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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Gründe, warum sich die alten Sachsen
können uns solche nicht lebhafter vorstellen, als wenn wir
einen dieser Alten in öffentlicher Versammlung auftreten, und
gegen die Neubauer sprechen lassen:

"Liebe Freunde und Rechtsgenossen, mogte er sagen,
"wir haben uns in dieser Mark als Männer vereiniget, wel-
"che Ehre und Gut besitzen; die Gesetze worüber wir uns
"verglichen haben, gründen sich auf diesen Besitz; die höchste
"Strafe ist der Verlust desselben, und die mindern Vergehun-
"gen werden mit einem Theil unsers Vermögens gebüsset.
"Was sollen wir aber mit freyen Neubauern anfangen, die wenn
"sie ein Verbrechen begehen, ihre geringe Hütte, ihr Gärtgen
"oder ihre anderthalb Scheffelsaat Landes im Stiche lassen und
"davon flüchten können? Unser einer, der einen ganzen Hof be-
"sitzt; der mit seinem Hofe auch seinen Stand und seine Ehre un-
"ter uns einbüsset; und wo er sich auf flüchtigen Fuß setzt, über-
"all mit seinen Kindern nichts als die Knechtschaft oder ein
"schlechter Loos zu erwarten hat; wird sich wohl hüten die
"Gesetze zu brechen. Unser einer wird nicht gern sein ganzes
"oder halbes Vermögen daran wagen, um seinen Nachbaren
"todtzuschlagen. Wie können wir aber von Neubauern, die
"wenig oder nichts zu verlieren haben, ein gleiches erwarten?
"Werden wir dadurch gebessert, wenn sie ein Verbrechen be-
"gehen, daß wir ihnen ein elendes Leben nehmen, oder sie
"mit Ruthen peitschen lassen? Können wir Leute, die unter
"solchen Strafen stehen, für unsere Rechtsgenossen erkennen;
"sie mit zu unsrer Versammlung ziehen, und wenn sie sich,
"wie leicht vorher zu sehen, gleich den Heuschrecken vermeh-
"ren werden, von der Mehrheit ihrer leichtfertigen Stim-
"men das Wohl unsers Staats und unser eigenes abhangen
"lassen? Werden sie nicht mit der Zeit, wenn sie von dem
"Mächtigern geheget und geschützet werden, diesem ihren
"Schutzherrn zu gefallen, unsre Verräther und Unterdrücker

"wer-

Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſen
koͤnnen uns ſolche nicht lebhafter vorſtellen, als wenn wir
einen dieſer Alten in oͤffentlicher Verſammlung auftreten, und
gegen die Neubauer ſprechen laſſen:

