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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Gedanken über die Mittel, den übermäßigen
ein jeder wieder zu seinem Erbtheil kommen mußte. In die-
sem Jahre ward jeder Israelit zu einem freyen und freudigen
Eigenthümer wieder gebohren; dabey wurde durch das öffent-
liche Protocoll, welches die Leviten von allen Erbtheilen und
Geschlechtern hielten, allen Processen vorgebeuget. Keine
Verdunkelung eines Grundstückes, keine Verjährung und
kein Zwist über den rechten Eigenthümer oder Lehnsfolger
konnte die Sache verwirren; und da das Jahr mit Posau-
nen verkündiget und in der ganzen Nation gefeyert werden
mußte: so war es dadurch dergestalt bezeichnet und bekannt,
daß keiner sich sein Recht durch heimliche Concracte vergeben,
und vom Richter ein Urthel gegen das Erlaßjahr erwarten
konnte.

Auf diese Weise sorgte der große Gesetzgeber sowol für
die Erhaltung des nöthigen Credits als des Nationaleigen-
thums. Nach seinem Plan konnte und sollte in dem Ge-
schlechte Abrahams kein einziger beständiger Leibeigner, kein
Erbpächter und kein Erbzinsmeyer, kein Vasall und kein Lehns-
herr und überhaupt nichts entstehen, was die Unmittelbarkeit
des freyen Eigenthümers unter der Krone auf irgend eine ge-
fährliche Weise unterbrechen, den gemeinen Krieger in einen
privat Dienstmann und die israelitische Theokratie in eine
Aristokratie verwandeln konnte. Keiner war im Stande,
auch nur zwey Erbtheile auf ewig zu vereinigen, ein Schloß
darauf zu bauen, und seines Nachbarn Erbtheil in einen Park
oder Thiergarten zu verwandeln, oder ein hundert Erbtheile
mit Erbpächtern und Erbzinsmeyern zu besetzen.

Moses hatte vorhergesehen, und jetzt sind wir im
Stande es ihm nachzurechnen, daß alle bürgerlichen Verfas-
sungen zuletzt alle dahin auslaufen, daß die Menge ein Opfer
weniger mächtigen wird. Diesem fehlerhaften aber unwider-
stehlichen Hange setzte er sein großes Erlaßjahr entgegen; und

er

Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen
ein jeder wieder zu ſeinem Erbtheil kommen mußte. In die-
ſem Jahre ward jeder Iſraelit zu einem freyen und freudigen
Eigenthuͤmer wieder gebohren; dabey wurde durch das oͤffent-
liche Protocoll, welches die Leviten von allen Erbtheilen und
Geſchlechtern hielten, allen Proceſſen vorgebeuget. Keine
Verdunkelung eines Grundſtuͤckes, keine Verjaͤhrung und
kein Zwiſt uͤber den rechten Eigenthuͤmer oder Lehnsfolger
konnte die Sache verwirren; und da das Jahr mit Poſau-
nen verkuͤndiget und in der ganzen Nation gefeyert werden
mußte: ſo war es dadurch dergeſtalt bezeichnet und bekannt,
daß keiner ſich ſein Recht durch heimliche Concracte vergeben,
und vom Richter ein Urthel gegen das Erlaßjahr erwarten
konnte.

Auf dieſe Weiſe ſorgte der große Geſetzgeber ſowol fuͤr
die Erhaltung des noͤthigen Credits als des Nationaleigen-
thums. Nach ſeinem Plan konnte und ſollte in dem Ge-
ſchlechte Abrahams kein einziger beſtaͤndiger Leibeigner, kein
Erbpaͤchter und kein Erbzinsmeyer, kein Vaſall und kein Lehns-
herr und uͤberhaupt nichts entſtehen, was die Unmittelbarkeit
des freyen Eigenthuͤmers unter der Krone auf irgend eine ge-
faͤhrliche Weiſe unterbrechen, den gemeinen Krieger in einen
privat Dienſtmann und die iſraelitiſche Theokratie in eine
Ariſtokratie verwandeln konnte. Keiner war im Stande,
auch nur zwey Erbtheile auf ewig zu vereinigen, ein Schloß
darauf zu bauen, und ſeines Nachbarn Erbtheil in einen Park
oder Thiergarten zu verwandeln, oder ein hundert Erbtheile
mit Erbpaͤchtern und Erbzinsmeyern zu beſetzen.

Moſes hatte vorhergeſehen, und jetzt ſind wir im
Stande es ihm nachzurechnen, daß alle buͤrgerlichen Verfaſ-
ſungen zuletzt alle dahin auslaufen, daß die Menge ein Opfer
weniger maͤchtigen wird. Dieſem fehlerhaften aber unwider-
ſtehlichen Hange ſetzte er ſein großes Erlaßjahr entgegen; und

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[140/0158] Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen ein jeder wieder zu ſeinem Erbtheil kommen mußte. In die- ſem Jahre ward jeder Iſraelit zu einem freyen und freudigen Eigenthuͤmer wieder gebohren; dabey wurde durch das oͤffent- liche Protocoll, welches die Leviten von allen Erbtheilen und Geſchlechtern hielten, allen Proceſſen vorgebeuget. Keine Verdunkelung eines Grundſtuͤckes, keine Verjaͤhrung und kein Zwiſt uͤber den rechten Eigenthuͤmer oder Lehnsfolger konnte die Sache verwirren; und da das Jahr mit Poſau- nen verkuͤndiget und in der ganzen Nation gefeyert werden mußte: ſo war es dadurch dergeſtalt bezeichnet und bekannt, daß keiner ſich ſein Recht durch heimliche Concracte vergeben, und vom Richter ein Urthel gegen das Erlaßjahr erwarten konnte. Auf dieſe Weiſe ſorgte der große Geſetzgeber ſowol fuͤr die Erhaltung des noͤthigen Credits als des Nationaleigen- thums. Nach ſeinem Plan konnte und ſollte in dem Ge- ſchlechte Abrahams kein einziger beſtaͤndiger Leibeigner, kein Erbpaͤchter und kein Erbzinsmeyer, kein Vaſall und kein Lehns- herr und uͤberhaupt nichts entſtehen, was die Unmittelbarkeit des freyen Eigenthuͤmers unter der Krone auf irgend eine ge- faͤhrliche Weiſe unterbrechen, den gemeinen Krieger in einen privat Dienſtmann und die iſraelitiſche Theokratie in eine Ariſtokratie verwandeln konnte. Keiner war im Stande, auch nur zwey Erbtheile auf ewig zu vereinigen, ein Schloß darauf zu bauen, und ſeines Nachbarn Erbtheil in einen Park oder Thiergarten zu verwandeln, oder ein hundert Erbtheile mit Erbpaͤchtern und Erbzinsmeyern zu beſetzen. Moſes hatte vorhergeſehen, und jetzt ſind wir im Stande es ihm nachzurechnen, daß alle buͤrgerlichen Verfaſ- ſungen zuletzt alle dahin auslaufen, daß die Menge ein Opfer weniger maͤchtigen wird. Dieſem fehlerhaften aber unwider- ſtehlichen Hange ſetzte er ſein großes Erlaßjahr entgegen; und er

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/158>, abgerufen am 24.11.2024.