Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Schreiben eines westphäl. Schulmeisters, orten hangen bleibe, auch wohl auf der See sein junges Lebeneinbüsse. Allein es kommt mir doch immer so vor, als wenn wir auch etwas mehrers verlieren könnten als andre Länder; und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorsehung so hingeworfen, wohl so gut besetzet sey, als die retchen und ge- segneten Fluren, welche glücklichere Nationen zu ihrem Erb- theil erhalten haben. Ich kann solches Euer Intelligenzien nicht besser bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege, welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel- den, selbst im Rechnen und Schreiben unterwiesen habe, bey Feyerabend mehrmalen gehabt habe. Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un- Das *) Die Zählung geschahe erst bey der Theurung im Jahr 1772.
und wurden damals 19684. Wohnungen gezählt; mithin kommen auf jedes Haus über 5 Menschen. Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters, orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Lebeneinbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder; und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge- ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb- theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege, welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel- den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey Feyerabend mehrmalen gehabt habe. Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un- Das *) Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772.
und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0258" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,</hi></fw><lb/> orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Leben<lb/> einbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn<lb/> wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder;<lb/> und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo<lb/> hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge-<lb/> ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb-<lb/> theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien<lb/> nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege,<lb/> welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel-<lb/> den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey<lb/> Feyerabend mehrmalen gehabt habe.</p><lb/> <p>Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un-<lb/> ſerm Lande nur als Bedienter gereiſet iſt, aber doch auf alles<lb/> gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzoſen,<lb/> dieſe volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographiſche<lb/> Quadratmeilen rechneten, und daß auf dieſem großen Boden<lb/> zur Zeit Ludewigs des <hi rendition="#aq">XIV.</hi> zwanzig; nachwaͤrts unter der<lb/> Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des <hi rendition="#aq">XV.</hi> achtzehn, und im Jahr<lb/> 1764 ſechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut,<lb/> dachte ich, nun wollen wir bald ſehen, wer der beſte ſey.<lb/> Unſer Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obriſtlieutenant von<lb/> dem Buſſche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich<lb/> betraͤgt unſer Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie<lb/> viel Einwohner muͤßten wir alſo haben, wenn unſer Land<lb/> eben ſo volkreich als Frankreich ſeyn ſolte? Die Antwort war<lb/> leicht, hoͤchſtens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich?<lb/> An gezaͤhlten Koͤpfen hundert ſechzehntauſend ſechshundert<lb/> vier und ſechzig. <note place="foot" n="*)">Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772.<lb/> und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin<lb/> kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen.</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [240/0258]
Schreiben eines weſtphaͤl. Schulmeiſters,
orten hangen bleibe, auch wohl auf der See ſein junges Leben
einbuͤſſe. Allein es kommt mir doch immer ſo vor, als wenn
wir auch etwas mehrers verlieren koͤnnten als andre Laͤnder;
und daß der undankbare Boden, worauf uns die Vorſehung ſo
hingeworfen, wohl ſo gut beſetzet ſey, als die retchen und ge-
ſegneten Fluren, welche gluͤcklichere Nationen zu ihrem Erb-
theil erhalten haben. Ich kann ſolches Euer Intelligenzien
nicht beſſer bedeuten, als wenn ich Ihnen den Streit vorlege,
welchen ich mit meinem Sohne, den ich ohne Ruhm zu mel-
den, ſelbſt im Rechnen und Schreiben unterwieſen habe, bey
Feyerabend mehrmalen gehabt habe.
Gedachter mein Sohn, der mit einem Herrn aus un-
ſerm Lande nur als Bedienter gereiſet iſt, aber doch auf alles
gute Acht gegeben hat, erzaͤhlete mir, daß die Franzoſen,
dieſe volkreiche Nation, ihr Land auf 10000 geographiſche
Quadratmeilen rechneten, und daß auf dieſem großen Boden
zur Zeit Ludewigs des XIV. zwanzig; nachwaͤrts unter der
Minderjaͤhrigkeit Ludewigs des XV. achtzehn, und im Jahr
1764 ſechzehn Millionen gezaͤhlet und gerechnet worden. Gut,
dachte ich, nun wollen wir bald ſehen, wer der beſte ſey.
Unſer Stift haͤlt nach der von dem Herrn Obriſtlieutenant von
dem Buſſche verfertigten Charte 28 Quadratmeilen und folglich
betraͤgt unſer Land nur den 350ten Theil von Frankreich. Wie
viel Einwohner muͤßten wir alſo haben, wenn unſer Land
eben ſo volkreich als Frankreich ſeyn ſolte? Die Antwort war
leicht, hoͤchſtens 50000. Wie viel haben wir aber wuͤrklich?
An gezaͤhlten Koͤpfen hundert ſechzehntauſend ſechshundert
vier und ſechzig. *)
Das
*) Die Zaͤhlung geſchahe erſt bey der Theurung im Jahr 1772.
und wurden damals 19684. Wohnungen gezaͤhlt; mithin
kommen auf jedes Haus uͤber 5 Menſchen.
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