Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

wie unsre Vorfahren die Proc. abgekürzet haben.
Stadt Norica oder Nursia b) in Italien, wo es durchaus
erfordert wird, daß die Obrigkeit weder lesen noch schreiben
könne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug-
niß darüber: ob diese oder jene Art von Leuten zu den Leib-
eignen oder Freyen gehöre, c) da doch eigentlich und so balde
darüber Streit ist: ob einer frey oder eigen sey; oder ob ein
Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden könne
oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug-
nisse des einen Theiles, ohne daß der andre auch seine Ge-
nossen dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un-
sre Vorfahren, die Weisheit der Katze könne niemals einen
gültigen Spruch wider die Mäuse hervorbringen; sondern
Mäuse mußten von Mäusen und Katzen von Katzen beurthei-
let werden.

Aber wird man sagen, der Streit der Mäuse unter sich
ist von so großer Wichtigkeit nicht, daß sie ihn nicht leicht von
einigen ihres Mittels austragen lassen sollten. Die Haupt-
sache ist, wenn die Katze gegen die Mäuse, oder eine Mark
gegen die andre, und eine Genossenschaft gegen die andre die
Gränzen ihrer Befugniß übertritt, und den Landfrieden bricht.
Was hatten unsre Vorfahren hier für Richter?

Nach
b) Norica vor Alters Nursia, eine Stadt, deren Regiment
aus 4 Männern besteht, welche man li quatri illiterati
nennet, weil sie dem Gesetze nach Leute seyn müssen, die
weder schreiben noch lesen können. Alles wird mündlich
und ohne Schriften abgethan. Diese Stadt ist der Ge-
burtsort der Bruchschneider in Italien. S. Büschings
Erdbeschreibung II. Th. 2. B. p. 1061.
c) Carl der Große sagte: Solus comes de libertate et pro-
prietate judicat.
Der Comes aber urtheilete nicht an-
ders als mit 12. oder sieben genossen Schöpfen.

wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben.
Stadt Norica oder Nurſia b) in Italien, wo es durchaus
erfordert wird, daß die Obrigkeit weder leſen noch ſchreiben
koͤnne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug-
niß daruͤber: ob dieſe oder jene Art von Leuten zu den Leib-
eignen oder Freyen gehoͤre, c) da doch eigentlich und ſo balde
daruͤber Streit iſt: ob einer frey oder eigen ſey; oder ob ein
Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden koͤnne
oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug-
niſſe des einen Theiles, ohne daß der andre auch ſeine Ge-
noſſen dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un-
ſre Vorfahren, die Weisheit der Katze koͤnne niemals einen
guͤltigen Spruch wider die Maͤuſe hervorbringen; ſondern
Maͤuſe mußten von Maͤuſen und Katzen von Katzen beurthei-
let werden.

Aber wird man ſagen, der Streit der Maͤuſe unter ſich
iſt von ſo großer Wichtigkeit nicht, daß ſie ihn nicht leicht von
einigen ihres Mittels austragen laſſen ſollten. Die Haupt-
ſache iſt, wenn die Katze gegen die Maͤuſe, oder eine Mark
gegen die andre, und eine Genoſſenſchaft gegen die andre die
Graͤnzen ihrer Befugniß uͤbertritt, und den Landfrieden bricht.
Was hatten unſre Vorfahren hier fuͤr Richter?

