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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Die allerliebste Braut.
heit, ehender an die Frisur als an das Linnen zum Hembde
zu gedenken. Wann der Luxus den Ueberfluß zum Grunde
hat: so ist er anständig; und er kann auch dem Staate nütz-
lich seyn. Allein da, wo er auf Kosten des Nothwendigen
gesucht wird; wo die Seele noch Mangel an den nothdürftig-
sten Wahrheiten leidet, und sich dennoch mit einem ohnmäch-
tigen Schwunge zur Tafel der höhern Weisheit erheben will;
wo unsre Töchter französisch und englisch plaudern sollen, ohne
die geringste Theorie oder Praxis von der Haushaltung zu
haben: Da ist dieser Luxus der Seelen nichts als ein prächti-
ges Elend, und die Folge davon ist für die Seele eben so er-
schrecklich, als die übermäßige Wollust für den Körper ist.
Sie verzärtelt, schwächt und verwöhnt den Geist von den alten
ehrlichen Tugenden, womit unsre Mutter wie in einer samt-
nen Mütze umher giengen; sie bringt der Empfindung einen
Eckel gegen die alltäglichen häuslichen Pflichten bey; sie ver-
führt die Einbildung gutherziger und leichtgläubiger Kinder
zu Hofnungen, die kaum der Romanschreiber mit aller seiner
Zauberey kunstmäßig erfüllen kann, und so wie der durch den
Genuß der Wollust geschwächte Gaume mit der Zeit Liqueurs
und übertriebene Speise zu seiner Kitzelung haben muß: eben
so muß die Seele zuletzt sich an allerhand moralisches Tollkraut,
an schwermerische und beissende Schriften halten, um sich des
Eckels und der tödtenden Langenweile zu erwehren. Und der
Himmel sey demjenigen gnädig, der alsdenn nicht ohne Schwin-
del lesen, und ohne Migraine denken oder verdauen kann: ja
der Himmel erbarme sich des Mädgens, das sich aus Büchern
und philosophischen Gründen beruhigen soll. Die Philoso-
phie ist eine abgefeimte Kupplerin; und die beste Sittenlehre
eine barmherzige Schwester; zur Zeit der Trübsale und Anfech-
tung hilft nichts besser als ein Rad für die Schiene und ein:
Wer nur den lieben Gott läßt walten.

Die

Die allerliebſte Braut.
heit, ehender an die Friſur als an das Linnen zum Hembde
zu gedenken. Wann der Luxus den Ueberfluß zum Grunde
hat: ſo iſt er anſtaͤndig; und er kann auch dem Staate nuͤtz-
lich ſeyn. Allein da, wo er auf Koſten des Nothwendigen
geſucht wird; wo die Seele noch Mangel an den nothduͤrftig-
ſten Wahrheiten leidet, und ſich dennoch mit einem ohnmaͤch-
tigen Schwunge zur Tafel der hoͤhern Weisheit erheben will;
wo unſre Toͤchter franzoͤſiſch und engliſch plaudern ſollen, ohne
die geringſte Theorie oder Praxis von der Haushaltung zu
haben: Da iſt dieſer Luxus der Seelen nichts als ein praͤchti-
ges Elend, und die Folge davon iſt fuͤr die Seele eben ſo er-
ſchrecklich, als die uͤbermaͤßige Wolluſt fuͤr den Koͤrper iſt.
Sie verzaͤrtelt, ſchwaͤcht und verwoͤhnt den Geiſt von den alten
ehrlichen Tugenden, womit unſre Mutter wie in einer ſamt-
nen Muͤtze umher giengen; ſie bringt der Empfindung einen
Eckel gegen die alltaͤglichen haͤuslichen Pflichten bey; ſie ver-
fuͤhrt die Einbildung gutherziger und leichtglaͤubiger Kinder
zu Hofnungen, die kaum der Romanſchreiber mit aller ſeiner
Zauberey kunſtmaͤßig erfuͤllen kann, und ſo wie der durch den
Genuß der Wolluſt geſchwaͤchte Gaume mit der Zeit Liqueurs
und uͤbertriebene Speiſe zu ſeiner Kitzelung haben muß: eben
ſo muß die Seele zuletzt ſich an allerhand moraliſches Tollkraut,
an ſchwermeriſche und beiſſende Schriften halten, um ſich des
Eckels und der toͤdtenden Langenweile zu erwehren. Und der
Himmel ſey demjenigen gnaͤdig, der alsdenn nicht ohne Schwin-
del leſen, und ohne Migraine denken oder verdauen kann: ja
der Himmel erbarme ſich des Maͤdgens, das ſich aus Buͤchern
und philoſophiſchen Gruͤnden beruhigen ſoll. Die Philoſo-
phie iſt eine abgefeimte Kupplerin; und die beſte Sittenlehre
eine barmherzige Schweſter; zur Zeit der Truͤbſale und Anfech-
tung hilft nichts beſſer als ein Rad fuͤr die Schiene und ein:
Wer nur den lieben Gott läßt walten.

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[128/0146] Die allerliebſte Braut. heit, ehender an die Friſur als an das Linnen zum Hembde zu gedenken. Wann der Luxus den Ueberfluß zum Grunde hat: ſo iſt er anſtaͤndig; und er kann auch dem Staate nuͤtz- lich ſeyn. Allein da, wo er auf Koſten des Nothwendigen geſucht wird; wo die Seele noch Mangel an den nothduͤrftig- ſten Wahrheiten leidet, und ſich dennoch mit einem ohnmaͤch- tigen Schwunge zur Tafel der hoͤhern Weisheit erheben will; wo unſre Toͤchter franzoͤſiſch und engliſch plaudern ſollen, ohne die geringſte Theorie oder Praxis von der Haushaltung zu haben: Da iſt dieſer Luxus der Seelen nichts als ein praͤchti- ges Elend, und die Folge davon iſt fuͤr die Seele eben ſo er- ſchrecklich, als die uͤbermaͤßige Wolluſt fuͤr den Koͤrper iſt. Sie verzaͤrtelt, ſchwaͤcht und verwoͤhnt den Geiſt von den alten ehrlichen Tugenden, womit unſre Mutter wie in einer ſamt- nen Muͤtze umher giengen; ſie bringt der Empfindung einen Eckel gegen die alltaͤglichen haͤuslichen Pflichten bey; ſie ver- fuͤhrt die Einbildung gutherziger und leichtglaͤubiger Kinder zu Hofnungen, die kaum der Romanſchreiber mit aller ſeiner Zauberey kunſtmaͤßig erfuͤllen kann, und ſo wie der durch den Genuß der Wolluſt geſchwaͤchte Gaume mit der Zeit Liqueurs und uͤbertriebene Speiſe zu ſeiner Kitzelung haben muß: eben ſo muß die Seele zuletzt ſich an allerhand moraliſches Tollkraut, an ſchwermeriſche und beiſſende Schriften halten, um ſich des Eckels und der toͤdtenden Langenweile zu erwehren. Und der Himmel ſey demjenigen gnaͤdig, der alsdenn nicht ohne Schwin- del leſen, und ohne Migraine denken oder verdauen kann: ja der Himmel erbarme ſich des Maͤdgens, das ſich aus Buͤchern und philoſophiſchen Gruͤnden beruhigen ſoll. Die Philoſo- phie iſt eine abgefeimte Kupplerin; und die beſte Sittenlehre eine barmherzige Schweſter; zur Zeit der Truͤbſale und Anfech- tung hilft nichts beſſer als ein Rad fuͤr die Schiene und ein: Wer nur den lieben Gott läßt walten. Die

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/146>, abgerufen am 21.11.2024.