Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.solten ein Handwerk lernen. meinsten Auge aufftößt. Sonst hat Rousseau bereits dieGründe gezeigt, warum ein jeder Mensch ein Handwerklernen solle, damit er nicht nöthig habe fremdes Brod zu essen, wenn er eignes haben könnte. Man sahe diese wichtige Wahr- heit ehedem nicht deutlicher ein, als in der Türkey, wo der gefangene Ungarische Magnat, weil er nichts gelernet hatte, vor dem Karren gieng, und der Handwerker seine Sklaverey so leidlich als möglich hatte. Wie viel Bedienungen und Stände sind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann, aber nicht den sechsten Theil seines Tages erfordern. Was macht er mit den übrigen Fünfsechsteln. Er schläft, und ißt und trinkt und spielt und gähnt, und weis nicht was er mit seiner Zeit anfangen soll. Wie mancher Gelehrte wünschte sich etwas arbeiten zu können, wobey er seinen Kopf und seine Augen minder anstrengen, und ein Stück Brod im Schweisse seines Angesichts essen könnte, wofür jetzt seiner verstopften Galle oder seinem versäuerten Magen eckelt? In einem Lande, worinn sich hunderttausend Menschen befinden, haben zehntausend gewiß, um nur wenig zu sagen, den halben Tag nichts zu thun. Man setze diesen halben Tag zu sechs Stun- den; so werden alle Jahr an die zwey und zwanzig Millionen Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anschlägt, an die hunderttausend Tahler verlohren. Würde aber, wenn ein jeder ein Handwerk könnte, ihn seine Geschicklichkeit und der dem Menschen gegebene natürliche Trieb zur Arbeit ihn nicht reitzen, etwas mit seinen Händen zu schaffen? Jedoch diese Betrachtungen gehören eigentlich nicht zur Sache. Eine sehr wichtige aber ist es, daß Ihro Königliche nen C 3
ſolten ein Handwerk lernen. meinſten Auge aufftoͤßt. Sonſt hat Rouſſeau bereits dieGruͤnde gezeigt, warum ein jeder Menſch ein Handwerklernen ſolle, damit er nicht noͤthig habe fremdes Brod zu eſſen, wenn er eignes haben koͤnnte. Man ſahe dieſe wichtige Wahr- heit ehedem nicht deutlicher ein, als in der Tuͤrkey, wo der gefangene Ungariſche Magnat, weil er nichts gelernet hatte, vor dem Karren gieng, und der Handwerker ſeine Sklaverey ſo leidlich als moͤglich hatte. Wie viel Bedienungen und Staͤnde ſind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann, aber nicht den ſechſten Theil ſeines Tages erfordern. Was macht er mit den uͤbrigen Fuͤnfſechſteln. Er ſchlaͤft, und ißt und trinkt und ſpielt und gaͤhnt, und weis nicht was er mit ſeiner Zeit anfangen ſoll. Wie mancher Gelehrte wuͤnſchte ſich etwas arbeiten zu koͤnnen, wobey er ſeinen Kopf und ſeine Augen minder anſtrengen, und ein Stuͤck Brod im Schweiſſe ſeines Angeſichts eſſen koͤnnte, wofuͤr jetzt ſeiner verſtopften Galle oder ſeinem verſaͤuerten Magen eckelt? In einem Lande, worinn ſich hunderttauſend Menſchen befinden, haben zehntauſend gewiß, um nur wenig zu ſagen, den halben Tag nichts zu thun. Man ſetze dieſen halben Tag zu ſechs Stun- den; ſo werden alle Jahr an die zwey und zwanzig Millionen Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anſchlaͤgt, an die hunderttauſend Tahler verlohren. Wuͤrde aber, wenn ein jeder ein Handwerk koͤnnte, ihn ſeine Geſchicklichkeit und der dem Menſchen gegebene natuͤrliche Trieb zur Arbeit ihn nicht reitzen, etwas mit ſeinen Haͤnden zu ſchaffen? Jedoch dieſe Betrachtungen gehoͤren eigentlich nicht zur Sache. Eine ſehr wichtige aber iſt es, daß Ihro Koͤnigliche nen C 3
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ſolten ein Handwerk lernen.
meinſten Auge aufftoͤßt. Sonſt hat Rouſſeau bereits die
Gruͤnde gezeigt, warum ein jeder Menſch ein Handwerklernen
ſolle, damit er nicht noͤthig habe fremdes Brod zu eſſen,
wenn er eignes haben koͤnnte. Man ſahe dieſe wichtige Wahr-
heit ehedem nicht deutlicher ein, als in der Tuͤrkey, wo der
gefangene Ungariſche Magnat, weil er nichts gelernet hatte,
vor dem Karren gieng, und der Handwerker ſeine Sklaverey
ſo leidlich als moͤglich hatte. Wie viel Bedienungen und
Staͤnde ſind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann,
aber nicht den ſechſten Theil ſeines Tages erfordern. Was
macht er mit den uͤbrigen Fuͤnfſechſteln. Er ſchlaͤft, und
ißt und trinkt und ſpielt und gaͤhnt, und weis nicht was er
mit ſeiner Zeit anfangen ſoll. Wie mancher Gelehrte wuͤnſchte
ſich etwas arbeiten zu koͤnnen, wobey er ſeinen Kopf und ſeine
Augen minder anſtrengen, und ein Stuͤck Brod im Schweiſſe
ſeines Angeſichts eſſen koͤnnte, wofuͤr jetzt ſeiner verſtopften
Galle oder ſeinem verſaͤuerten Magen eckelt? In einem
Lande, worinn ſich hunderttauſend Menſchen befinden, haben
zehntauſend gewiß, um nur wenig zu ſagen, den halben Tag
nichts zu thun. Man ſetze dieſen halben Tag zu ſechs Stun-
den; ſo werden alle Jahr an die zwey und zwanzig Millionen
Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anſchlaͤgt,
an die hunderttauſend Tahler verlohren. Wuͤrde aber, wenn
ein jeder ein Handwerk koͤnnte, ihn ſeine Geſchicklichkeit und
der dem Menſchen gegebene natuͤrliche Trieb zur Arbeit ihn
nicht reitzen, etwas mit ſeinen Haͤnden zu ſchaffen? Jedoch
dieſe Betrachtungen gehoͤren eigentlich nicht zur Sache.
Eine ſehr wichtige aber iſt es, daß Ihro Koͤnigliche
Hoheit unſer gnaͤdigſter Herr, dermaleinſt aus einem Lande
zu uns kommen werden, wo alle Handwerker zur groͤßten Voll-
kommenheit gediehen ſind. Es iſt kein Zweifel, oder Hoͤchſt-
dieſelbe werden wuͤnſchen, alles bey dero geliebten Untertha-
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