Nach
b) Norica vor Alters Nurſia, eine Stadt, deren Regiment
aus 4 Maͤnnern beſteht, welche man li quatri illiterati
nennet, weil ſie dem Geſetze nach Leute ſeyn muͤſſen, die
weder ſchreiben noch leſen koͤnnen. Alles wird muͤndlich
und ohne Schriften abgethan. Dieſe Stadt iſt der Ge-
burtsort der Bruchſchneider in Italien. S. Buͤſchings
Erdbeſchreibung II. Th. 2. B. p. 1061.
c) Carl der Große ſagte: Solus comes de libertate et pro-
prietate judicat.
Der Comes aber urtheilete nicht an-
ders als mit 12. oder ſieben genoſſen Schoͤpfen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0319" n="301"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">wie un&#x017F;re Vorfahren die Proc. abgeku&#x0364;rzet haben.</hi></fw><lb/>
Stadt Norica oder Nur&#x017F;ia <note place="foot" n="b)">Norica vor Alters Nur&#x017F;ia, eine Stadt, deren Regiment<lb/>
aus 4 Ma&#x0364;nnern be&#x017F;teht, welche man <hi rendition="#aq">li quatri illiterati</hi><lb/>
nennet, weil &#x017F;ie dem Ge&#x017F;etze nach Leute &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
weder &#x017F;chreiben noch le&#x017F;en ko&#x0364;nnen. Alles wird mu&#x0364;ndlich<lb/>
und ohne Schriften abgethan. Die&#x017F;e Stadt i&#x017F;t der Ge-<lb/>
burtsort der Bruch&#x017F;chneider in Italien. S. Bu&#x0364;&#x017F;chings<lb/>
Erdbe&#x017F;chreibung <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. 2. B. <hi rendition="#aq">p.</hi> 1061.</note> in Italien, wo es durchaus<lb/>
erfordert wird, daß die Obrigkeit weder le&#x017F;en noch &#x017F;chreiben<lb/>
ko&#x0364;nne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug-<lb/>
niß daru&#x0364;ber: ob die&#x017F;e oder jene Art von Leuten zu den Leib-<lb/>
eignen oder Freyen geho&#x0364;re, <note place="foot" n="c)">Carl der Große &#x017F;agte: <hi rendition="#aq">Solus comes de libertate et pro-<lb/>
prietate judicat.</hi> Der <hi rendition="#aq">Comes</hi> aber urtheilete nicht an-<lb/>
ders als mit 12. oder &#x017F;ieben <hi rendition="#fr">geno&#x017F;&#x017F;en</hi> Scho&#x0364;pfen.</note> da doch eigentlich und &#x017F;o balde<lb/>
daru&#x0364;ber Streit i&#x017F;t: ob einer frey oder eigen &#x017F;ey; oder ob ein<lb/>
Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden ko&#x0364;nne<lb/>
oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e des einen Theiles, ohne daß der andre auch &#x017F;eine Ge-<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un-<lb/>
&#x017F;re Vorfahren, die Weisheit der Katze ko&#x0364;nne niemals einen<lb/>
gu&#x0364;ltigen Spruch wider die Ma&#x0364;u&#x017F;e hervorbringen; &#x017F;ondern<lb/>
Ma&#x0364;u&#x017F;e mußten von Ma&#x0364;u&#x017F;en und Katzen von Katzen beurthei-<lb/>
let werden.</p><lb/>
        <p>Aber wird man &#x017F;agen, der Streit der Ma&#x0364;u&#x017F;e unter &#x017F;ich<lb/>
i&#x017F;t von &#x017F;o großer Wichtigkeit nicht, daß &#x017F;ie ihn nicht leicht von<lb/>
einigen ihres Mittels austragen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollten. Die Haupt-<lb/>
&#x017F;ache i&#x017F;t, wenn die Katze gegen die Ma&#x0364;u&#x017F;e, oder eine Mark<lb/>
gegen die andre, und eine Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gegen die andre die<lb/>
Gra&#x0364;nzen ihrer Befugniß u&#x0364;bertritt, und den Landfrieden bricht.<lb/>
Was hatten un&#x017F;re Vorfahren hier fu&#x0364;r Richter?</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Nach</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0319] wie unſre Vorfahren die Proc. abgekuͤrzet haben. Stadt Norica oder Nurſia b) in Italien, wo es durchaus erfordert wird, daß die Obrigkeit weder leſen noch ſchreiben koͤnne. Jezt erlauben wir beynahe den Gutsherrn das Zeug- niß daruͤber: ob dieſe oder jene Art von Leuten zu den Leib- eignen oder Freyen gehoͤre, c) da doch eigentlich und ſo balde daruͤber Streit iſt: ob einer frey oder eigen ſey; oder ob ein Daelfreyer nach Leibeigenthumsrechte gerichtet werden koͤnne oder nicht, die Sache nicht blos von dem Urtheile oder Zeug- niſſe des einen Theiles, ohne daß der andre auch ſeine Ge- noſſen dabey habe, abhangen kann. Ueberhaupt glaubten un- ſre Vorfahren, die Weisheit der Katze koͤnne niemals einen guͤltigen Spruch wider die Maͤuſe hervorbringen; ſondern Maͤuſe mußten von Maͤuſen und Katzen von Katzen beurthei- let werden. Aber wird man ſagen, der Streit der Maͤuſe unter ſich iſt von ſo großer Wichtigkeit nicht, daß ſie ihn nicht leicht von einigen ihres Mittels austragen laſſen ſollten. Die Haupt- ſache iſt, wenn die Katze gegen die Maͤuſe, oder eine Mark gegen die andre, und eine Genoſſenſchaft gegen die andre die Graͤnzen ihrer Befugniß uͤbertritt, und den Landfrieden bricht. Was hatten unſre Vorfahren hier fuͤr Richter? Nach b) Norica vor Alters Nurſia, eine Stadt, deren Regiment aus 4 Maͤnnern beſteht, welche man li quatri illiterati nennet, weil ſie dem Geſetze nach Leute ſeyn muͤſſen, die weder ſchreiben noch leſen koͤnnen. Alles wird muͤndlich und ohne Schriften abgethan. Dieſe Stadt iſt der Ge- burtsort der Bruchſchneider in Italien. S. Buͤſchings Erdbeſchreibung II. Th. 2. B. p. 1061. c) Carl der Große ſagte: Solus comes de libertate et pro- prietate judicat. Der Comes aber urtheilete nicht an- ders als mit 12. oder ſieben genoſſen Schoͤpfen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/319
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/319>, abgerufen am 25.11.2024.