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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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einer Dame, über den Gebrauch ihrer Zeit
zubringen und von jeder Stunde Rechenschaft geben müssen?
Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, was Sie mit
diesen gemein haben, und ob Sie sich vorstellen können,
daß Sie eine Seele wie andre Menschen empfangen haben?
Gewiß die Natur verschwendet ihre Kräfte nicht. Ein so
feiner zärtlicher Körper wie der Ihrige, kann durch die ge-
ringste Wallung des Geblüts in Bewegung gesetzet werden;
wozu denn eine ganze rüstige Seele? Haben Sie Gefahren
zu überstehen, Unglücksfälle auszudauern, große Entwürfe
auszuführen? Nein; Sie essen, trinken, spielen und schlafen;
und dieses so regelmäßig, daß man keine einzige freye Be-
wegung der Seele dabey bemerkt. Die Seele zeugt nur-Ge-
danken, und diese hindern den Schlaf mehr als daß sie ihn
befördern; die Verdauung geht auch weit besser von statten,
wenn man sich Gedankenlos hinsetzt. Lassen Sie sich also,
ich beschwöre Sie, nicht beyfallen, sich eine solche Unruhe in
den Kopf zu setzen, die Ihnen zu nichts dienen würden, als
Grillen und Vorwürfe zu machen. Sie haben sich so lange
darum beholfen; warum wollten Sie sich denn dergleichen im
Alter wünschen, und die Natur in unnöthige Kosten stürzen?
Fühlen sie einige Schwächen: so lassen Sie ihre Kammer mit
eau de venise besprengen. Sogleich werden Sie alle nö-
thige Begeisterung empfinden.

Ein gemeines Frauenzimmer würde es vielleicht für ein
schlecht Compliment aufnehmen, wenn ich ihm eine Seele ab-
sprechen wollte. Allein Sie, gnädige Frau kennen mich, und
wissen, daß Sie keinen eifrigern Bewundrer in der Welt ha-
ben als mich. Sie sind also auch versichert, daß ich dieses
nicht thun würde, wenn ich es nicht als einen besondern Vor-
zug von Ihnen betrachtete, daß Sie ohne Seele tausendmal
mehr thun als andre, die sich dieser allgemeinen Gabe rüh-
men. Bey Ihnen wird der Feldherr zärtlich, der Minister

hei-

einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit
zubringen und von jeder Stunde Rechenſchaft geben muͤſſen?
Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, was Sie mit
dieſen gemein haben, und ob Sie ſich vorſtellen koͤnnen,
daß Sie eine Seele wie andre Menſchen empfangen haben?
Gewiß die Natur verſchwendet ihre Kraͤfte nicht. Ein ſo
feiner zaͤrtlicher Koͤrper wie der Ihrige, kann durch die ge-
ringſte Wallung des Gebluͤts in Bewegung geſetzet werden;
wozu denn eine ganze ruͤſtige Seele? Haben Sie Gefahren
zu uͤberſtehen, Ungluͤcksfaͤlle auszudauern, große Entwuͤrfe
auszufuͤhren? Nein; Sie eſſen, trinken, ſpielen und ſchlafen;
und dieſes ſo regelmaͤßig, daß man keine einzige freye Be-
wegung der Seele dabey bemerkt. Die Seele zeugt nur-Ge-
danken, und dieſe hindern den Schlaf mehr als daß ſie ihn
befoͤrdern; die Verdauung geht auch weit beſſer von ſtatten,
wenn man ſich Gedankenlos hinſetzt. Laſſen Sie ſich alſo,
ich beſchwoͤre Sie, nicht beyfallen, ſich eine ſolche Unruhe in
den Kopf zu ſetzen, die Ihnen zu nichts dienen wuͤrden, als
Grillen und Vorwuͤrfe zu machen. Sie haben ſich ſo lange
darum beholfen; warum wollten Sie ſich denn dergleichen im
Alter wuͤnſchen, und die Natur in unnoͤthige Koſten ſtuͤrzen?
Fuͤhlen ſie einige Schwaͤchen: ſo laſſen Sie ihre Kammer mit
eau de veniſe beſprengen. Sogleich werden Sie alle noͤ-
thige Begeiſterung empfinden.

Ein gemeines Frauenzimmer wuͤrde es vielleicht fuͤr ein
ſchlecht Compliment aufnehmen, wenn ich ihm eine Seele ab-
ſprechen wollte. Allein Sie, gnaͤdige Frau kennen mich, und
wiſſen, daß Sie keinen eifrigern Bewundrer in der Welt ha-
ben als mich. Sie ſind alſo auch verſichert, daß ich dieſes
nicht thun wuͤrde, wenn ich es nicht als einen beſondern Vor-
zug von Ihnen betrachtete, daß Sie ohne Seele tauſendmal
mehr thun als andre, die ſich dieſer allgemeinen Gabe ruͤh-
men. Bey Ihnen wird der Feldherr zaͤrtlich, der Miniſter

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[283/0301] einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit zubringen und von jeder Stunde Rechenſchaft geben muͤſſen? Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, was Sie mit dieſen gemein haben, und ob Sie ſich vorſtellen koͤnnen, daß Sie eine Seele wie andre Menſchen empfangen haben? Gewiß die Natur verſchwendet ihre Kraͤfte nicht. Ein ſo feiner zaͤrtlicher Koͤrper wie der Ihrige, kann durch die ge- ringſte Wallung des Gebluͤts in Bewegung geſetzet werden; wozu denn eine ganze ruͤſtige Seele? Haben Sie Gefahren zu uͤberſtehen, Ungluͤcksfaͤlle auszudauern, große Entwuͤrfe auszufuͤhren? Nein; Sie eſſen, trinken, ſpielen und ſchlafen; und dieſes ſo regelmaͤßig, daß man keine einzige freye Be- wegung der Seele dabey bemerkt. Die Seele zeugt nur-Ge- danken, und dieſe hindern den Schlaf mehr als daß ſie ihn befoͤrdern; die Verdauung geht auch weit beſſer von ſtatten, wenn man ſich Gedankenlos hinſetzt. Laſſen Sie ſich alſo, ich beſchwoͤre Sie, nicht beyfallen, ſich eine ſolche Unruhe in den Kopf zu ſetzen, die Ihnen zu nichts dienen wuͤrden, als Grillen und Vorwuͤrfe zu machen. Sie haben ſich ſo lange darum beholfen; warum wollten Sie ſich denn dergleichen im Alter wuͤnſchen, und die Natur in unnoͤthige Koſten ſtuͤrzen? Fuͤhlen ſie einige Schwaͤchen: ſo laſſen Sie ihre Kammer mit eau de veniſe beſprengen. Sogleich werden Sie alle noͤ- thige Begeiſterung empfinden. Ein gemeines Frauenzimmer wuͤrde es vielleicht fuͤr ein ſchlecht Compliment aufnehmen, wenn ich ihm eine Seele ab- ſprechen wollte. Allein Sie, gnaͤdige Frau kennen mich, und wiſſen, daß Sie keinen eifrigern Bewundrer in der Welt ha- ben als mich. Sie ſind alſo auch verſichert, daß ich dieſes nicht thun wuͤrde, wenn ich es nicht als einen beſondern Vor- zug von Ihnen betrachtete, daß Sie ohne Seele tauſendmal mehr thun als andre, die ſich dieſer allgemeinen Gabe ruͤh- men. Bey Ihnen wird der Feldherr zaͤrtlich, der Miniſter hei-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/301>, abgerufen am 22.11.2024.