Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken über die Mittel, den übermäßigen
ein Gesetz verordnen können, daß der Schuldner alles was er
im 12 Jahr erwerben könnte, seinen Gläubigern hingeben,
und ihnen allenfalls für Knecht dienen, hiernächst aber seine
völlige persönliche Freyheit von allen Ansprüchen wieder er-
langen solte. Vernunft, Billigkeit, Menschlichkeit, Reli-
gion und Landeswohlfahrt scheinen ein solches Gesetz zu for-
dern, damit ein Mitglied der Gesellschaft nicht auf seine ganze
Lebenszeit ein Sclave seiner Gläubiger bleibe. Und wenn
ein solches Gesetz für Landbesitzer gemacht würde: so könnte
der Gutsherr seinen Hof, wann die Gläubiger sich nicht be-
quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach
das Geblüt wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne
die Personalverfolgung der Gläubiger zu fürchten. Ein Land-
besitzender Schuldner ist von dem Handelnden sehr unterschie-
den. Dieser braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine
große Idee von seinen unsichtbaren Vermögen erweckt hat,
einen großen Banquerott machen. Um diesen zu zwingen,
läßt man die personal Action gegen ihn ewig dauren, wenn
er sich nicht vergleichen kann. Allein die Gründe und Um-
stände eines Pachtpflichtigen Ackermannes sind so verdeckt, kri-
tisch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der personal Action
ist gegen ihn eine unbillige und nicht genug überlegte Sache.
Dem freyen Schuldner wird, wenn er sich und das Seinige
den Gläubigern übergiebt, auf sichere Weise geholfen, dem
abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gelassen.
Die Befreyung von allen personellen Ansprüchen nach einer
gewissen Zeit wäre also gleichsam seine Competenz. Und was
gewinnet der Gläubiger durch die Fortdauer seiner Forderung
an der Person des Gläubigers? Nichts als ein unnützes Recht;
der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit-
same Hand.

Ein

Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen
ein Geſetz verordnen koͤnnen, daß der Schuldner alles was er
im 12 Jahr erwerben koͤnnte, ſeinen Glaͤubigern hingeben,
und ihnen allenfalls fuͤr Knecht dienen, hiernaͤchſt aber ſeine
voͤllige perſoͤnliche Freyheit von allen Anſpruͤchen wieder er-
langen ſolte. Vernunft, Billigkeit, Menſchlichkeit, Reli-
gion und Landeswohlfahrt ſcheinen ein ſolches Geſetz zu for-
dern, damit ein Mitglied der Geſellſchaft nicht auf ſeine ganze
Lebenszeit ein Sclave ſeiner Glaͤubiger bleibe. Und wenn
ein ſolches Geſetz fuͤr Landbeſitzer gemacht wuͤrde: ſo koͤnnte
der Gutsherr ſeinen Hof, wann die Glaͤubiger ſich nicht be-
quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach
das Gebluͤt wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne
die Perſonalverfolgung der Glaͤubiger zu fuͤrchten. Ein Land-
beſitzender Schuldner iſt von dem Handelnden ſehr unterſchie-
den. Dieſer braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine
große Idee von ſeinen unſichtbaren Vermoͤgen erweckt hat,
einen großen Banquerott machen. Um dieſen zu zwingen,
laͤßt man die perſonal Action gegen ihn ewig dauren, wenn
er ſich nicht vergleichen kann. Allein die Gruͤnde und Um-
ſtaͤnde eines Pachtpflichtigen Ackermannes ſind ſo verdeckt, kri-
tiſch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der perſonal Action
iſt gegen ihn eine unbillige und nicht genug uͤberlegte Sache.
Dem freyen Schuldner wird, wenn er ſich und das Seinige
den Glaͤubigern uͤbergiebt, auf ſichere Weiſe geholfen, dem
abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gelaſſen.
Die Befreyung von allen perſonellen Anſpruͤchen nach einer
gewiſſen Zeit waͤre alſo gleichſam ſeine Competenz. Und was
gewinnet der Glaͤubiger durch die Fortdauer ſeiner Forderung
an der Perſon des Glaͤubigers? Nichts als ein unnuͤtzes Recht;
der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit-
ſame Hand.

Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="148"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber die Mittel, den u&#x0364;berma&#x0364;ßigen</hi></fw><lb/>
ein Ge&#x017F;etz verordnen ko&#x0364;nnen, daß der Schuldner alles was er<lb/>
im 12 Jahr erwerben ko&#x0364;nnte, &#x017F;einen Gla&#x0364;ubigern hingeben,<lb/>
und ihnen allenfalls fu&#x0364;r Knecht dienen, hierna&#x0364;ch&#x017F;t aber &#x017F;eine<lb/>
vo&#x0364;llige per&#x017F;o&#x0364;nliche Freyheit von allen An&#x017F;pru&#x0364;chen wieder er-<lb/>
langen &#x017F;olte. Vernunft, Billigkeit, Men&#x017F;chlichkeit, Reli-<lb/>
gion und Landeswohlfahrt &#x017F;cheinen ein &#x017F;olches Ge&#x017F;etz zu for-<lb/>
dern, damit ein Mitglied der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft nicht auf &#x017F;eine ganze<lb/>
Lebenszeit ein Sclave &#x017F;einer Gla&#x0364;ubiger bleibe. Und wenn<lb/>
ein &#x017F;olches Ge&#x017F;etz fu&#x0364;r Landbe&#x017F;itzer gemacht wu&#x0364;rde: &#x017F;o ko&#x0364;nnte<lb/>
der Gutsherr &#x017F;einen Hof, wann die Gla&#x0364;ubiger &#x017F;ich nicht be-<lb/>
quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach<lb/>
das Geblu&#x0364;t wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne<lb/>
die Per&#x017F;onalverfolgung der Gla&#x0364;ubiger zu fu&#x0364;rchten. Ein Land-<lb/>
be&#x017F;itzender Schuldner i&#x017F;t von dem Handelnden &#x017F;ehr unter&#x017F;chie-<lb/>
den. Die&#x017F;er braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine<lb/>
große Idee von &#x017F;einen un&#x017F;ichtbaren Vermo&#x0364;gen erweckt hat,<lb/>
einen großen Banquerott machen. Um die&#x017F;en zu zwingen,<lb/>
la&#x0364;ßt man die per&#x017F;onal Action gegen ihn ewig dauren, wenn<lb/>
er &#x017F;ich nicht vergleichen kann. Allein die Gru&#x0364;nde und Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde eines Pachtpflichtigen Ackermannes &#x017F;ind &#x017F;o verdeckt, kri-<lb/>
ti&#x017F;ch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der per&#x017F;onal Action<lb/>
i&#x017F;t gegen ihn eine unbillige und nicht genug u&#x0364;berlegte Sache.<lb/>
Dem freyen Schuldner wird, wenn er &#x017F;ich und das Seinige<lb/>
den Gla&#x0364;ubigern u&#x0364;bergiebt, auf &#x017F;ichere Wei&#x017F;e geholfen, dem<lb/>
abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gela&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die Befreyung von allen per&#x017F;onellen An&#x017F;pru&#x0364;chen nach einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Zeit wa&#x0364;re al&#x017F;o gleich&#x017F;am &#x017F;eine Competenz. Und was<lb/>
gewinnet der Gla&#x0364;ubiger durch die Fortdauer &#x017F;einer Forderung<lb/>
an der Per&#x017F;on des Gla&#x0364;ubigers? Nichts als ein unnu&#x0364;tzes Recht;<lb/>
der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit-<lb/>
&#x017F;ame Hand.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0166] Gedanken uͤber die Mittel, den uͤbermaͤßigen ein Geſetz verordnen koͤnnen, daß der Schuldner alles was er im 12 Jahr erwerben koͤnnte, ſeinen Glaͤubigern hingeben, und ihnen allenfalls fuͤr Knecht dienen, hiernaͤchſt aber ſeine voͤllige perſoͤnliche Freyheit von allen Anſpruͤchen wieder er- langen ſolte. Vernunft, Billigkeit, Menſchlichkeit, Reli- gion und Landeswohlfahrt ſcheinen ein ſolches Geſetz zu for- dern, damit ein Mitglied der Geſellſchaft nicht auf ſeine ganze Lebenszeit ein Sclave ſeiner Glaͤubiger bleibe. Und wenn ein ſolches Geſetz fuͤr Landbeſitzer gemacht wuͤrde: ſo koͤnnte der Gutsherr ſeinen Hof, wann die Glaͤubiger ſich nicht be- quemen wollen, auf 12 Mahljahre austhun, und hernach das Gebluͤt wieder aufs Erbe und zu Gnaden annehmen, ohne die Perſonalverfolgung der Glaͤubiger zu fuͤrchten. Ein Land- beſitzender Schuldner iſt von dem Handelnden ſehr unterſchie- den. Dieſer braucht viel Credit, und kann, nachdem er eine große Idee von ſeinen unſichtbaren Vermoͤgen erweckt hat, einen großen Banquerott machen. Um dieſen zu zwingen, laͤßt man die perſonal Action gegen ihn ewig dauren, wenn er ſich nicht vergleichen kann. Allein die Gruͤnde und Um- ſtaͤnde eines Pachtpflichtigen Ackermannes ſind ſo verdeckt, kri- tiſch und bedenklich nicht, und die Ewigkeit der perſonal Action iſt gegen ihn eine unbillige und nicht genug uͤberlegte Sache. Dem freyen Schuldner wird, wenn er ſich und das Seinige den Glaͤubigern uͤbergiebt, auf ſichere Weiſe geholfen, dem abgemeyerten aber keine Leibzucht zur Competenz gelaſſen. Die Befreyung von allen perſonellen Anſpruͤchen nach einer gewiſſen Zeit waͤre alſo gleichſam ſeine Competenz. Und was gewinnet der Glaͤubiger durch die Fortdauer ſeiner Forderung an der Perſon des Glaͤubigers? Nichts als ein unnuͤtzes Recht; der Schuldner verliert den Muth, und der Staat eine arbeit- ſame Hand. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/166
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/166>, abgerufen am 21.11.2024.