Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken über den Verfall
sen, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die
Ungedult des Landstädters, der ihm seinen Segen feilbietet,
oder auf den Hals schicket, und Geld und Waare darauf
nimmt, hämisch demüthiget.

Wie erweitert, wie stark, wie glücklich waren dagegen
die Einsichten unserer Vorfahren in der deutschen Compagnie?
Sie bedienten sich zwar des Schiffbodens der Seestädter:
Allein sie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremischen
Markte, sie überlieferten sich nicht mit Leib und Seele der
Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Für eigene Rechnung
wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Bestim-
mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Brügge und ander-
wärts hielten sie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packhäuser
und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche solcherge-
stalt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue
Berichte. Sie sahen nicht durch die Brillen der Seestädt-
schen Unterhändler. Sie liessen sich nicht von einigen Ne-
benbuhlern unterbohren, sondern wußten gleich, wenn und
warum eine Waare nicht mehr zog; wie sich Geschmack und
Nothdurft änderten, wer bessere Preise gab, wodurch dem-
selben der Rang abzugewinnen, was für Farben und Strei-
fen den Vorzug hatten, welche Moden am liebsten, und in
welchem Stücke es auf die Güte der Sache, oder nur auf den
Glanz ankam, wo sich neue Quellen eröfneten, und welche
Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Verände-
rung wurde ihnen zeitig, gründlich und von getreuer Hand
bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und schnell
genuzt, jede Aussicht schleunig eröffnet, und jede Unterneh-
mung derselben angemessen. Alle Zahlungen giengen ohne
Umschweife, und die Seestädte mußten ihren Wechsel aus
den Landstädten in der Hanse kaufen.

Jezt

Gedanken uͤber den Verfall
ſen, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die
Ungedult des Landſtaͤdters, der ihm ſeinen Segen feilbietet,
oder auf den Hals ſchicket, und Geld und Waare darauf
nimmt, haͤmiſch demuͤthiget.

Wie erweitert, wie ſtark, wie gluͤcklich waren dagegen
die Einſichten unſerer Vorfahren in der deutſchen Compagnie?
Sie bedienten ſich zwar des Schiffbodens der Seeſtaͤdter:
Allein ſie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremiſchen
Markte, ſie uͤberlieferten ſich nicht mit Leib und Seele der
Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Fuͤr eigene Rechnung
wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Beſtim-
mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Bruͤgge und ander-
waͤrts hielten ſie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packhaͤuſer
und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche ſolcherge-
ſtalt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue
Berichte. Sie ſahen nicht durch die Brillen der Seeſtaͤdt-
ſchen Unterhaͤndler. Sie lieſſen ſich nicht von einigen Ne-
benbuhlern unterbohren, ſondern wußten gleich, wenn und
warum eine Waare nicht mehr zog; wie ſich Geſchmack und
Nothdurft aͤnderten, wer beſſere Preiſe gab, wodurch dem-
ſelben der Rang abzugewinnen, was fuͤr Farben und Strei-
fen den Vorzug hatten, welche Moden am liebſten, und in
welchem Stuͤcke es auf die Guͤte der Sache, oder nur auf den
Glanz ankam, wo ſich neue Quellen eroͤfneten, und welche
Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Veraͤnde-
rung wurde ihnen zeitig, gruͤndlich und von getreuer Hand
bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und ſchnell
genuzt, jede Ausſicht ſchleunig eroͤffnet, und jede Unterneh-
mung derſelben angemeſſen. Alle Zahlungen giengen ohne
Umſchweife, und die Seeſtaͤdte mußten ihren Wechſel aus
den Landſtaͤdten in der Hanſe kaufen.

