Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Die allerliebste Braut. abscheulichste Verrätherin ihrer Besitzer? Wer erscheinet inGesellschaften anständiger, der redliche, fleißige, bescheidene Mann, der seinen Beruf würdig erfüllt, und sein Gutes in der Welt mit Freuden thut; oder der Unbesonnene, der nicht einsieht, daß ihm seine glänzendsten Vorzüge zum größten Verbrechen angerechnet werden? Der Mann, der dem Kaiser einen guten Tag wünschet, spricht freyer und anständiger mit ihm, als alle unterthänigste Bücklinge. Und wie groß sind denn die Wahrheiten, womit sie Vermehrung unsers Vergnügens ... Das müßte Die ganze sogenannte schöne Erziehung ist höchstens die heit,
Die allerliebſte Braut. abſcheulichſte Verraͤtherin ihrer Beſitzer? Wer erſcheinet inGeſellſchaften anſtaͤndiger, der redliche, fleißige, beſcheidene Mann, der ſeinen Beruf wuͤrdig erfuͤllt, und ſein Gutes in der Welt mit Freuden thut; oder der Unbeſonnene, der nicht einſieht, daß ihm ſeine glaͤnzendſten Vorzuͤge zum groͤßten Verbrechen angerechnet werden? Der Mann, der dem Kaiſer einen guten Tag wuͤnſchet, ſpricht freyer und anſtaͤndiger mit ihm, als alle unterthaͤnigſte Buͤcklinge. Und wie groß ſind denn die Wahrheiten, womit ſie Vermehrung unſers Vergnuͤgens … Das muͤßte Die ganze ſogenannte ſchoͤne Erziehung iſt hoͤchſtens die heit,
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Die allerliebſte Braut.
abſcheulichſte Verraͤtherin ihrer Beſitzer? Wer erſcheinet in
Geſellſchaften anſtaͤndiger, der redliche, fleißige, beſcheidene
Mann, der ſeinen Beruf wuͤrdig erfuͤllt, und ſein Gutes in
der Welt mit Freuden thut; oder der Unbeſonnene, der nicht
einſieht, daß ihm ſeine glaͤnzendſten Vorzuͤge zum groͤßten
Verbrechen angerechnet werden? Der Mann, der dem Kaiſer
einen guten Tag wuͤnſchet, ſpricht freyer und anſtaͤndiger mit
ihm, als alle unterthaͤnigſte Buͤcklinge.
Und wie groß ſind denn die Wahrheiten, womit ſie
durch Huͤlfe der franzoͤſiſchen Sprache ihr Erkenntniß erwei-
tern? Ich habe eines der gelehrteſten Maͤdgen, das ich ſonſt
wohl leiden mochte, befragt: Wie viel Pfund Mehl aus ei-
nen Scheffel Rocken kaͤmen? Wie viel Garn auf ein Stuͤck
Linnen von 60 Ellen zu Schierung und Einſchlag gehoͤret?
Und welches die beſte Art ſey, einen Monatlang das Geſinde
gut und wohlfeil zu unterhalten? Allein ſo wahr ich ehrlich
bin, ſie hat mir nichts als dreymal comment? geantwortet,
und mich Spottweiſe gefragt, ob ich wohl eine Sauçe de
diable zum wilden Schweinskopf verſtuͤnde, und wuͤßte, wie
man die Citronen am feinſten dazu ſchaͤlen koͤnnte.
Vermehrung unſers Vergnuͤgens … Das muͤßte
erſchrecklich ſeyn, wenn ſich meine Maͤdgen nicht mehr in ei-
ner Comoͤdie ergetzen ſolten, als alle, die ſich daran muͤde
und krank geleſen haͤtten. Dieſer Luſt genieſſen ſie ſehr leicht
und wohlfeil, und brauchen darum das Magazin der Frau
Beaumont nicht zu leſen. Sie genieſſen ihrer beſſer, als die-
jenigen, die in der Comoͤdie nicht lachen duͤrfen, als wenn
ihnen von dem bel eſprit du jour die Erlaubniß darzu erthei-
let wird.
Die ganze ſogenannte ſchoͤne Erziehung iſt hoͤchſtens die
Friſur der geſunden Vernunft, und es iſt eine laͤcherliche Thor-
heit,
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