Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Ueber die Art und Weise ten Policey bisweilen offenbare Gewaltthaten ausübt; sondernvon dem Urtheile seiner Mitmärker abhängt. Wenn diese es gut und vernünftig finden, daß er nicht mehr als zwey Gänse und einen Ganten haben soll; wenn diese ihm verbieten auf dem Grasanger Plaggen zu mehen; wenn diese ihm dahin zu Recht weisen, daß er sein Schwein krampfen soll: so hat er die Beruhigung zum voraus, daß sich mit ihm alle so die- ses Recht weisen, in einem gleichen Falle befinden; und das Recht was sie ihm sprechen, auch wider sich gelten lassen müs- sen; anstatt, daß wenn ihm der Policeycommissarius befiehlt keinen Coffee zu trinken, dieser den seinigen ungestört herun- terschlürft, und seinen Befehl blos mit der Vernunft und Weisheit (diese ewigen Kupplerinnen der menschlichen Leiden- schaften) rechtfertigen kann. Da unsre Vorfahren gar keine geschriebene Gesetze dul- Stadt
Ueber die Art und Weiſe ten Policey bisweilen offenbare Gewaltthaten ausuͤbt; ſondernvon dem Urtheile ſeiner Mitmaͤrker abhaͤngt. Wenn dieſe es gut und vernuͤnftig finden, daß er nicht mehr als zwey Gaͤnſe und einen Ganten haben ſoll; wenn dieſe ihm verbieten auf dem Grasanger Plaggen zu mehen; wenn dieſe ihm dahin zu Recht weiſen, daß er ſein Schwein krampfen ſoll: ſo hat er die Beruhigung zum voraus, daß ſich mit ihm alle ſo die- ſes Recht weiſen, in einem gleichen Falle befinden; und das Recht was ſie ihm ſprechen, auch wider ſich gelten laſſen muͤſ- ſen; anſtatt, daß wenn ihm der Policeycommiſſarius befiehlt keinen Coffee zu trinken, dieſer den ſeinigen ungeſtoͤrt herun- terſchluͤrft, und ſeinen Befehl blos mit der Vernunft und Weisheit (dieſe ewigen Kupplerinnen der menſchlichen Leiden- ſchaften) rechtfertigen kann. Da unſre Vorfahren gar keine geſchriebene Geſetze dul- Stadt
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Ueber die Art und Weiſe
ten Policey bisweilen offenbare Gewaltthaten ausuͤbt; ſondern
von dem Urtheile ſeiner Mitmaͤrker abhaͤngt. Wenn dieſe es gut
und vernuͤnftig finden, daß er nicht mehr als zwey Gaͤnſe
und einen Ganten haben ſoll; wenn dieſe ihm verbieten auf
dem Grasanger Plaggen zu mehen; wenn dieſe ihm dahin
zu Recht weiſen, daß er ſein Schwein krampfen ſoll: ſo hat
er die Beruhigung zum voraus, daß ſich mit ihm alle ſo die-
ſes Recht weiſen, in einem gleichen Falle befinden; und das
Recht was ſie ihm ſprechen, auch wider ſich gelten laſſen muͤſ-
ſen; anſtatt, daß wenn ihm der Policeycommiſſarius befiehlt
keinen Coffee zu trinken, dieſer den ſeinigen ungeſtoͤrt herun-
terſchluͤrft, und ſeinen Befehl blos mit der Vernunft und
Weisheit (dieſe ewigen Kupplerinnen der menſchlichen Leiden-
ſchaften) rechtfertigen kann.
Da unſre Vorfahren gar keine geſchriebene Geſetze dul-
deten, weil ſie voraus ſahen, daß ſolche mit der Zeit eigne
Ausleger und Rechtsgelehrte nach ſich ziehen, und die heuti-
ge Art Streitigkeiten durch gelehrte und ungenoſſe Maͤnner
zu entſcheiden befoͤrdern wuͤrde: ſo konnten ſie auch nicht an-
ders verfahren. Es konnte nach keinen Geſetzen geſprochen
werden; ſondern die beſtelleten Urtheilsweiſer ſprachen nach
dem was ihnen, ihren Kindern, ihren Nachbarn und der
ganzen Gemeinheit nuͤtzlich und heylſam ſchien; oder ſie be-
zeugten in jedem vorkommenden Fall die loͤbliche Gewohnheit,
und dieſes ihr Zeugens war zugleich ein richterliches Urtheil.
Zum Zeugniß einer Gewohnheit konnte aber kein bloßer Ge-
lehrter zugelaſſen werden. Um eine adliche Gewohnheit zu
bezeugen, ward ein Edelmann und zur buͤrgerlichen ein Buͤr-
ger erfordert. Jezt hingegen beſteht die Kunſt zu richten faſt
nur in der Gelehrſamkeit und Auslegungskunſt, und kein Ort
in Europa hat ſich dagegen beſſer gewahret, als die kleine
Stadt
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