlechter hinaus; indem die weiblichen
Thoren ſo viel lernten als ſie gebrauchten, um ſich von dem
maͤnnlichen Narren bewundern zu laſſen; und umgekehrt.
Beyde haͤtten ſich ganz unbeſonnen verglichen alle Tage von
einem dutzend Kerls, von Schakeſpear, Young, Voltairen,
Leßingen und andern zu ſprechen. Man waͤre vor funfzig
Jahren ehe Talander und Menantes auf den Nachttiſchen er-
ſchienen, gluͤcklicher und vergnuͤgter geweſen. Das menſchliche
Herz habe ſich bey allen guten Buͤchern eher verſchlimmert
als verbeſſert, und die Treuherzigkeit, womit ſeine gute ſeelige
Frau ihre Knipptaſche den Armen geoͤfnet, waͤre eine ganz
andre Tugend geweſen, als das zaͤrtliche Mitleid, womit
man jetzt die Noth der Ungluͤckſeeligen empfaͤnde. Er ſiehet
es als einen Reſt der ehemaligen Galanterie des franzoͤſiſchen
Hofes unter Ludewig dem XIV. an, der ſich aus der Gar-
derobe auf den Troͤdelmarkt geſchlichen haͤtte, daß ein Frauen-
zimmer viele Buͤcher geleſen haben muͤßte; gerade als ob ſie
nicht zehnmal ſo viel Vernunft, Geſchicklichkeit, Wuͤrde und
Anſtand aus eigner Erfahrung und von guten Leuten lernen
koͤnnte.

End-
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[129/0147] Die allerliebſte Braut. Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften, ſchließt unſer Wittwer wei- ter, vertreten beym Frauenzimmer jetzt hoͤchſtens die Stelle der Leberreime. Sie dienen ihnen blos zur Zeitkuͤrzung; und in dieſem Falle ſey es beſſer das nuͤtzliche dem unnuͤtzlichen vorzuziehen. Bey den erſtern komme nichts heraus. Eine Franzoͤſin werde mit Huͤlfe des Rollins und der Frau Beau- mont keine Genies aus ihren Untergebenen ziehen. Sie ſey nur eine Putzmacherinn fuͤr den Geiſt, und alles was ſie die Maͤdgen lehrte, ſey ein bisgen gelehrte Entoillage; und hoͤch- ſtens laufe alles auf einen kleinen Schleichhandel der Eigen- liebe beyderley Geſchlechter hinaus; indem die weiblichen Thoren ſo viel lernten als ſie gebrauchten, um ſich von dem maͤnnlichen Narren bewundern zu laſſen; und umgekehrt. Beyde haͤtten ſich ganz unbeſonnen verglichen alle Tage von einem dutzend Kerls, von Schakeſpear, Young, Voltairen, Leßingen und andern zu ſprechen. Man waͤre vor funfzig Jahren ehe Talander und Menantes auf den Nachttiſchen er- ſchienen, gluͤcklicher und vergnuͤgter geweſen. Das menſchliche Herz habe ſich bey allen guten Buͤchern eher verſchlimmert als verbeſſert, und die Treuherzigkeit, womit ſeine gute ſeelige Frau ihre Knipptaſche den Armen geoͤfnet, waͤre eine ganz andre Tugend geweſen, als das zaͤrtliche Mitleid, womit man jetzt die Noth der Ungluͤckſeeligen empfaͤnde. Er ſiehet es als einen Reſt der ehemaligen Galanterie des franzoͤſiſchen Hofes unter Ludewig dem XIV. an, der ſich aus der Gar- derobe auf den Troͤdelmarkt geſchlichen haͤtte, daß ein Frauen- zimmer viele Buͤcher geleſen haben muͤßte; gerade als ob ſie nicht zehnmal ſo viel Vernunft, Geſchicklichkeit, Wuͤrde und Anſtand aus eigner Erfahrung und von guten Leuten lernen koͤnnte. End- Möſers patr. Phantaſ. I. Th. J

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/147>, abgerufen am 24.11.2024.