Jezt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber den Verfall</hi></fw><lb/>
&#x017F;en, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die<lb/>
Ungedult des Land&#x017F;ta&#x0364;dters, der ihm &#x017F;einen Segen feilbietet,<lb/>
oder auf den Hals &#x017F;chicket, und Geld und Waare darauf<lb/>
nimmt, ha&#x0364;mi&#x017F;ch demu&#x0364;thiget.</p><lb/>
        <p>Wie erweitert, wie &#x017F;tark, wie glu&#x0364;cklich waren dagegen<lb/>
die Ein&#x017F;ichten un&#x017F;erer Vorfahren in der deut&#x017F;chen Compagnie?<lb/>
Sie bedienten &#x017F;ich zwar des Schiffbodens der See&#x017F;ta&#x0364;dter:<lb/>
Allein &#x017F;ie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremi&#x017F;chen<lb/>
Markte, &#x017F;ie u&#x0364;berlieferten &#x017F;ich nicht mit Leib und Seele der<lb/>
Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Fu&#x0364;r eigene Rechnung<lb/>
wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Be&#x017F;tim-<lb/>
mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Bru&#x0364;gge und ander-<lb/>
wa&#x0364;rts hielten &#x017F;ie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packha&#x0364;u&#x017F;er<lb/>
und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche &#x017F;olcherge-<lb/>
&#x017F;talt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue<lb/>
Berichte. Sie &#x017F;ahen nicht durch die Brillen der See&#x017F;ta&#x0364;dt-<lb/>
&#x017F;chen Unterha&#x0364;ndler. Sie lie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nicht von einigen Ne-<lb/>
benbuhlern unterbohren, &#x017F;ondern wußten gleich, wenn und<lb/>
warum eine Waare nicht mehr zog; wie &#x017F;ich Ge&#x017F;chmack und<lb/>
Nothdurft a&#x0364;nderten, wer be&#x017F;&#x017F;ere Prei&#x017F;e gab, wodurch dem-<lb/>
&#x017F;elben der Rang abzugewinnen, was fu&#x0364;r Farben und Strei-<lb/>
fen den Vorzug hatten, welche Moden am lieb&#x017F;ten, und in<lb/>
welchem Stu&#x0364;cke es auf die Gu&#x0364;te der Sache, oder nur auf den<lb/>
Glanz ankam, wo &#x017F;ich neue Quellen ero&#x0364;fneten, und welche<lb/>
Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung wurde ihnen zeitig, gru&#x0364;ndlich und von getreuer Hand<lb/>
bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und &#x017F;chnell<lb/>
genuzt, jede Aus&#x017F;icht &#x017F;chleunig ero&#x0364;ffnet, und jede Unterneh-<lb/>
mung der&#x017F;elben angeme&#x017F;&#x017F;en. Alle Zahlungen giengen ohne<lb/>
Um&#x017F;chweife, und die See&#x017F;ta&#x0364;dte mußten ihren Wech&#x017F;el aus<lb/>
den Land&#x017F;ta&#x0364;dten in der Han&#x017F;e kaufen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Jezt</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0026] Gedanken uͤber den Verfall ſen, der mit runzelnder Stirne und hangenden Lippen die Ungedult des Landſtaͤdters, der ihm ſeinen Segen feilbietet, oder auf den Hals ſchicket, und Geld und Waare darauf nimmt, haͤmiſch demuͤthiget. Wie erweitert, wie ſtark, wie gluͤcklich waren dagegen die Einſichten unſerer Vorfahren in der deutſchen Compagnie? Sie bedienten ſich zwar des Schiffbodens der Seeſtaͤdter: Allein ſie verkauften ihre Waaren nicht auf dem Bremiſchen Markte, ſie uͤberlieferten ſich nicht mit Leib und Seele der Aufrichtigkeit eines Hamburgers. Fuͤr eigene Rechnung wurde ihre Waare eingeladen. An dem Orte ihrer Beſtim- mung zu Bergen, Londen, Novogrod, Bruͤgge und ander- waͤrts hielten ſie ihre eigene Bediente, ihre eigne Packhaͤuſer und ihren eignen Markt. Ihre Bediente, welche ſolcherge- ſtalt an allen Enden der Welt waren, gaben ihnen getreue Berichte. Sie ſahen nicht durch die Brillen der Seeſtaͤdt- ſchen Unterhaͤndler. Sie lieſſen ſich nicht von einigen Ne- benbuhlern unterbohren, ſondern wußten gleich, wenn und warum eine Waare nicht mehr zog; wie ſich Geſchmack und Nothdurft aͤnderten, wer beſſere Preiſe gab, wodurch dem- ſelben der Rang abzugewinnen, was fuͤr Farben und Strei- fen den Vorzug hatten, welche Moden am liebſten, und in welchem Stuͤcke es auf die Guͤte der Sache, oder nur auf den Glanz ankam, wo ſich neue Quellen eroͤfneten, und welche Handlungsmaxime der fremde Staat faßte. Jede Veraͤnde- rung wurde ihnen zeitig, gruͤndlich und von getreuer Hand bekannt, jede Theurung oder Thorheit unmittelbar und ſchnell genuzt, jede Ausſicht ſchleunig eroͤffnet, und jede Unterneh- mung derſelben angemeſſen. Alle Zahlungen giengen ohne Umſchweife, und die Seeſtaͤdte mußten ihren Wechſel aus den Landſtaͤdten in der Hanſe kaufen. Jezt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/26
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/26>, abgerufen am 21.11.2024.