„Liebe Freunde und Rechtsgenoſſen, mogte er ſagen,
〟wir haben uns in dieſer Mark als Maͤnner vereiniget, wel-
〟che Ehre und Gut beſitzen; die Geſetze woruͤber wir uns
〟verglichen haben, gruͤnden ſich auf dieſen Beſitz; die hoͤchſte
〟Strafe iſt der Verluſt deſſelben, und die mindern Vergehun-
〟gen werden mit einem Theil unſers Vermoͤgens gebuͤſſet.
〟Was ſollen wir aber mit freyen Neubauern anfangen, die wenn
〟ſie ein Verbrechen begehen, ihre geringe Huͤtte, ihr Gaͤrtgen
〟oder ihre anderthalb Scheffelſaat Landes im Stiche laſſen und
〟davon fluͤchten koͤnnen? Unſer einer, der einen ganzen Hof be-
〟ſitzt; der mit ſeinem Hofe auch ſeinen Stand und ſeine Ehre un-
〟ter uns einbuͤſſet; und wo er ſich auf fluͤchtigen Fuß ſetzt, uͤber-
〟all mit ſeinen Kindern nichts als die Knechtſchaft oder ein
〟ſchlechter Loos zu erwarten hat; wird ſich wohl huͤten die
〟Geſetze zu brechen. Unſer einer wird nicht gern ſein ganzes
〟oder halbes Vermoͤgen daran wagen, um ſeinen Nachbaren
〟todtzuſchlagen. Wie koͤnnen wir aber von Neubauern, die
〟wenig oder nichts zu verlieren haben, ein gleiches erwarten?
〟Werden wir dadurch gebeſſert, wenn ſie ein Verbrechen be-
〟gehen, daß wir ihnen ein elendes Leben nehmen, oder ſie
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〟ſie mit zu unſrer Verſammlung ziehen, und wenn ſie ſich,
〟wie leicht vorher zu ſehen, gleich den Heuſchrecken vermeh-
〟ren werden, von der Mehrheit ihrer leichtfertigen Stim-
〟men das Wohl unſers Staats und unſer eigenes abhangen
〟laſſen? Werden ſie nicht mit der Zeit, wenn ſie von dem
〟Maͤchtigern geheget und geſchuͤtzet werden, dieſem ihren
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[252/0270] Gruͤnde, warum ſich die alten Sachſen koͤnnen uns ſolche nicht lebhafter vorſtellen, als wenn wir einen dieſer Alten in oͤffentlicher Verſammlung auftreten, und gegen die Neubauer ſprechen laſſen: „Liebe Freunde und Rechtsgenoſſen, mogte er ſagen, 〟wir haben uns in dieſer Mark als Maͤnner vereiniget, wel- 〟che Ehre und Gut beſitzen; die Geſetze woruͤber wir uns 〟verglichen haben, gruͤnden ſich auf dieſen Beſitz; die hoͤchſte 〟Strafe iſt der Verluſt deſſelben, und die mindern Vergehun- 〟gen werden mit einem Theil unſers Vermoͤgens gebuͤſſet. 〟Was ſollen wir aber mit freyen Neubauern anfangen, die wenn 〟ſie ein Verbrechen begehen, ihre geringe Huͤtte, ihr Gaͤrtgen 〟oder ihre anderthalb Scheffelſaat Landes im Stiche laſſen und 〟davon fluͤchten koͤnnen? Unſer einer, der einen ganzen Hof be- 〟ſitzt; der mit ſeinem Hofe auch ſeinen Stand und ſeine Ehre un- 〟ter uns einbuͤſſet; und wo er ſich auf fluͤchtigen Fuß ſetzt, uͤber- 〟all mit ſeinen Kindern nichts als die Knechtſchaft oder ein 〟ſchlechter Loos zu erwarten hat; wird ſich wohl huͤten die 〟Geſetze zu brechen. Unſer einer wird nicht gern ſein ganzes 〟oder halbes Vermoͤgen daran wagen, um ſeinen Nachbaren 〟todtzuſchlagen. Wie koͤnnen wir aber von Neubauern, die 〟wenig oder nichts zu verlieren haben, ein gleiches erwarten? 〟Werden wir dadurch gebeſſert, wenn ſie ein Verbrechen be- 〟gehen, daß wir ihnen ein elendes Leben nehmen, oder ſie 〟mit Ruthen peitſchen laſſen? Koͤnnen wir Leute, die unter 〟ſolchen Strafen ſtehen, fuͤr unſere Rechtsgenoſſen erkennen; 〟ſie mit zu unſrer Verſammlung ziehen, und wenn ſie ſich, 〟wie leicht vorher zu ſehen, gleich den Heuſchrecken vermeh- 〟ren werden, von der Mehrheit ihrer leichtfertigen Stim- 〟men das Wohl unſers Staats und unſer eigenes abhangen 〟laſſen? Werden ſie nicht mit der Zeit, wenn ſie von dem 〟Maͤchtigern geheget und geſchuͤtzet werden, dieſem ihren 〟Schutzherrn zu gefallen, unſre Verraͤther und Unterdruͤcker 〟wer-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/270>, abgerufen am 22.11.2024.